Heft 1/2011 - Netzteil
»Everything’s Ok« betitelt Tintin Wulia ihre Videoarbeit von 2003. Zunächst erscheint es tatsächlich so. Ein Liegestuhl wird aufgestellt, und ringsherum wachsen Pflanzen, dann aber erfolgt ein abrupter Wandel. Nach und nach entsteht eine unsäglich wuchernde Styroporstadt, mit immer höher werdenden Häusern, riesigen Werbetafeln und kaum noch Grün. Obwohl sie im Puppenstubenformat aufgebaut ist und wie eine Spielwelt auf einem Kinderzimmerteppich wirkt, wird die vorgespielte rasante urbane Entwicklung doch als ein bedrohlicher Vorgang gezeigt, bei dem aus der anfänglichen Idylle ein Albtraum entspringt. Entstanden ist diese fein ausgeklügelte Arbeit bei einem Workshop des ersten OK.Video Festivals in Jakarta. Auch wenn Wulias Werk aus der spezifischen Realität dieser Stadt herrührt, überschreitet es durch seine schemenhafte Ästhetik den örtlichen Rahmen und zeigt gleichermaßen das generelle Ausmaß fehlgeleiteter Stadtentwicklungen.
In einem lokal-globalen Kontext lassen sich auch die elf anderen Videoarbeiten ansiedeln, die Katerina Valdivia Bruch1 für eine kleine Retrospektive des OK.Video – Jakarta International Video Festival2 nach Berlin gebracht hat. Zu sehen ist etwa eine Videoperformance von Reza Afisina, der sich selbst unaufhörlich ins Gesicht schlägt, während er atemlos Verse aus dem Lukas-Evangelium zitiert, die vor Heuchelei warnen, bis die Erschöpfung ihn überwältigt. Oder Anggun Priambodo, der indonesische Seifenopern parodiert, während Prilla Tania in »Clean Up« (2007) mit Gasmaske, Schutzhaube und Wischtuch ausgestattet versucht, die Mattscheibe von innen zu reinigen, als wolle sie jegliche Erinnerung an ausgestrahlte Fernsehbilder auslöschen.
Die Auswahl indonesischer Videokunst aus den vergangenen Festivalbeiträgen schafft einen interessanten Einblick in die Themen und Arbeitsweisen einer noch jungen Kunstszene. Erst zu Beginn der 1990er-Jahre begann Video in Indonesien langsam als künstlerisches Medium eine Rolle zu spielen. Während fast alle Arbeiten von einer jungen KünstlerInnengeneration zwischen 1984 und 1972 stammen, steht Krisna Murti3, Jahrgang 1957, als ältester Künstler fast alleine da. Dazwischen befindet sich nur Tiong Ang (geboren 1961), der aber in den Niederlanden aufgewachsen ist. Murti hingegen gilt als Pionier der indonesischen Videokunst, der die heutige Generation mit beeinflusst hat.
Murti, Teguh Ostentrik und Heri Dono experimentierten damals mit Video, um das kreative Spektrum ihrer multidisziplinären Installationen zu erweitern. Aber nur Murti arbeitet auch heute noch damit. In seiner ersten großräumigen Videoinstallation »12 Hours in the Life of Agung Rai, A Dancer« (1993) waren die Monitore, über die eine Dokumentation des traditionellen balinesischen Tänzers Agung Rai lief, in aufgehäufte Reishülsen eingebettet. Murtis visuelle Strategie setzt an einem ähnlichen Punkt an wie Nam June Paik, der in den 1960er-Jahren mit seinen ersten Videokunstarbeiten die Rolle des Fernsehens zu dekonstruieren begann. Eine andere frühe Arbeit, »Learn to Queue from the Ants« (1996), versuchte zu einer Zeit, in der direkte Kritik zu gefährlich war, mit einer verschleierten Botschaft den Einsatz der Fernsehindustrie als Massenmanipulationsmittel für Suhartos Regime (1967–1998) zu tadeln.
Ende der 1990er-Jahre, während des Umsturzes der Regierung, wurde das Medium Video in Indonesien schließlich verstärkt zu einem Instrument der kritischen Auseinandersetzung mit den staatlichen Gegebenheiten. Ohne einen künstlerischen Anspruch wurden Videoaufnahmen zu Zeugnissen der damaligen Situation des Landes. Sonach tauchte eine massive Verwendung audiovisueller Medien in Indonesien zuerst in einem alltäglichen Kontext auf und hatte in der Regel politische und soziale Hintergründe, ein breiter künstlerischer Einsatz folgte erst um das Jahr 2000.
Nach Suhartos Rücktritt wurden demokratische Reformen eingeleitet, und vor allem junge Leute brachten »Reformasi«4 nicht nur mit Videobildern, sondern auch über das Internet voran, etwa über Mailinglisten. Diese aktivistische Bewegung setzt sich bis heute fort und motiviert auch Teile der experimentellen Videokunstszene um die KünstlerInneninitiative Ruangrupa5 (»Raum des Ausdrucks«), die hinter dem OK.Video Festival steht, das seit 2003 alle zwei Jahre stattfindet. Ruangrupa wurde im Jahr 2000 von Ade Darmawan, Hafiz, Lilia Nursita, Oky Arfie, Rithmi, Ronny Agustinus und Ade Tanesia in Jakarta gegründet. In Indonesien gab es bis dahin keine Räume, wo Videokunst ausgestellt oder produziert werden konnte, und es fand auch kein Diskurs über alternative Kunstformen statt. Also fingen die KünstlerInnen an, das alles selbst aufzubauen.
Videokunst im öffentlichen Raum
Wirft man einen flüchtigen Blick auf OK.Video, das sich zum angesagtesten Kunstevent in Jakarta entwickelt hat, lässt es sich kaum von anderen zeitgenössischen Biennalen unterscheiden. Bei der letzten Ausgabe 2009 nahmen 80 KünstlerInnen aus 27 Ländern teil, und zur Eröffnung kamen 2.000 BesucherInnen in die Nationalgalerie. Interessanterweise basiert das Festival aber auch auf einer dezentralen Struktur, in der künstlerische Aktivitäten einen Bezug zur Alltagsrealität herstellen und die Trennung zwischen hoher und niederer Kunst aufgehoben werden soll. Wenn die bewegten Bilder nun auch im öffentlichen Raum – in Supermärkten, Bahnhöfen, Banken, Universitäten und ausländischen Kulturzentren – präsentiert werden, wird versucht, die egalitäre Qualität des Mediums zu nutzen. Das Risiko dieses Screening-Modells könnte allerdings darin liegen, dass die Arbeiten nur im Vorbeigehen gesehen werden und es vielleicht gar nicht gelingt, in den Puls des urbanen Lebens einzudringen.
Ein weiterer Aspekt der Befreiung aus der Kunsthierarchie liegt in den vielfältigen Video-Workshops, die im Vorfeld des Festivals im ganzen Land für sehr unterschiedliche Gruppen angeboten und deren Resultate während des Festivals präsentiert werden. Die KünstleraktivistInnen sehen die ZuschauerInnen gleichsam als PartnerInnen an und versuchen, mit ihnen eine horizontale Beziehung aufzubauen. Ähnlich wie die Regierung unter Suharto den Gebrauch von Video in der Gesellschaft aus Angst vor subversiven Einsätzen zu kontrollieren begann, geht es Ruangrupa genau um diese Einsatzform. Eine mehrmals zitierte Bemerkung von Hafiz, dem künstlerischen Leiter von OK.Video, heißt daher auch: »Ein guter Künstler ist ein Aktivist, und ein guter Aktivist ein Künstler.«6
Dieses Motto gilt auch für Forum Lenteng7, das Hafiz mit Otty Widasari und einer Gruppe von StudentInnen 2003 gründete. Es ist das erste Archiv für die Dokumentation und Recherche über Video und Film in Indonesien und entwickelt thematische Projekte, die sich an der Grenze zwischen Videokunst und Dokumentarfilm bewegen. »9808«8 ist eines davon. Zehn Jahre nach dem Sturz von Suharto dokumentierten FilmemacherInnen ihre Eindrücke der chaotischen Ereignisse, die unter anderem die Brüche in der indonesischen Gesellschaft schmerzvoller denn je zum Vorschein brachten. Mit einem humorvollen Film erzeugt zum Beispiel Ariani Darmawan einen Blick auf den politischen Subtext ihres Namens. Als Chinesin wurde sie gezwungen, einen indonesisch klingenden Namen anzunehmen. Die Arbeiten von »9808« stammen von kritischen KünstlerInnen, die mithilfe von Video versuchen, in der indonesischen Mediengesellschaft andere Ausdrucksräume zu erzeugen, als sie die normalen Massenmedien bieten. Eine weitere Besonderheit der alternativen Kunstszene ist für Hafiz das Gemeinschaftskonzept. »Als Ruangrupa arbeiten wir jetzt bereits zehn Jahre zusammen. Für mich ist diese Tatsache sehr beeindruckend. Wir streiten uns, aber wenn wir uns für ein Projekt entschieden haben, können wir uns aufeinander verlassen.«
Von 28. Dezember 2010 bis 27. Jänner 2011 feiert Ruangrupa seinen zehnten Geburtstag mit einer Reihe von Events in der National Gallery of Indonesia, der Galeri Cipta II & III und an verschiedenen öffentlichen Orten in Jakarta.
Mit »Recorded Waves: Moving Images from Indonesia« zeigt Katerina Valdivia Bruch eine weitere Auswahl von Videokunst aus Indonesien im Para/Site Art Space, Hong Kong (19. November 2010 bis 16. Jänner 2011).
1 http://www.artatak.net. Die Ausstellung fand vom 3. September bis 16. Oktober 2010 im Projektraum von art and culture international e.V. im KunstBüroBerlin statt.
2 http://okvideofestival.org/okvideo
3 »Mediatopia: Krisna Mutri’s Works, 1993–2010« wurde von 3. bis 20. Dezember 2010 in der Semarang Contemporary Art Gallery gezeigt.
4 Als Reformasi wird in Indonesien die Zeit nach der Regierung Suhartos bezeichnet.
5 www.ruangrupa.org, www.karbonjournal.org
6 Vgl. Krisna Murti, Essays on Video Art and New Media: Indonesia and Beyond. Yogyarkata 2009, S. 259.
7 http://www.forumlenteng.org, http://www.akumassa.org, http://www.jurnalfootage.net
8 http://www.9808films.wordpress.com