Heft 4/2009 - Lektüre



Linda Bilda:

Keep it real

Eine Koolektion von Comics und politischen Texten

Salzburg (Salzburger Kunstverein) 2009 , S. 75

Text: Martin Reiterer


Macht, Gewalt, Staat, Demokratie, Anarchie, Widerstand und Sabotage sind wiederkehrende Begriffe in Linda Bildas Text- und Comicsammlung »Keep it real«, die chronologisch geordnet Arbeiten der letzten 20 Jahre vorstellt. Das früheste Comicbeispiel stammt aus dem Jahr 1987. Seit 1995 hat die in Wien lebende Künstlerin ein Comic-Zine herausgegeben, »NO Comix« #1 bis #4. Nun wurden Bildas »Comix für Erwachsene und Andere« in theoretische Texte und Manifeste, die thematisch eng mit den gezeichneten Geschichten verflochten sind, eingebettet und neu veröffentlicht. »Die goldene Welt. Rick’s allerletztes Spiel« lautet schließlich Bildas neueste Comicserie, dessen erster Band die vorliegende Sammlung abschließt.
Die goldene Welt steht bei Linda Bilda für die Welt des strahlenden Geldes wie für die Welt des Scheins. Der Illusionscharakter der kapitalistischen Ökonomie gehört zu den Grundeinsichten, die den LeserInnen hier vermittelt werden. In ihren Texten geht die Autorin mit einem nominalistischem Rasiermesser zur Hand, seziert Begriffe und legt sie frei von Bedeutungen, die sich eingeschlichen und vernebelnd über sie gestülpt haben. Denn tatsächlich hat eine solche verfälschende Wahrnehmung und Einschätzung von Phänomenen, so die Erkenntnis der Autorin, eine verheerende Auswirkung auf den Spielraum der individuellen Handlungsmacht. Der Begriff der Macht ist ein elementares Beispiel für eine derartige Fehleinschätzung und Verkennung ihrer Bedeutung aufgrund begrifflicher Undifferenziertheit. Erst dadurch, dass die Prinzipien ihrer Herstellung – unbewusst oder gezielt – im Unklaren belassen oder verwischt werden, wird Macht zum Herrschaftsinstrument. Während die Individuen sich in der Folge allzu gern ohnmächtig zurückziehen, verabsäumen sie es zu begreifen, dass genau sie es sind, die Macht herstellen (können). In ihren traktatartigen Ausführungen greift Bilda auf AutorInnen und klassische Texte der politischen Philosophie zurück, Bezüge auf Hannah Arendts »Macht und Gewalt« (1970) finden sich hier ganz explizit, deutlich spürbar ist auch die Auseinandersetzung mit den Theorien Antonio Negris und Michael Hardts (»Empire«, 2000). Diese Spuren lassen sich noch über den Rahmen des Buches hinaus verfolgen. So sind Negri und Hardt auch in der von Bilda (seit 1999) mit herausgegebenen Zeitschrift für Kunst, Politik und feministischer Kritik, »die weiße Blatt«, präsent (online unter http://www.dieweisseblatt.org/index.html ).
Im Vergleich zu ihren Texten können Bildas Comics auch verspielt sein. Der Strich der früheren Arbeiten kann geradezu als zart und poetisch bezeichnet werden. Ausgehend von alltäglichen politischen Ereignissen reichen die Themen von heimischen Entscheidungsfindungen (»Warum?? hat? meine? Mutter?? den?? Haider??? gewählt???«) bis hin zu folgenschweren Einflussnahmen des Internationalen Währungsfonds in anderen Gegenden auf der globalen Landkarte (wie etwa Argentinien). Auch Witz und Satire kommen zum Zug, wie etwa in »Absturz in die Hölle« (1995), wo Bill Clinton, Boris Jelzin und Helmut Kohl nach einem Flugzeugabsturz im Dschungel aufeinandertreffen und Claudia Schiffer zur besonnen pragmatischen Gegenfigur einer der Illusion beraubten Realität wird. Spannend zu beobachten ist es, wie Sprachbildmotive wiederkehren: »Die Macht der Spinne« lautet der Titel eines »NO Comix« der 1990er-Jahre, die »Hauptstadt San Ragno« (»ragno«, ital. Spinne) taucht ein Jahrzehnt später in »Der goldenen Welt« erneut auf als »Downtown San Ragno«. Das Interesse an der Analyse der Macht mündet schließlich in ihrer Fortsetzung als Analyse der Ökonomie und deren Verhältnis zu Realität/Illusion. Die Comics stellen hierzu gleichsam Versuchsanordnungen dar, um auf umgekehrtem Weg zu zeigen, wie »Illusionen Realität produzieren«.
Gemäß einer solchen Versuchsanordnung ist auch »Die goldene Welt« angelegt: »Rick’s letztes Spiel« ist nämlich das Vermächtnis von einer Milliarde Dollar an einen auserwählten Personenkreis. Wer mit einer festgelegten Summe Startkapital am meisten Gewinn erarbeiten wird, soll den restlichen Teil der Milliarde dazuerhalten. (Die Website »Die goldene Welt« unter http://www.thegoldenworld.com bietet eine Reihe weiterer Infos zu dem Projekt und zu den ProtagonistInnen des Comics.) Bilda stellt ihr Experiment in das Spannungsfeld von Robert Musils Begriffen vom Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn und führt ihre Überlegungen andererseits auf eine Auseinandersetzung mit Jean-Pierre Voyers »Untersuchungen über Natur und Ursachen des Elends des Menschen« (1976) zurück. Der einstige Vertreter der Situationistischen Internationale legte damit ein beißendes Pamphlet (nicht allein) gegen den Kapitalismus vor, das teils wie auf die gegenwärtige Lage hin zugespitzt erscheint, wie man mit reichlich Zitaten veranschaulichen könnte: »Die Wirtschaftskrise ist nichts anderes als das ›Spektakel der Unzufriedenheit‹ der Besitzer dieser Welt.« Wie weit Voyers Schmähschrift – ein Rundumschlag, der sich mitunter wie verzweifelte Polemik ausnimmt – als Zündstoff für eine nachhaltige Kapitalismuskritik brauchbar ist, sei hier dahingestellt.
Bildas Comics lassen sich am ehesten als »visuelle Denkprozesse« betrachten, weniger geeignet als Strandlektüre denn als Studium einer dem Mainstream gegenläufigen Bildproduktion, wie sie im »Manifest für emanzipatorische Bildproduktion« gefordert ist. Wenn die Künstlerin »zur Schonung der eigenen Ressourcen« Sabotage immaterieller Arbeit anregt, so steht das in Zusammenhang mit ihrem Begriff von Widerstand als »Teil der eigenen, individuellen Praxis«; dazu zählen in diesem Sinne zweifellos auch ihre Comics.