Heft 2/2009 - Lektüre
Zum Jahresende 2008 diagnostizierte Irit Rogoff im Kunstmagazin »e-Flux« einen »educational turn in curating«, an dem sie selbst über Projekte wie »Summit – Non-aligned Initiatives in Education Culture« oder »A.C.A.D.E.M.Y.« beteiligt sei. Der so bezeichnete Paradigmenwechsel beinhaltet Rogoff zufolge eine Suche nach widerständigen, auf die Potenzialität von Individuen und Kollektiven setzenden und damit ermächtigenden Konzepten von Bildung. Der »educational turn« fragt unter dieser Prämisse nach den Bildungsfunktionen der Künste und behauptet so deren gesellschaftliche Relevanz. Der kürzlichen Entdeckung des bislang eher randständig wahrgenommenen Themas durch KuratorInnen und KunstwissenschaftlerInnen gehen etwa 200 Jahre erziehungsphilosophische Debatten und Praktiken ästhetischer Bildung voraus. Die Zurkenntnisnahme dieser Konzeptionen zwecks Vermeidung einer Neuerfindung des Rades oder einer Verkürzung komplexer Ansätze wäre wünschenswert. Dies bedingt jedoch zumindest ein Basiswissen, das bislang weder in der Kunstausbildung noch in den Curatorial Studies vermittelt wird. Der jüngst bei Turia + Kant erschienene Band von Nora Sternfeld leistet nun einen Beitrag, diese Lücke zu füllen. Selbst seit einigen Jahren sowohl im akademisch-institutionellen wie auch im selbst organisierten Bereich als kritische Kunstvermittlerin tätig, stellt sie darin drei im Kunstfeld stark rezipierte Theoretiker vor. Grundbegriffe im Denken von Jacques Rancière, Antonio Gramsci und Michel Foucault werden – in dieser Reihenfolge – unter der Fragestellung expliziert, wie sie für eine Pädagogik als verändernde Praxis produktiv zu machen wären. Der besondere Reiz des Buches liegt in seinem argumentativen Aufbau: Im Anschluss an ihre Ausführungen zu jedem der Philosophen formuliert die Autorin jeweils eine offen gebliebene Frage, auf die sie in der Folge den nächsten antworten lässt. Nach einer Einführung des bekannten Paradoxes, dass es im Grunde keine Erziehung zur Selbstermächtigung geben kann, schlägt Sternfeld zunächst mit Rancière vor, über das Denken eines »pädagogischen Unverhältnisses« gerade in dieser unauflösbaren Spannung eine Möglichkeit der Durchkreuzung von in Erziehungssettings etablierten Hierarchien zu erkennen. Sie kritisiert bei Rancière dessen schwachen Politikbegriff und entgegnet diesem mit Antonio Gramscis Versuch, eine gegenhegemoniale und gleichzeitig antikapitalistische Vorstellung von Bildung zu entwickeln. Die Hinterfragung von Heroisierungstendenzen in Gramscis Begriffen wie dem der »Selbstermächtigung« oder des »Buon Senso« führt sie weiter zu den bei Michel Foucault ausgearbeiteten Konzepten von »Kritik« und »Gouvernementalität«. Sternfeld bringt die drei Positionen miteinander in ein Spiel, das zu deren besseren Verstehen beiträgt. Zudem versetzt es die LeserInnen in einen reflexiven Modus, da sie sich beim Lesen selbst in besonderer Weise als Fragende wahrnehmen. Damit löst die Publikation gleichsam selbst eine Forderung emanzipativer Pädagogik ein. Bedauerlich ist hier lediglich, dass der Text zuweilen seinerseits in die »educational turn«-Falle tappt, das Neue zu behaupten. Es fehlen notwendige Referenzen sowohl auf erziehungswissenschaftliche VorgängerInnen wie vor allem auch auf gegenwärtige Diskussionen und Praktiken. So wird pädagogisches Denken und Handeln teils verallgemeinernd auf ein unterkomplexes, bewusstloses, starr hierarchisches Geschehen reduziert. Zum anderen fällt der eigene, dekonstruktive Ausblick der Autorin am Ende des Bandes sehr kurz aus, so als hätte sie die Arbeit am nächsten Projekt vor der Zeit vom Schreibtisch weggezwungen. Daher liest sich der letzte Teil des Buches am besten zusammen mit ihrer auf der Website http://www.trafo-k.at gut dokumentierten Vermittlungspraxis.