Heft 2/2010 - Lektüre



Jonathan Finn:

Capturing the Criminal Image. From Mug Shot to Surveillance Society

Minneapolis (University of Minnesota Press) 2009 , S. 77

Text: Peter Kunitzky


Vorratsdatenspeicherung. Ein hässliches Wort – mit einigem Potenzial zum Unwort des Jahres – für eine hässliche Sache, eine so hässliche Sache, dass jüngst sogar das deutsche Bundesverfassungsgericht zusammentreten musste, um sie, also die sechsmonatige Sicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten aller deutschen BürgerInnen, wieder aus der Welt zu schaffen, jedenfalls vorläufig. Aber ein schönes Beispiel dafür, wie sehr die exekutive Gewalt bereits auf die umfassende Überwachung setzt, und das auf einen ziellosen Verdacht hin, einzig genährt durch die ungewisse Annahme eines fernen, zukünftigen Verbrechens. Dass diese Kultur des Argwohns sich freilich nicht nur in deutschen bzw. europäischen Landen – die Vorratsdatenspeicherung beruht schließlich auf einer EU-Richtlinie – fest eingewurzelt hat, sondern in den USA noch viel bösere Blüten treibt, ja, dass jener Argwohn dem Sicherheitsapparat gleichsam systemimmanent ist und aus dem technologischen Fortschritt sowie den damit wachsenden Möglichkeiten zur Sammlung, Speicherung und Übermittlung von Daten resultiert, das zeigt uns nun Jonathan Finn in seinem Buch »Capturing the Criminal Image«.
Finn, kanadischer Professor für Kommunikationswissenschaften, untersucht dazu mit dem Verbrecherfoto, dem Fingerabdruck und der DNA-Analyse drei Techniken der kriminalistischen Identifizierung, die sich alle – wie im Titel bereits anklingend – mehr oder weniger offensichtlich der fotografischen Repräsentation bedienen und folglich aufs Trefflichste Foucaults Diktum von der »Sichtbarkeit als Falle« exemplifizieren: Das Sichtbare wird identifiziert, klassifiziert, kontrolliert. Während jedoch das Verbrecherfoto, das aufgrund seiner indexikalischen Objektivität schon sehr früh, nämlich bereits ab 1841, in den Polizeidienst aufgenommen wurde, erst post festum, das heißt nach dem Vergehen zum Einsatz kommt und den Körper der DelinquentInnen nur noch aufzeichnet, verhält es sich bei Fingerabdruck (ab ca. 1900) und DNA-Analyse (ab Mitte der 1980er-Jahre) gewissermaßen umgekehrt, indem hier zu den kriminellen Spuren erst der passende Körper gesucht werden muss; ein Umstand, der das Konzept der Kriminalität insofern modifiziert, als diese nun nicht mehr an einem bestimmten Körper festgemacht werden kann, sondern potenziell in allen Körpern bzw. deren visuellen Repräsentationen vermutet werden muss, die sich, ginge es nach der exekutiven Macht, idealiter zur Gänze für Kontrollzwecke in einem Datenspeicher befinden müssten.
Dass ein solches Orwell’sches Szenario – zumal in einem Land wie den USA, das noch immer unter dem traumatischen Eindruck von 9/11 steht – keine reine Phantasmagorie mehr vorstellt, illustriert ein Programm wie US-VISIT, das allen BesucherInnen der Vereinigten Staaten, und das sind immerhin 35 Millionen im Jahr, Fotos, Fingerabdrücke und biografische Angaben abnötigt, um dieses Material etwa mit bestehenden Datenbanken, darunter der des FBI, abgleichen zu können. Immerhin aber wird hier die amerikanische Gastfreundlichkeit über alle gleichmäßig ausgeschüttet und nicht so wie bei dem Vorgängerprogramm NSEERS nur jenen zuteil, die aufgrund ihrer Nationalität (Iran, Irak etc.), ihrer Religion (Islam) und ihres Geschlechts (männlich) das Unglück hatten, das westliche Klischee eines typischen Terroristen zu erfüllen und somit ganz nebenbei an sich demonstriert zu bekommen, dass auch die avancierteste Technik nicht verhüten kann, in atavistische Verhaltensmuster zurückzufallen und Kriminalität wieder an äußere Zeichen zu knüpfen, wie es der berüchtigte Cesare Lombroso schon im 19. Jahrhundert vorgemacht hatte. Pech haben aber auch diejenigen LeserInnen, die sich von dem schmalen Band durchwegs mehr versprechen als eine konzise Kompilation emsig aufgelesener Erkenntnisse zu den drei Techniken: Er ist theoretisch eher anspruchslos, wissenschaftlich uneindeutig, vermutlich jedoch den jungen Surveillance Studies zuzuschlagen (vermieden wird indessen wider Erwarten so gut wie jede kunsthistorische oder bildwissenschaftliche Einlassung), und erschöpft sich vorwiegend in der trockenen Wiedergabe wissenschafts-, rechts- und technikgeschichtlicher Entwicklungen, die mit der Hilfe von Betroffenheitsrhetorik dramatisiert werden. Trotzdem alarmierend.