Heft 2/2009 - Lektüre



Simon Critchley:

Unendlich fordernd

Ethik der Verpflichtung, Politik des Widerstands

Zürich/Berlin (diaphanes) 2008 , S. 73

Text: Hans-Christian Dany


Sie nennen es »Demokratie«, und es sieht hässlich aus. Das Übriggebliebene erinnert an die mutierten Wesen aus Horrorfilmen, Geschöpfe, die weder Mensch, Tier oder Apparat sein können, sondern sich immer weiter ins Monströse verzerren. Nun verkommt die »Demokratie« nicht erst seit gestern, schon lange gibt es Wahlen, bei denen die Wählenden nicht mehr erkennen können, wo eine Entscheidung liegen soll. Im Zuge der Eskalation, welcher sich die westlichen Demokratien im Zuge des »War on Terror« in letzter Zeit hingeben, zeigt das Entstellte aber immer totalitärere Zähne, mit denen es alles zu erfassen sucht, was von seinem Diktat abweicht. Wider diese Enttäuschung – einer immer tiefer im Kriegerischen versinkenden Weltordnung – versucht Simon Critchley in seinem jüngsten Buch, die Forderung einer Ethik zu konstruieren. Sie soll das Subjekt wieder in einen Zustand politischer Handlungsfähigkeit zurückversetzen. Etwas unglücklich ordnet der in New York lehrende Professor für Philosophie dabei zunächst den militanten Widerstand von Al Kaida gegen den Totalitätsanspruch der westlichen Demokratien in eine Reihe mit dem ein, was er als »aktiven Nihilismus« bei der RAF oder bei der Situationistischen Internationale zu erkennen glaubt. Vernachlässigt man die These, der westliche Radikalismus hätte einfach alles als sinnlos empfunden, ähnelt allein die Beschreibung von Al Kaida – als aktive Ungläubige – doch arg der paranoiden Logik des westlichen Staatsterrorismus, welcher alles ihm Fremde in die eigene Logik verdreht. Folgen mag ich hingegen Critchleys Analyse, die Kraft der Angriffe von Al Kaida verdeutlicht nochmals die unglaubliche Erschlaffung der demokratischen Institutionen. Ihrem Motivationsmangel will der Text etwas entgegensetzen, was er einmal als »wahre Demokratie«, dann wieder als »Neoanarchismus« beschreibt. Dabei greift Critchley zunächst auf die von Alain Badiou beschworene Treue zum Ereignis zurück – jenen Anspruch, die situativen Erfahrungen politischer Ungerechtigkeit in universelle Forderungen zu überführen, um aus ihr eine militante Politik abzuleiten. Aufregend wird diese Treue in Verbindung mit dem von Emmanuel Levinas obsessiv beschworenen Begriff der Verpflichtung, die uns durch den »Anderen« entgegentritt. Der »Nebenmensch« spaltet das Ich als »archisches« Wesen der Subjektivität und bietet der durchstrichenen Selbstsetzung die Möglichkeit eines Anarchismus unendlicher Verantwortung. Ziel der Denkfigur ist es, einen Namen zu erfinden, um den herum sich die partikularen Kämpfe gruppieren könnten. In der »ethischen Anarchie« sollen sich die vielfältigen Singularitäten zur »radikalen Störung« eines totalitären Anspruchs des Staates bündeln. Eine der Stärken dieses Ansatzes liegt sicher darin, den Begriff der Anarchie von seiner Reduktion auf individuelle Freiheit abzugrenzen. An dem Willen, einen Namen zu finden, sind zuvor aber auch schon andere Widerstandstheorien gescheitert. Auch fällt die Spannungskurve nach umfangreichen philosophischen Exkursen mit dem Beispiel, welches Critchley etwas preiswert bei den Tute Bianche findet – so freundlich scheint Widerstand angesichts der Zuspitzung der Verhältnisse wohl mittlerweile nicht mehr erhältlich.
»Unendlich fordernd« ist eine der vielen Publikationen, die derzeit in schneller Frequenz im Verlag diaphanes erscheinen. Trotz gelegentlicher Unschärfen, dem Gestus eines akademischen Eklektizismus und sprachlich letztlich nicht zu einem eigenen Ton findend bildet das Buch eine anregende Ergänzung zu anderen Bemühungen um eine widerständische Theorie gegen die demokratische Kriegspolitik. Ob sich diese Versuche eines radikalen Denkens in eine militant optimistische Ethik des Widerstandes verwandeln lassen, bleibt aber vorläufig zweifelhaft. Noch bewegt sich ihr Denken wie ein wohlerzogener, gelegentlich einmal naserümpfender Gast im »subversiven« Milieu, mag er sich von diesem auch noch so euphorisch angezogen fühlen. Zuerst müsste dafür aber die alte Forderung, jene überholte Trennung von Theorie und Praxis zu überwinden, eingelöst werden.