Heft 2/2009 - Netzteil


Der Fetisch beobachtet zurück

Überlegungen zur Zukunft der Re-Kreativität

Martin Conrads


An jener Stelle auf dem Budapester Boulevard Andrássy út, an der sich bis ins Jahr 2007 das alte Café Eckermann befand, von dem man sagen kann, dass es damals das Bohemezentrum der Budapester Kunst-, Kultur- und »Kreativ«-Szene darstellte, eröffnete vor einigen Monaten ein neuer Store des Luxusgutunternehmens Louis Vuitton. Im Spätsommer 2008 konnte man dort eine Schaufensterdekoration betrachten, in der die Firma auf geradezu perfekte Weise eine Diskussion reproduzierte, die sie in naher Zukunft selbst erst produzieren könnte.1 Es handelt sich dabei sozusagen um ein Zeugnis proaktiver Re-Kreativität: Eine als kostspielig inszenierte Tasche wurde dort von rund zwei Dutzend selbst den Anschein des Edlen simulierenden Überwachungskameras quasi mit gefrorenem Blick verfolgt. In dieser Inszenierung ist nicht mehr der Kunde als potenzieller Krimineller das Sicherheitsrisiko, sondern die Ware selbst. Der Closed Circuit der Kameras scheint dabei nicht mehr nur eine formalmediale Eigenschaft zu sein, sondern ist nunmehr ein Qualitätsmerkmal der Werbeaussage geworden – und wird dabei Bedingung zur Bestimmung der Wertigkeit der Ware. Denn statt auf mögliche Sicherheitsrisiken zu reagieren, übernehmen die Kameras hier die Rolle von begehrenden Subjekten in einem erotisch aufgeladenen Setting, während die Tasche selbst vorzugeben scheint, bereits in einem Zustand jenseits ihres Fetischcharakters zu existieren. Sie verspricht in diesem Sinn, Kunstwerk zu sein. Man könnte über diese Inszenierung sagen: Der Fetisch beobachtet zurück; er wird »re-kreativ«. Die Tasche ist Kubricks Monolith unter Bedingungen durchökonomisierter Re-Kreativität.

Nun ist bekannt, dass Louis Vuitton in den letzten Jahren auf dem Kunstmarkt erfolgreiche bildende KünstlerInnen mit der Gestaltung von Schaufenstern und Editionen beauftragte: Die Designs von Olafur Eliasson, Takashi Murakami, Vanessa Beecroft oder Richard Prince sind Beispiele hierfür. Das Prinzip Louis Vuitton hat es dabei immerhin schon so weit ins Feld der Kunst geschafft, dass sich Roger M. Buergel in den Pressemitteilungen zum Vermittlungsprogramm der letzten Documenta bekanntlich von diesem Prinzip absetzen musste, um eigene Position zu beziehen: »An der Vermittlung scheiden sich die Geister: am Ethos der Vermittlung erkennt man den Unterschied zwischen einer bloßen Konsumhaltung und einem emanzipatorischen Anspruch. Hier unterscheidet sich die Ausstellung von Disneyland, vom Uniseminar, von der Diskothek, vom Louis-Vuitton-Shop – oder sie unterscheidet sich eben nicht.«2

Mögen sich die Geister auch an Louis Vuitton scheiden, so schärfen sie doch zunehmend ihre Sinne daran: In der 2008 im Dortmunder Hartware MedienKunstVerein gezeigten Ausstellung »Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System« wies Christian von Borries in seiner unter dem Namen »likefashion.com« ausgestellten Installation »Joke Heartbreak«3 etwa auf die kunstgeschichtliche Verweiskette hin, die das Unternehmen mit der Einbeziehung der Gestaltung einer Tasche durch den Appropriationskünstler Richard Prince im Jahr 2007 einer insbesondere aufgrund chinesischer Plagiate umgewerteten Markenökonomie entgegensetzen will: »There will be lots of fakes on the market pretty soon. In fact, Prince might even start appropriating them and turning them into genuine Richard Princes«, paraphrasiert von Borries in seinem Katalogtext den Wirtschaftsjournalisten Felix Salmon.

»Wenn wir schon nicht die Ökonomie kontrollieren können«, so meint man, könnten die Überlegungen bei Louis Vuitton zur Einbeziehung von Richard Prince gelautet haben, »dann wenigstens das bildökonomische Verweissystem unserer Marke.« Vielmehr dürfte es jedoch genau andersherum gewesen sein: »Warum sollten wir die Ökonomie retten wollen, wenn wir das bildökonomische Verweissystem definieren können?«

Gesetzt, dies sei die kapitalistische Ausgangsfrage eines Aspektes der oben skizzierten Re-Kreativität, dann schließt sich die weiterführende Frage an, wie sich das re-kreative Prinzip lizenzieren lässt, wie das bildökonomische Verweissystem re-ökonomisiert werden kann. Das Budapester Schaufenster könnte eine Antwort darauf liefern, denn es ist ein Indiz dafür, dass es Louis Vuitton mittlerweile nicht mehr nur um das Original des seriellen Produktes geht, aufgeladen mit künstlerischer Originalität, sondern um ein Prinzip der Rechteverwertung, bei dem – und dies bereits jenseits von herkömmlichen Markenrechten – »das Recht der Ware am eigenen Bild« im Vordergrund steht.

Denn neu ist, wenn man einer weitverbreiteten Pressemeldung vom August 2008 glauben darf, dass die Firma, während sie auf der einen Seite auf künstlerische Kreativität als Mittel zur Herstellung eines Originalanspruches setzt, auf der anderen Seite Kreativität dort zurückruft, wo man diese eben noch als Platzhalter des induzierten, gewollten oder zumindest gebilligten Product Placements wähnte. Laut der erwähnten Meldung nämlich einigten sich, nach fünfjährigen Verhandlungen, Louis Vuitton und Sony/BMG außergerichtlich und nach Zahlung einer gemutmaßten Summe von 300.000 US-Dollar durch Sony/BMG unter anderem darauf, dass MusikerInnen, die bei Sony/BMG unter Vertrag stehen, keine Louis-Vuitton-Logos mehr in ihren Musikvideos verwenden dürfen. Zusätzlich hätte das Label versprechen müssen, den bei ihm unter Vertrag stehenden KünstlerInnen zu erläutern, worin die Signifikanz dessen besteht, die Marke Louis Vuitton nicht für Promomaterial zu verwenden.

Hintergrund des Verfahrens ist die wiederholte Verwendung von Louis-Vuitton-Logos oder -Produkten, teils fiktiven, in Videos und auf Promotionsmaterial verschiedener KünstlerInnen, etwa durch Britney Spears, die bei »Do Somethin’« (2005) in einem pinken »Hummer« mit Louis-Vuitton-gestyltem Armaturenbrett durch das Wolkenkuckucksheim des ersten Videos schwebt, bei dem sie selbst Regie führte (Ironie des Schicksals: die darin vorkommenden Überwachungskameras).

Eine Sprecherin von Louis Vuitton sagte nach der Einigung: »Wir glauben, dass die heutige Übereinkunft weltweit einen starken Schutz bietet«, und fügte hinzu: »Wir produzieren gar keine Armaturenbretter.«4 Die künstlerische und gestalterische Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen der Firma, die diese auf der einen Seite publicityträchtig fördert, wird da, wo man sie nicht mehr für »kreativ« hielt, da man von einem stillschweigenden Einverständnis ausging, wieder re-kreativ zurückbeordert. Re-Kreativität hätte in diesem Sinn eine doppelte Bedeutung, beruhte auf einem »double bind«: als Wiederholung, Neuaufführung und Neuinduktion von Kreativität und als gleichzeitiges Zurückrufen derselben – »Re-« als kapitalistisch produktiv gemachte Umkehrfunktion.5

Nun wird es interessant, wenn man den Gegenstand dieses Verfahrens mit dem Budapester Schaufenster und mit der Einigung zwischen der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA und YouTube vom 9. November 2007 zusammendenkt, die »zur Nutzung des Weltrepertoires musikalischer Werke auf YouTube« berechtigt, also »die Musiknutzung sowohl in Musikvideos als auch in den von NutzerInnen erstellten Videos« ermöglicht.6 Und zwar dann, wenn man diese Lizenzierung von Musik an YouTube-NutzerInnen durch die GEMA im Sinn einer praktizierenden kapitalistischen Verwertungsgesellschaft mitdenkt. Anlass dazu bieten zwei Kommentare, die auf dem Blog des Magazins »Wired« zu erwähnter »Louis Vuitton vs. Sony/BMG«-Meldung geschrieben wurden.7 Der erste lautet: »Given that everybody is caught on CCTV cameras multiple times an hour, wearing any LV clearly leaves you open to a massive copyright infringement claim which I – for one – am not willing to risk committing.« Und der zweite: »Last time I bought an LV handbag it did NOT come with a licence saying that I couldn’t rip it up and use it on a dashboard.«

Man wird sich in wenigen Monaten noch an das Budapester Schaufenster erinnern müssen, denn konsequent weitergedacht symbolisiert es ein Lizenzmodell nicht nur für die Nutzung und Verbreitung sogenannter audiovisueller »Inhalte«, sondern auch ein »Permission Culture«-Modell zur Verwendung und Verwertung von Details dieser Inhalte, also dessen, was man als visuelle Samples beschreiben könnte, und was dabei tatsächlich der Inhalt im Gegensatz zum Content ist.

Denkt man nämlich zweieinhalb Schritte weiter, ließen sich die für die Anwendung auf Video weiterentwickelte »Audio Fingerprinting«-Programme, die geschützte Inhalte im Sinne eines akustischen Fingerabdrucks identifizieren können, nicht nur auf die Erfassung des generellen Contents eines Files im Hinblick auf die Urheberrechte des Materials anwenden, sondern auch auf die Erfassung des Inhaltes im Hinblick auf die unerlaubte Verwendung und Verwertung von Markenrechten. Wann immer ein Produkt in einem Video zu sehen sein wird, wären künstlerische Produktivität und virales Marketing gleichermaßen nur eine Angelegenheit lizenzierten Weltrepertoires. Wofür heute ganz einfach geworben wird, dafür wird morgen doppelt abkassiert. Darin liegt der eigentliche Schauder, den das Budapester Schaufenster produzierte. Es ist eine Ankündigung.

 

 

1 Die beschriebene Dekoration war zur gleichen Zeit auch in anderen Louis-Vuitton-Shops installiert. Das Budapester Schaufenster scheint jedoch als Beispiel bezüglich der Vorgeschichte des Ortes am sinnfälligsten.
2 http://www.documenta12.de/aktuelles_20.html?&L=0
3 Die unter anderem das chinesische Plagiat einer Louis-Vuitton-Tasche beinhaltete.
4 Vgl. Eliot Van Buskirk, No More Unauthorized Louis Vuitton in Music Videos, auf: Wired.com, 4.8.2008; http://blog.wired.com/music/2008/08/no-more-unautho.html
5 Was übrigens dem Motiv einer kürzlich erschienenen Ausgabe der »Zeitschrift für Kulturwissenschaften« diametral entgegengesetzt stünde: Unter dem Titel »Kreativität. Eine Rückrufaktion« sollten dort »ironisch bis selbstkritisch« die »Möglichkeiten einer reflexiven Wiederaneignung« des Begriffs ausgelotet werden.
6 »GEMA und YouTube erzielen entscheidende Einigung«, Pressemitteilung vom 9.11.2007; http://www.gema.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/archive/2007//select_category/13/?tx_ttnews[tt_news]=668&tx_ttnews[backPid]=73&cHash=3a507b2caf
7 http://blog.wired.com/music/2008/08/no-more-unautho.html