Heft 2/2011 - Artscribe


Manfred Pernice »sculpturama«

26. November 2010 bis 13. Februar 2011
Secession / Wien

Text: Nicola Hirner


Wien. Die Szenografie der »sculpturama« betitelten Schau von Objektinstallationen ähnelte der Atmosphäre einer Messe in einer krisenhaften Situation. Pernice, der seine Ästhetik situativ entwickelt, verschränkt in seinen Ausstellungen kulturelle und urbane Beobachtungen, wenngleich seine »Gebilde« (Pernice) immer auch selbstreferenziell gedacht sind. »Sculpturama« verbreitete den schalen Nachgeschmack des Kaufhauses des »kapitalistischen Realismus«, in dem die fehlende Wertschöpfung der Warenwerte durch die Inszenierung der Schau ausbalanciert wurde. Vergleichbar den improvisierten Manifestationen der SituationistInnen diffundieren die formalen Analysen scheinbar nebensächlicher urbaner Phänomene asynchron zwischen komplexen Bezugssystemen unterschiedlicher Erscheinungs- und Bedeutungszusammenhänge. Die einzelnen Elemente passen sich durch eine formale Flexibilität und Profanisierung der zunehmenden formalen Diversifikation an. Als kompatible Implementierungen konturieren sie alle Lebens- und Gestaltungsbereiche mit (post-)modernistischen Strukturen und Transformationsprozessen. Dabei werden die realistischen Verweise immer wieder von der Abstraktion aufgefangen: Nicht Kritik steht hier im Vordergrund, sondern eine Bearbeitung von umfassenden kulturellen Gestaltungsprozessen. Insofern setzt Pernice die antiindividualistische, verallgemeinernde Systematik der KonstruktivistInnen fort, gleichzeitig stehen seine Arbeiten der Bricolage näher als dem Ideal des progressiven »Künstleringenieurs«, wird doch die von den KonstruktivistInnen geforderte Umsetzung, Kunst und Leben miteinander zu vereinen, in der Ausstellung als defizitäres Projekt verhandelt. Auch von der ironisch gebrochenen Aufbruchsstimmung des poppigen Realismus der 1960er-Jahre, der die Erfahrungen der DDR mitreflektierte, ist fünf Jahrzehnte später nichts mehr zu spüren. Es werden experimentelle Formanalysen erstellt, die sich an alltäglichen Wahrnehmungen orientieren und allenthalben auf Unzulänglichkeiten stoßen. Aus der Kombination dieser paradoxen Situationen entsteht ein skulpturales Verständnis von Wirklichkeit, in der sich die Paradigmen der Moderne in der Summe von Approximationen und Adaptionen der im Spätkapitalismus zirkulierenden Warenwerte auflösen. Die Überlagerung der Referenzen verleiht den einzelnen Objekten eine polyvalente Flexibilität, die die Bildung architektonischer Environments begünstigt. In den Objektinstallationen verschränkt sich das ästhetische Angebot der ehemaligen DDR mit jenem des Westens. Dabei wird die ausgefeilte Blickregie als attraktives Angebot lanciert: Hat man die Passage der »Brücke« – ein umfunktionalisiertes Versatzstück mit begehbarer Terrasse – passiert, weitet sich der Blick. Um das Gebilde der »Evaluation« in der Mitte – eine Art Waage oder Bank – wurden Objektinstallationen arrangiert, in denen Displays und Objekte, Objets Trouvés aus urbanen Kontexten, Verpackungen und Inhalte gleichwertig miteinander verbunden werden. Sich drehende Zylinder und gestapelte Kuben aus Pressspanplatten mit monochrom bemalten Fliesen zeigen Spuren abstrakter Malerei in grellen Farben, die in Anspielung auf eine westliche Tradition der Abstraktion mit der angewandten Ästhetik der DDR und des spätkapitalistischen Alltags kombiniert werden. Die Hinterlassenschaft des deutschen Wirtschaftswunders, die bis ins 21. Jahrhundert von deren Kehrseite – der Mangelwirtschaft – begleitet wurde, wurde als Sortiment von Genussmitteln, Haushaltswaren und Lebensmittelimitaten ausgebreitet. Von der Euphorie über den Massenkonsum, die noch Claes Oldenburg zu verbreiten wusste, war hier nichts mehr zu bemerken. Pernice bezog auch seine Beobachtungen in Wien mit ein: Neben dem deutschen Käsekuchen aus Keramik drehte sich »K.u.K.« (»Kaffee und Kuchen«) in Anspielung auf die Tradition der Mehlspeisküche in der Monarchie als glasierte Keramikskulptur zusammen mit Kaffee, einem Paket Schrauben und diversen Gimmicks auf einem Display, das wie ein nüchternes Zitat auf Victor Gruens und Elsie Krummecks Display-Drama des New Yorker Verkaufslokals für das Konfekt von Altman & Kühne aus den 1930er-Jahren anmutete.1
Die Auswirkungen der Transformationen der diversen Repräsentationsmodi auf die Typologien und Inhalte werden als Morphologie der Formen und Oberflächenstrukturen in unterschiedlichen Medien bearbeitet. Exemplarisch dafür ist die »Tankstelle«, in der die Aufstellung zweier mehr oder weniger konkreter Skulpturenimitate in Form eines konstruktivistischen Monuments, einer Skulptur nach Wotruba und dem Titel gebenden Bausatz völlig gleichwertig nebeneinander erfolgte. Konzeptuelle Ansätze wie die in dem gemeinsam mit den Architekten Jabornegg & Palffy ausgeführten Denkmal »tür+tor« für die am Galgen Gehängten und die Schlosshunde im Schlosspark von Grafenegg unterlaufen die Prinzipien der Repräsentation, indem sie deren feudale Strukturen zugänglich machen und offenlegen. Der Verlauf von einer feudalen Repräsentationskultur über eine bürgerliche Geschmackskultur zum Massenkonsum bzw. deren eigenständige Ausprägungen nach der Verstaatlichung der Betriebe in der DDR wurde anhand der Porzellan- bzw. Keramikerzeugung in Sachsen, den Faïencerie in Frankreich sowie der Bleikristallerzeugung in Lothringen mit der »Liquidation Tischwelten« als einer Ansammlung von Geschirr und Bleikristallerzeugnissen auf bemalten Zylindern gezeigt; Textmaterialien lieferten Hintergrundinformationen: So war die maschinelle Produktion der Weimarer Spritzdekorkeramik der 1920er-Jahre an der russischen Arbeiterkeramik und der avantgardistischen Malerei orientiert, wie sie am Bauhaus gelehrt wurde. Da diese konstruktivistischen, geometrischen Dekors nicht nur einen proletarischen, sondern auch einen internationalen Anspruch hatten, wurden sie während des Nationalsozialismus sukzessive verdrängt und durch handwerkliche Techniken und gegenständliche – meist florale – Sujets ersetzt. Ende der 1920er-Jahre verbreitete sich das Spritzdekor auf alle künstlerischen Gattungen, Bereiche des Interieurs und öffentliche Gestaltungen. An diese Tradition knüpft Pernice mit seinen grell gespritzten Schablonenmalereien an.
Ein möglicher Zugang zu Pernices erweitertem Skulpturenbegriff könnte auch als pragmatische Annäherung über seine biografischen Eckdaten verlaufen. 1963 in Hildesheim geboren wuchs Pernice in Niedersachsen in der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders auf. Unweit von Hildesheim befindet sich Hannover, eines der größten internationalen Messezentren, das sich in der Nachkriegszeit in Konkurrenz zu den in Leipzig stattfindenden Fachmessen etablierte. Durch die ökonomisch bedingten Innovationen veränderte sich das Bild dieser Messen ständig. Pernices Interesse gilt nicht der identitätsstiftenden Signifikanz der Architektur der Weltausstellung, sondern den gewöhnlichen Rahmenbedingungen. Atmosphärisch reagieren die bricolageartigen Objekte mit einer Beiläufigkeit auf derartige Orte. Anstelle der Prozesse ökonomischer Progression implementieren die semiabstrakten Objektinstallationen die Verläufe von einer industriellen zu einer postindustriellen Gesellschaft.

 

 

1 Victor Gruen, geb. 1903 in Wien, Architekt und Stadtplaner, emigrierte 1938 in die USA. Er prägte die Kultur des urbanen Konsums als Gestalter von Geschäftslokalen und Schaufenstern. Ab 1939 arbeitete er mit seiner späteren Frau, der New Yorker Designerin Elsie Krummeck, zusammen, die u.a. auch zahlreiche Ausstellungsdisplays für die New Yorker Weltausstellung von 1939 gestaltete. In den 1950er-Jahren entwickelte Gruen das Konzept für die ersten Shopping Malls.