Heft 3/2011 - Artscribe


Rabih Mroué – »(I, the Undersigned) The People are Demanding«

23. März 2011 bis 14. Mai 2012
iniva (Institute of International Visual Arts) / London

Text: Jörn Ebner


London. Gleich beim Eintreten ist schon ihre Stimme zu hören, wie sie nach einem Verlorengegangenen ruft: »Rabih? Rabih?« Eine schöne Frau inmitten einer Trümmerlandschaft, Sorgen in ihrem Gesichtsausdruck, sie schaut nach vielen Seiten, bis der nur wenige Minuten lange Videoloop wieder zum sorgenvollen Rufen zurückkehrt. Catherine Deneuve tritt in Rabih Mroués »Je Veux Voir« (2010) als videografische Figur vor einem langen fotografischen Hintergrund auf, eine Mauer, auf der angeklebte und dann wieder abgerissene Poster und Bilder den Verlauf der Zeit dokumentieren. Aber eigentlich ist hier nur eine traurige Zeit der Zerstörung und Verwüstung durchlebt worden. Von deren Bewältigung im Jetzt spricht der Tonfall von Deneuves Stimme, ihr Ruf eines Namens, in der die Suche nach einem verschollenen Sohn Ausdruck findet, ohne dass hier explizit davon die Rede ist. Alter und Aussehen der Frau unterstützen den Eindruck, dass ihre Suche einem jüngeren Menschen gilt, nicht ihrem Gatten, einem Freund oder einem Hund, obwohl auch diese Lesarten denkbar wären.
Der Ausstellung dient diese Arbeit als Leitmotiv, das sich im Verlauf mal kurz und präzise, mal lang und unübersichtlich wiederholt: das Individuum in einer von Gewalt dominierten Gegenwart. Das Kurzvideo »Old House« etwa zeigt die Zerstörung eines Stadthauses, wobei der Videoschnitt immer wieder von einem mal mehr, mal weniger fortgeschrittenen Zustand des Zusammenbruchs zum Ursprung zurückfährt. Eine Stimme meditiert derweil über die Rolle von Kunst und Erinnerung: Der Sprecher möchte mit seinen Bildern das Vergessen fördern, nicht die Erinnerung wachhalten. Die Installation »Grandfather, Father and Son« (2010) wiederum nimmt formal eine erzählende Haltung der Konzeptkunst ein: Auf einem Wandsegment ragt eine arabisch beschriftete Zettelsammlung empor, daneben entfaltet sich die Erzählung über eine Familie in Buchsatz auf der weißen Wand, während darunter eine umfangreiche Blättersammlung mehrere Wahrscheinlichkeiten einer Bildsequenz mathematisch zu errechnen scheint. Noch weiter links erzählt in einem Video ein bärtiger, professorenhaft erscheinender Herr vor einer Bücherwand eine weitere Geschichte. Aus all diesen Fragmenten über Tod und Zerstörung im libanesischen Alltag einer Familie verdichtet sich das Drama der menschlichen Existenz in einem Umfeld von politischer und religiöser Gewalt. Die Figur im Video wird von Mroué selbst dargestellt; die Erzählung an der Wand handelt unter anderem von der Ermordung seines Großvaters, ansonsten von eigenen familiären Ereignissen vor diesem Hintergrund. Der 1967 geborene Mroué wuchs mit dem Bürgerkrieg im Libanon auf und nimmt Fiktion und Realität als Material für diese stark literaturinspirierte Arbeit.
In einer weiteren Projektion, die in einem separaten Raum vorgeführt wird, hält Rabih Mroué einen Videovortrag. »On ›Three Posters‹, Reflections on a video-performance by Rabih Mroué and Elias Khoury« (2004) reflektiert er über den Inhalt und die künstlerische Motivation einer frühen Arbeit, die sich mit dem ersten libanesischen Selbstmordattentäter 1985 beschäftigt. Diese Arbeit war motiviert von den schauspielerischen Aspekten eines Videos, das den späteren Selbstmörder beim Erklären seiner Tat zeigt. Aus diesen Videoaufnahmen entwickelten Mroué und Elias Khoury ihre später vielerorts aufgeführte Performance »Three Posters«. Da diese aber außerhalb des libanesischen Kontexts nicht verständlich sei, wenn nicht sogar zu Missverständnissen führen könne, hätten sie sich entschieden, die Arbeit nicht weiter aufzuführen. An ihre Stelle tritt dieser präzise artikulierte und observierte Videovortrag, der Bildanalyse und künstlerische Haltung kritisch untersucht und erläutert.
Am Ende ist es wieder die Verantwortung des Einzelnen, des Künstlers in diesem Fall, die in Bezug steht zu den tödlichen und zerstörerischen Ereignissen in der Welt, oder, wie in diesem speziellen Fall, im Libanon, von der diese Ausstellung spricht. Am prägnantesten schließlich an einer Leerstelle, an der eigentlich die Arbeit »I, The Undersigned« hätte hängen sollen. Handschriftlich vermerkt der Künstler neben zwei in die Wand eingelassenen Monitoren, dass hier eine Arbeit hätte hängen sollen, in der er sich mit der Eigenverantwortung im libanesischen Gewaltkonflikt befasst habe. Also eine weitere Meditation über die Rolle des Individuums im politisch-militärischen Konflikt, die nahtlos an die in der Ausstellung gezeigten Werke angeknüpft hätte. Just in dem Augenblick der Ausstellungsvorbereitungen aber erhob sich die ägyptische Bevölkerung gegen Mubarak und Mroué sah keine Rolle mehr für seine auf die Position des Einzelnen konzentrierte Kunst. Er änderte den Titel der Ausstellung von Ich-Bezug zum »Fordern der Bevölkerung«. Auf der großen Fensterfront schließlich listen weiße Vinyllettern eine Vielzahl von politischen bis privaten Forderungen auf, die vielleicht jene eines sogenannten Volks sind?
Jedenfalls vermittelt der Künstler hier einen Bruch mit seiner Wahrnehmung, dass es nicht nur in der Verantwortung eines Einzelnen liegt, sich der politischen Gegenwart zu stellen, also seine eigene Perspektive vielleicht revidiert werden müsse. Zugleich klingt aber auch die Hoffnung an, dass wenn die Bilder die Erinnerung erst einmal zerstört haben, eine bilderlose Gegenwart das Denken im Jetzt fördert.

Die Ausstellung, die von der BAK, basis voor actuele kunst, Utrecht konzipiert und dort von 21. Mai bis 1. August 2010 gezeigt wurde, ist von 22. Mai bis 31. Juli 2011 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart zu sehen.