Heft 3/2009 - Lektüre



Stefanie Schulte Strathaus, Florian Wüst (Hg.):

Wer sagt denn, dass Beton nicht brennt, hast Du’s probiert? Film im West-Berlin der 80er Jahre

Berlin (b_books) 2008 , S. 76

Text: Naoko Kaltschmidt


Erinnerung wird in Berlin derzeit besonders großgeschrieben. Vom »Super-Gedenkjahr« ist bisweilen die Rede, zumal mit der Gründung der BRD (1949) sowie dem Mauerfall (1989) gleich zwei höchst bedeutende historische Ereignisse zum runden Jubiläum zusammentreffen. Die Fernsehkanäle laufen heiß mit kaum enden wollenden Sondersendungen zur nationalen Zeitgeschichte, ebenso halten es diverse kulturelle und sonstige Institutionen mit ihren diesjährigen Veranstaltungsprogrammen, darunter auch höchst fragwürdige Ausstellungen wie zum Beispiel »Sechzig Jahre. Sechzig Werke« im Berliner Martin Gropius Bau. So wie die Berlinale in diesem Jahr verantwortungsvoll mit der Reihe »Winter adé – Filmische Vorboten der Wende« die letzte Dekade des Kalten Krieges beleuchtete, so hatte sich bereits einige Jahre zuvor ein Filmprogramm im Berliner Kino arsenal dieser Phase gewidmet und dabei ganz dezidiert den westlichen Teil Berlins in den Fokus genommen. Nun wurde der dazugehörige Textband nachgereicht, der erfreulich facettenreich die Filmkultur und ihre Bedingtheiten behandelt, die aus diesem subventionierten Inselbiotop, jenem sogenannten »Schaufenster des freien Westens«, erwachsen waren.
Die Anthologie entlehnt ihren Titel einem Mauerspruch und wird von assoziativen Textpassagen flankiert, die Tilda Swinton in Cynthia Beatts »Cycling the Frame« (1988) vor sich hin sagt, während sie mit dem Fahrrad die Berliner Mauer entlangfährt. »This is completely mad this place«, heißt es da etwa. Sich des Unvermögens bewusst, dieses zeitgenössische »Lebensgefühl zwischen Endzeit und Ekstase« (Florian Wüst) adäquat zu fassen – zu diesem Zwecke eignen sich freilich die eigentlichen, hier thematisierten Film- und Videoarbeiten ungleich besser –, begegnen die HerausgeberInnen dieser mittlerweile stark zum Mythos verklärten Zeit, indem sie mit unterschiedlichen Zugängen das Phänomen möglichst differenziert einkreisen.
Im Artikel von Mathias Heyden und Ines Schaber geht es beispielsweise um urbanistische Fragestellungen, ausgehend von den damaligen massiven städtebaulichen Umwälzungen, Zwangsmodernisierung bis hin zur Hausbesetzungsszene; ihr Vergleich mit der Situationistischen Internationale mag ein wenig hinken, doch es steht außer Zweifel, dass dieses so originäre, von »Entdichtung« und Umwidmung zugleich geprägte Klima auch in den Filmen dieser Zeit Niederschlag findet. Nicole Wolf wendet sich in ihren essayistisch-mäandernden Beobachtungen mit viel Empathie den Handlungsfiguren und deren sozialer Situiertheit zu und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Fort-Bewegung, das Begehren, aus dem Ist-Zustand auszubrechen. Marc Siegel thematisiert die umgekehrte Perspektive, indem er jene Westberliner Filme und Szenen beleuchtet, die sich zuvorderst der Verwirklichung alternativer Lebensformen verschrieben haben: Queerness sowohl als Genderbegriff als auch im Sinne experimentierfreudiger Grenzauslotung.
Stichwort Gegenöffentlichkeit: Antihaltung und der Ruf nach einem noch so improvisierten Aktionismus führen einen weiteren, wichtigen Einflussbereich ins Feld: Punk. Wenig verwunderlich, dass Super 8 neben Video das am häufigsten verwendete Filmmedium war; das Festival »Geniale Dilletanten« (1981), durch das Bands wie Die tödliche Doris oder Einstürzende Neubauten größere Bekanntheit erfuhren, benennt diese bewusste Hinwendung zum Stil von Home Movies, die ebenso eine eigene Ästhetik hervorbrachte. Die Möglichkeiten der Einzelbildtechnik führen zu einer hohen Schnittfrequenz, was sich auf das noch junge Genre des Musikclips auswirken sollte. So ist es auch konsequent, dass dem wiederentdeckten Musikfilm »OKAY OKAY. Der moderne Tanz« (1980) eine gesonderte Besprechung zukommt.
»Das, was übrig geblieben ist, belagert meinen Kopf. Darin setzen sich all diese Bilder immer wieder neu zu etwas anderem zusammen als zu dem, für das sie ursprünglich gedacht waren. Sie bleiben in Bewegung. Sie werden Geschichte. Das Material bleibt unvollständig«, heißt es in Thomas Heises »Material« (1988–2009), in dem der Filmemacher seinen Blick auf die DDR, aber auch die nachfolgende Zeit dokumentiert hat. Es wäre dringend wünschenswert, auch die publizistische Auseinandersetzung auf die komplementäre Seite sowie die Phase nach der Wiedervereinigung zu erweitern. Vielleicht gelingt es einstweilen dem Remake von »Cycling the Frame«, einige Leerstellen produktiv zu machen, wenn Tilda Swinton sich diesmal mit den Brachen und Resten der Mauer konfrontiert.