Heft 4/2008 - Artscribe


»Planetary Consciousness«

7. Juni 2008 bis 6. Juli 2008
Kunstraum der Universität Lüneburg / Lüneburg

Text: Stefan Römer


Lüneburg. »Das Grauen! Das Grauen!«, faselt ein alter Mann mit irrem Blick in einer dunklen Hütte. Dieser Marlow hatte die Schwelle zwischen Zivilisation und Wildnis überschritten, meint Joseph Conrad in seinem Roman im Jahr 1911. Vorgedrungen ins »Herz der Finsternis«, wohin die Kolonisatoren die Gier nach scheinbar unerschöpflichen Ressourcen getrieben hatte, reflektierte Conrad diesen Charakter literarisch. Sie diente auch dem Regisseur Coppola als Vorbild für den durchgeknallten Colonel Kurtz in seinem Vietnam-Epos »Apocalypse Now«. »Der Fluss und seine dicht bewachsenen Ufer repräsentieren in Conrads Geschichte eine natürliche Gewalt, die den kolonialen Geist herausfordert, so dass die Fahrt Marlows – immer weiter den Fluss hinauf – zum Inbegriff der europäischen Bezwingung des außereuropäischen Raums wird«, schreibt der Kurator Christian Kravagna in seinem Ausstellungstext zu »Planetary Consciousness«.
In zwei abgedunkelten Räumen des Lüneburger Kunstraums des Leuphana Campus, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegen, begibt sich die deutsche Künstlerin Christine Meisner filmisch und fotografisch auf die Reise des Protagonisten aus Conrads Roman: Der ruhig fließende Congo erlangt eine bedrohlich beklemmende visuelle Dimension, während eine Stimme aus der Kolonialgeschichte Belgiens und dem Kongo unterschiedlichste Quellen referiert. Im anderen Raum erscheinen Einstellungen von die Kolonisation repräsentierenden Gebäuden und Innenräumen lakonisch wie der Justizpalast in Brüssel, das Kolonialmuseum in Tervüren/Brüssel oder das Nationalarchiv in Kinshasa. Meisners nüchterne Gegenüberstellung dieser Bilder beunruhigt, da das Grauen ihrer Geschichte die Selbstverständlichkeit ihrer institutionellen Funktion nicht zu irritieren scheint. Sie hinterlassen einen düsteren Eindruck, der sich gegen die implizite Heroisierung wendet, die die beiden Figuren Marlow und Kurtz trotz ihrer inhumanen Züge dominiert.
Der kolumbianische Künstler José Alejandro Restrepo konfrontiert die Projektionen des Philosophen Hegel und die Erfahrungen des Naturwissenschaftlers Humboldt eher heiter in der Aussage: »Das Krokodil von Humboldt ist nicht das Krokodil von Hegel.« Humboldt korrigierte das lediglich aus angelesenem Wissen abgeleitete philosophische Urteil Hegels, dass die Tiere Amerikas kleiner seien als diejenigen Europas, und stellte somit auch dessen Eurozentrismus bloß. Die Wandbeschriftung Restrepos, die von zwei Monitoren mit einem Krokodilauge und Krokodilschwanz eingefasst und mit einem Metermaß von der Länge eines Krokodils unterlegt sind, reflektiert sich beim Umhergehen zwischen den Arbeiten des österreichischen Künstlers Mathias Poledna. In zwei Glasstürzen auf jeweils einem Podest präsentiert er Schallplattencover des amerikanischen Folkway-Labels. Diese Cover stehen exemplarisch für den universalistischen Sammelanspruch des Labels, das von 1948 bis 1986 auf über 2000 Platten Töne der Welt katalogisierte, zu dem auch spezifische Tondokumente wie »Bertolt Brecht before the Committee on Un-American Activities« gehören. Mit dieser, das einzelne Cover fetischistisch auf einem Podest mit Glasstürzen exponierenden Präsentation thematisiert Poledna das humanistische Isolieren, Benennen, Ordnen, Katalogisieren und Präsentieren des Anderen. Dabei wird der humanistische Impuls des Archivgedankens und der Präsentation selbst mit der ästhetischen Zuordnung des jeweiligen Coverdesigns prospektiert, wobei die spezifische Auswahl der zwölf Cover sich nicht erschließt. Poledna reflektiert mit dieser puristischen Geste den humanistischen Gedanken der Repräsentation, indem er die Form der Musealisierung auf die Spitze treibt. Doch möchte ich fragen, ob diese Formalisierung der Präsentation nicht die Gefahr einer synthetischen Entkontextualisierung und somit einer humorlosen Selbstreferenz birgt, da sie sich eines expliziten Kommentars enthält und sich stattdessen auf eine kunsthistorische Explikation verlässt.
Drei großformatige Fotografien der österreichischen Künstlerin Lisl Ponger finden sich mit den Wandtexten »Wild Places«, »Die Beute« und »En Couleur« unterschrieben. Das zum Eingang nächste Bild »Wild Places« zeigt eine Tätowiererin bei der Arbeit: »Sie schreibt« gerade auf den Arm einer Frau das Wort »Artist« unter die Wörter »Missionary«, »Mercenary«, »Ethnologist« und »Tourist«, die alle durchgestrichen wurden. Mit der hier künstlerisch konterkarierten Tattoo-Mode benennt Ponger die historische Abfolge von kolonialen Reisetätigkeiten. Dabei erscheint semiotisch die kultisch initiierende Tätowierung des in die Hautritzens heute als popkulturelle Körperdekoration im Sinne eines touristischen Konsums, wie er täglich tausendfach an den Stränden der Welt als Zeitvertreib vor allem in Form von reversiblen Henna-Tattoos praktiziert wird. Das mit »Die Beute« unterschriebene Bild zeigt eine junge Frau, die mit Stoffen, die an Klimt- und Gauguin-Gemälde erinnern, bekleidet und dabei von afrikanischem und asiatischem Kunsthandwerk umgeben ist. Mit dem Bild »En Couleur« persifliert Ponger die Fotografie »Noire et Blanche« von Man Ray aus dem Jahr 1926, die die kritische Haltung der Surrealisten gegenüber der kolonialistischen Präsentation von Kunst auf den Punkt brachte, wie sie später in einer großen Pariser Ausstellung (1931) gezeigt wurde. Ponger formuliert in ihrer fotografischen Inszenierung mit spezifischen popkulturellen und kunsthistorischen Referenzen eine heitere Exotismuskritik: Die afrikanische Maske in Man Rays Fotografie ersetzt sie durch ein National-Geographic-Cover, auf dem eine exotistisch geschminkte Afrikanerin zu sehen ist.
Die in der Ausstellung »Planetary Consciousness« gezeigten künstlerischen Arbeiten nehmen die Diskurse des Kolonialismus wörtlich, um sie jeweils in ihren visuellen und verbalen Artikulationen zu untersuchen. Wenn der Ausstellungstitel »Planetary Consciousness« auch in mir zunächst unklare Erinnerungen an eine Hippie-Ideologie der 1970er Jahre weckte, nach der eine universelle Sprache der Natur entziffert werden und die »Kraft der Mutter Erde« beschworen werden sollte, spitzen sich die künstlerischen Positionen mit Bezugnahme des Kurators Kravagna auf die Literaturwissenschaftlerin Marie Louise Pratt auf eine kritische Revision zeitgenössisch virulenter kultureller Stereotypen zu, die den im Zuge der kulturellen Disneyfizierung der Museen allseits neu inszenierten pittoresken Exotismen widersprechen.