Berlin. Gleich hinter der Garderobe beginnt es heiter bis freundlich. Francis Alÿs schiebt ein Ding von der Größe eines Handkoffers achtsam durch die Straßen von Mexico City. Was er schiebt, hinterlässt eine feuchte Spur, wird immer kleiner und leichter. Als der Eisblock auf die Größe einer Schuhschachtel zusammengeschmolzen ist, wechselt Alÿs Fortbewegung zum lässigen Kicken. Tänzelnd treiben seine Converse-Schuhe das weiter in Auflösung Befindliche durch die große Stadt. Dann huschen die Schuhe aus dem Bild, zurück bleibt nur eine kleine Kugel, deren Zergehen in einen Wasserfleck von Kindern bestaunt wird. Ich habe auch gestaunt, bis ein Hinweisschild an der Wand mir erklärte, in dem gezeigten Video ginge es um die von der Gesellschaft geforderte Effizienz. Die Erklärung, mag sie auch voller Fragezeichen bleiben, faltet Alÿs Vorführung zu einer Papierschwalbe mit überdicker Spitze, die im plumpen Senkflug zu Boden geht. Und da liegt das Gefallene dann, so als sollte ich und alle anderen jedes Interesse daran verlieren. Mit den Resten meiner gerade flach gehauenen Gedanken schreite ich also durch einen Korridor auf den Hauptteil der Ausstellung zu, die sich im unteren Saal der Kunstwerke befindet. Schon auf der Empore wird die vertraute Handschrift des Kurators daran erkennbar, wie das Ausgestellte im Raum angeordnet ist. Hier sucht jemand gerade Linien und Gleichgewicht. Die formal dem Minimalismus zugeneigten Objekte sind erstaunlich symmetrisch aufgestellt, was dem eigentlich neutralen Raum einen erstaunlichen Beigeschmack verleiht. Was auf Zentralachsen zunächst vor allem einen Willen zu Ordnung vorführt, soll politisch verstanden werden. Es scheint logisch, in der Mitte anzufangen. Da wo sich im Zentrum die Achsen kreuzen, liegt eine flache, zunächst schlichte Betonplatte von den Ausmaßen eines Handkoffers – eine Größe, die im neuen Minimalismus zu irgendeiner Orientierung dient. Obwohl ich es vielleicht gar nicht so genau wissen will, lese ich nun, dass Teresa Margolles den Fötus eines Frühgeborenen in den Beton eingegossen hat. Die mittellosen Eltern konnten sich keine Beisetzung leisten, so nahm sich die Künstlerin der sterblichen Überreste an und lässt sie nun als Skulptur von Ausstellung zu Ausstellung durch die Welt reisen. Hinter dem, was sich über den Tod in den globalen Widersprüchen mitteilen will, strahlt an der Wand eine dunkle Sonne. Sie geht selbstverständlich wieder genau in der Mitte unter. Auf einem Kreis von mehreren Metern Durchmesser mischen sich unzählige Leiber zu einem schimmernden Schwarz. Das Relief von Damien Hirst serialisiert den Tod Tausender Fliegen auf klebendem Grund. So als sei die »Weltbezogenheit«, was sie real nennen, von Kunst nur noch in der direkten Übertragung möglich, finden sich neben den anwesenden toten Menschen und Tieren echte Einschüsse, original schneidender Stacheldraht und schick gestapelte DVDs mit Hinrichtungsvideos. Die versammelte Gewalt mit Echtheitszertifikat klingt zusammen mit dem Hang des Kurators zur Symmetrie. Die Flügel der Hauptachse werden deshalb immer wieder mit Verdopplungen bespielt. Zweimal gefalteter Stoff, wobei in eine der feinsten und genauesten Arbeiten der Ausstellung, den Winkel aus Nadelstreifen von Kitty Kraus, schon ein Besucher hineingetreten hat, so als müsse man in dieser mit Gewalt und Spektakel aufgeladenen Atmosphäre nach allen Zwischentönen treten. Zweimal wird SoLewitt in Stacheldraht nachgeformt. Und schwarze Quadrate, kleine und große, werden selbstverständlich vielfach variiert. Zu allem kann der gedankenlose Gast nachlesen, was es bedeuten soll.
Der als Autor einer Vielfliegerkolumne bekannte Biesenbach entwirft hier einen Begriff des Politischen, der in erster Linie das Sensationelle meint, welches sich mit Gewalt verbindet, die verbal benennbar scheint. So zeichnet sich ein resignativ distanziertes Gesellschaftsbild aus der Vogelperspektive. Es wird hinuntergeschaut und ein »So ist das halt« ins Werk gesetzt. Zielsicher wird dabei vermieden, irgendeinen Handlungsspielraum auch nur anzudeuten. Verstärkt wird die kühle Lähmung des Betrachters durch die zu den meisten der ausgestellten Arbeiten verfassten Texte. Ihre Sprache löscht das Gezeigte zugunsten einer Behauptung dessen aus, was das ins Werk gesetzte angeblich behauptet. An die Stelle dessen, was ich gerade noch glaubte gesehen zu haben, tritt ein wackliges Einerlei von Anekdoten aus dem Bauch des Spektakels, Zuckungen eines vielfach gefilterten Lebens, die umgehend im allgemeinen Vergessen ertrinken. Noch ein elender Tod, da fällt immer ein Stück runter. Was, als einziger Eindruck, spricht dagegen, sich von denen verführen zu lassen, die empfehlen, zuvor alle Hoffnungen fahren zu lassen?