Heft 4/2008 - Lektüre



Thurston Moore / Byron Coley:

No Wave

Post-Punk. Underground. New York, 1976–1980

New York (Abrams Image) 2008 , S. 73

Text: Christian Höller


Jetzt also auch noch die Oral History. Gewissermaßen nachgereicht, nachdem die Spätsiebzigerjahre in New York und vor allem deren Kunst-Musik-Crossovers in den letzten Jahren umfassend aufbereitet wurden: von Marc Masters’ Buch »No Wave« über diverse Veröffentlichungen des Londoner Souljazz-Labels bis hin zur Doku »Kill Your Idols« nebst anderen Filmen, von diversen Ausstellungen zum Thema ganz zu schweigen. Fast könnte man meinen, ein ephemerer Moment der jüngeren Kunst- und Musikgeschichte werde hier der schonungslosen Überbelichtung ausgesetzt – als müsse auch noch der letzte Winkel dieses kurzlebigen Szenezusammenhangs akribisch ausgeleuchtet werden, ohne dass dies irgendwelchen, damaligen oder heutigen, Qualitätsstandards Rechnung tragen würde. Was dabei unweigerlich voranschreitet, ist die »Retrofizierung« einer wilden, szeneübergreifenden Produktion, die unnachahmlich auf die Unlebbarkeit, ja Feindseligkeit des damaligen historischen Augenblicks reagierte. Was dabei unwiederbringlich verloren geht, ist eine Idee davon, wie eine spezifische Form von Negativität nicht allein aus der Summe der rekonstruierbaren geschichtlichen Faktoren resultiert, sondern immer auch eine bestimmte Gegenläufigkeit, ja Widersinnigkeit in sich trägt. Eine Widersinnigkeit, aus der die Explosivität und Renitenz einzelner Stile zuallererst hervorgeht.
New York war damals eine Stadt, in der man glaubte, die Apokalypse bereits hinter sich zu haben, sagt Lydia Lunch am Ende des Buches und bringt damit den historischen »Gegensinn«, wenn auch nachträglich, auf den Punkt. Ein Umfeld, das zum Teil, vor allem an seinen Rändern, dem Verfall preisgegeben war und nichtsdestotrotz, oder gerade deshalb, jungen KünstlerInnen eine Art post-apokalyptisches Experimentierfeld bot, alle diesbezüglichen Gefahren bis hin zu einem hohen (auch künstlerischen) Gewaltpotenzial mit eingeschlossen. So heißt es an einer Stelle des, was rückblickende Taxierungen betrifft, ansonsten sehr zurückhaltenden Erzählkommentars von Thurston Moore und Byron Coley, dass New York damals einer der letzten Schauplätze einer »wahren Boheme« war. Wie immer es um das Schicksal solcher Authentizitätsansprüche bestellt sein mag, legt die Aussage doch einen Sinn für das Unwiederbringliche nahe, dem gerade die Redseligkeit der vielen GesprächspartnerInnen 30 Jahre »after the fact« auf seltsame Weise zuwiderläuft. Fast ist man versucht, nach mehr Brüchen, Diskontinuitäten und Montageabfällen Ausschau zu halten – in einer visuell hochwertig aufgemachten Erzählung, deren großzügige Wortspenden beinahe zu reibungslos ineinandergreifen. So als wollte jemand aus den Stimmen der noch verfügbaren ProtagonistInnen ein posthumes Meisternarrativ basteln, ohne irgendwelchen historischen Dokumenten oder bisherigen Einschätzungen – über No Wave wurde in den letzten 30 Jahren nicht gerade wenig sinniert – Beachtung zu schenken.
Und doch enthält das auf exquisite Art billig erscheinenwollende Buch immer wieder Passagen, in denen – über allen anekdotischen Charakter hinaus – Konstellationen aufblitzen, die bislang in noch keiner Retro-Geschichte kodifiziert wurden: etwa das höchst produktive Fanzine-Umfeld der No-Wave-Szene, mit Publikationen wie »NO« (angeblich mit namensstiftend für die Bewegung), »Beat It« oder »Just Another Asshole«; Auszüge bzw. Reprints aus diesen Zeitschriften wären durchaus ein Gewinn für die ansonsten eher gestreamlinete Erzählung gewesen. Durchaus im Sinne historischer Kontrapunkte funktionieren hingegen Einsprengsel, die den oft kurzlebigen und teils unglückseligen Geschichten von zunächst viel versprechenden Bandprojekten nachgehen: jener von Red Transistor etwa, die den brachialsten Act der damaligen Zeit auf die Bühne brachten, sich bei ihrer ersten Aufnahme-Session aber bereits derart zerstritten, dass sie fortan nur noch getrennt musizierten. Größtenteils dominiert jedoch das vielfach durchexerzierte Motiv des »divide & conquer«, demzufolge Brian Eno die Szene mit seinem »No New York«-Sampler nachhaltig spaltete, indem er den East-Village-Gruppen gegenüber den Soho-»Artfags« den Vorzug gab und Letztere damit auf ihr Kunstumfeld zurückgestutzt wurden. Auf welche Reisen, teils bis heute anhaltend, dies viele MusikerInnen aufbrechen ließ, und wer auf diesem Fundament ab den frühen 1980er Jahren gewinnbringend aufbauen konnte (beispielsweise Thurston Moores eigene Band Sonic Youth), führt der Band nicht mehr eigens aus.
Und so stellt sich am Ende der Eindruck einer klassischen »Talking-Heads-Doku« in Buchform ein – nicht auf die gleichnamige Gruppe bezogen, sondern das Sammelsurium palavernder Stimmen, die mal beseelt, mal verbittert, mal gefühlstot Rückschau halten auf die wilden Jahre. Und wären da nicht die sehenswerten historischen Intarsien wie Glenn Brancas Flyer-Sammlung oder Julia Gortons Fotoarchiv, könnte man meinen, in einem schon hundertfach gesehenen Film zu sein.