Heft 4/2008 - Artscribe


»Un Coup de Dés.

Bild gewordene Schrift. Ein ABC der nachdenklichen Sprache«

19. September 2008 bis 23. November 2008
Generali Foundation / Wien

Text: Susanne Neuburger


Wien. Dass die Sprache in ihren vielen Formen als gedruckter Text, gemaltes Zeichen, Wörter an der Wand, aufgezeichnete Reden usw. essentielles Element in der Kunst der 1960er Jahre darstellt, ist ein Topos in der Rezeption von institutionskritischer Kunst, Konzeptkunst, Fluxus oder Pop Art der letzten Jahre. Die Emanzipation des Textes ist dabei ebenso Thema wie eine neue »konzeptuelle« Ästhetik. Für diese werden vielfach die sprachlich verfassten Partituren von John Cage als wegweisend angesehen, besonders »4’33’’«, das Liz Kotz in ihrem Buch »Words to Be Looked At. Language in 1960s Art« (MIT 2007) einer grundlegenden Analyse hinsichtlich seines künstlerischen Status unterzieht. Was in den 60er Jahren in den USA und Europa im Verhältnis von sprachlicher und visueller Repräsentation entstand, ist dennoch kaum Sache einer übertrieben spektakulären Ästhetik, wenngleich Partituren von Cage in diese Richtung gehen, George Maciunas Grafiker war und auch die Ästhetik um Seth Siegelaub eine ganz spezielle war. Form als Form war oft nachgereiht und vielfach als Mittel zum Zweck angesehen, wie etwa für Alighiero Boetti sprachliche Zeichen, das Alphabet ebenso wie Zahlen oder das System der Post zu den »cose primarie« zählten, die ihm fallweise als Arbeitsmaterialien dienten. Zweifelsohne war vielfach und gerade bei Lawrence Weiner oder Joseph Kosuth, um nur diese Beispiele zu nennen, auch ein Aspekt des Poetischen gegeben, der allerdings anderen Bezugsetzungen untergeordnet war.
In ihrer ersten Ausstellung stellt Sabine Folie als neue Direktorin und Kuratorin der Generali Foundation das Thema Text und Bild aus einer Gegenposition heraus dar. Sie setzt auf die »poetische Sprengkraft« der Sprache, wenn sie um Stéphane Mallarmé und Marcel Broodthaers als den beiden Ahnen avantgardistischer Poesie eine Ausstellung konstruiert: »Un coup de dés« heißt Stéphane Mallarmés Gedicht von 1897, dem Broodthaers 1969 eine Hommage widmete, wie er überhaupt den symbolistischen Dichter als »Begründer der zeitgenössischen Kunst« verehrte. Neben Broodthaers und Mallarmé werden Werke von Robert Barry, Lothar Baumgarten, Theresa Hak Kyung Cha, Rodney Graham, Ulrike Grossarth, Jaroslaw Kozlowski, David Lamelas, Eva Partum, Gerhard Rühm, Klaus Scherübel, Dominik Steiger, Ana Torfs, Peter Tscherkassky, Joëlle Tuerlinckx und Ian Wallace in der Ausstellung gezeigt. Es sind also nicht die Kernbereiche der Sammlung der Foundation, die Folie ihrer Befragung unterzieht. Vielmehr stellt sie die visuelle Paraphrase Mallarmé-Broodthaers in einen zeitlich weit gefassten Kontext, der unterschiedlichste künstlerische Positionen mit einschließt. Im Mittelpunkt stehen dabei die »Bewegung der Buchstaben sowie die Steigerung der allusiven und dekonstruierenden Eigenschaften der Sprache« (Pressetext). Visuelle Erscheinung der Sprache als Schrift scheint dann erst interessant, wenn spezielle typographische Setzungen wie auch Leeräume aufscheinen, Letztere belegt durch Lewis Carroll und sein »Hunting of the Snark. An Agony in Eight Fits«, das eine weitere Referenz an das 19. Jahrhundert darstellt.
Ihrem Parcours durch die »Welt des Alphabets, des unschuldigen Buchstabens« stellt Folie ein Zitat von Roland Barthes voran, in dem eben vom unschuldigen Buchstaben die Rede ist, der einen poetischen Weg und nicht einen Weg des Diskurses einschlägt. Barthes spricht von einem Naturzustand des Buchstabens, der erst aufgegeben wird, sobald sich Buchstaben zu Wörtern fügen. Für die Ausstellung scheint dieser herbeizitierte »Naturzustand« mehr als irreführend, denn vorrangig geht es um Sprache als Störfaktor, als irritierende typographische Formation oder als kritische Dekonstruktion. Waren es eben nicht die Literaten, sondern die bildenden Künstler, die hintersinniger an die Sache herangingen? Zwischen Mallarmé und Broodthaers schieben sich die Buchstabenfigurationen der Kubisten oder Marcel Duchamp. Längst schon ist der »Naturzustand« der Buchstaben von Duchamps und seinem L.H.O.O.Q. entlarvt und gerade Georges Braques erste Einschriften von 1909 waren kühne Manöver im Geviert des Bildes und abseits literarischer Ambitionen mit viel subversivem Potenzial behaftet. Seine Buchstabenfolgen konnten versteckte Bedeutungen in sich tragen und außerdem reizte ihn die Zweidimensionalität des Buchstabens, die einen dreidimensionalen Anspruch an die Malerei gut konterkarieren konnte und so als Störfaktor fungierte.
In der Ausstellung geht die Arbeit von Ewa Partum »Aktive Poesie« von 1971/73 quasi den umgekehrten Weg, indem sie Werke der Weltliteratur in weiße Papierbuchstaben zerlegt, die sie in der Natur verstreut und so einen künstlichen »Naturzustand« herstellt, wie er Barthes wohl gefallen hätte. Gezeigt werden viele wichtige Arbeiten von Broodthaers, die sich gemäß der Thematik auf kleinere Formate, Publikationen und Textarbeiten konzentrieren, aber auch der Film »La Pluie (Projet pour un texte)« oder die Arbeiten »Images d’Epinal« und «ABC-ABC Image« einschließen. Oft reihen sich Werke mit sehr unterschiedlichen Ansätzen aneinander, die den Ausstellungstitel als kleinsten gemeinsamen Nenner haben. So sind Werke von Kozlowski, Hak Kyung Cha, Partum und Lamelas in einem Raum zu sehen, wobei die Arbeit von Lamelas eher der Kategorie der Lecture-Performances zuzuordnen ist. Allesamt haben sie kaum mehr eine Erinnerung an den Witz und die Ironie, die Broodthaers den strengen 1960er Jahre beistellte, und schon gar nichts mit Mallarmé oder Carroll im Sinne. Vielmehr halten sie sich in vielerlei Hinsicht an die eingangs beschriebenen kritischen Ansprüche sprachlicher und visueller Repräsentation und haben zusätzlich andere wesentliche Bezugspunkte außerhalb der Ausstellungsthematik.