Heft 3/2012 - Netzteil


Porno for the People

Die Medienwissenschaftlerin Katrien Jacobs und ihre Forschungen zu sexueller Repräsentation und Repression in China

Tim Stüttgen


Katrien Jacobs ist seit Langem als Forscherin in Sachen sexueller Repräsentation in Web- und Subkulturen tätig. Ihr letztes Buch widmet sich den Bedingungen chinesischer Pornografie sowie deren Überwachung und Zensur. »People’s Pornography – Sex and Surveillance on the Chinese Internet« (2011) ist sicherlich eine der umfangreichsten und unzensiertesten Studien zum Thema – und hätte laut Jacobs’ Aussagen von chinesischen Researchern kaum ohne Intervention des Staats realisiert werden können, der die Produktion und den Konsum von Pornografie seit 1949 verboten hat.

Tim Stüttgen: In deinem Buch »People’s Pornography« kommen zwei biografische Stränge zusammen. Du hast zwei einflussreiche Konferenzen zu Internetpornografie – »The Art and Politics of Netporn« (2005) und »(C)lick Me« (2007) – mit organisiert und beschäftigst dich mit dem Thema schon seit über zehn Jahren. Andererseits lebst und arbeitest du als Professorin an der Chinese University in Hongkong. Dein Buch ist nicht nur eines der relevantesten in seinem Kontext, sondern es zeichnet sich neben vielen Analysen zu Netporn, Blogs, sexuellen Subkulturen, Zensur und Überwachung in China auch durch eine persönliche Schreibweise aus, in der du dich als Europäerin in einem anderen Kontinent reflektierst.

Katrien Jacobs: Ich lebe und arbeite jetzt seit knapp sieben Jahren in Hongkong. Für das Buch habe ich nicht versucht, Brücken zwischen euroamerikanischen und chinesischen Netporn-Philosophien zu konstruieren. In der Tat lassen sich diese zwei intellektuellen und erotischen Kontinente kaum vergleichen – ich selbst war mir der Gefahr sehr bewusst, meine eigenen Vorstellungen auf chinesische Kontexte zu projizieren. Wichtig für die Entstehung des Buchs war auch, dass ich seit langer Zeit mit ÜbersetzerInnen und FreundInnen zusammenarbeitete, die mir bei der Recherche Informationen zugänglich machten – und natürlich meine StudentInnen, die sehr offen gegenüber visueller Erotik waren.
Als ich den Schreibprozess am Buch nach langer Zeit beendete, wurde ich erst mal deprimiert wegen meiner kulturellen Isolation und den brutalen Repressionen gegenüber DissidentInnen wie Ai Weiwei. Dann wurde mir aber bewusst, dass ich die selbstreflexive, radikale und humorvolle Perspektive auf Pornografie, welche ich in jahrelanger Interaktion mit einigen anderen ForscherInnen in Berlin und Amsterdam entwickelt hatte, retten musste.
Der Zeitpunkt, von dem ich spreche, war April 2011. Ai Weiwei war gerade in Untersuchungshaft, und ich hatte das Gefühl, meine emanzipatorischen Positionen zu Pornografie hätten sich angesichts der Realität erschöpft. Hunderttausende chinesische Net-UserInnen sowie KünstlerInnen reagierten dann aber auf den Fall. Es war ein wichtiger Konfrontationsmoment mit den chinesischen Autoritäten. Ich war verwirrt von der Situation, entschied mich aber letztendlich, das Buch zu veröffentlichen. Anders als ich es erwartet hatte, wurde das Buch selbst in den asiatischen Mainstream-Medien viel diskutiert. Es wurde Teil des erotischen Protests der Öffentlichkeit. Mein Euro-Netporn-Background hat mir sicher geholfen, eine Selbstsicherheit zu entwickeln, um als Ausländerin, die an der Schwelle der chinesischen Kultur lebt, die Regierung offen zu kritisieren, auch wenn mich diese überwachte und ich ein gewisses Maß an Paranoia erst überwinden musste.

Stüttgen: Die nationale Verbotspolitik von Pornografie in China existiert seit 1949. Wie schwer ist es, trotz dieser scheinbaren Statik neue Entwicklungen einer erotischen Visualität in China und Hongkong zu analysieren?

Jacobs: Sexuelle Motive finden sich stets auch in anderen kulturellen Sphären. Ich bin mir sicher, dass sich auch chinesische Höhlenzeichnungen finden lassen, auf denen Brüste oder Penisse abgebildet sind. Doch Mao und die nach ihm folgenden Regierungen haben eine radikale Verleugnung des Erotischen eingeführt. Mao selbst war sexuell sehr aktiv und hatte fast jede Nacht Sex. Anekdoten dieser Art sind weitverbreitet in China. Gleichzeitig existiert hier eine große Underground-Pornoindustrie, die den Regeln des Neoliberalismus folgt. Ich empfinde es als falsch, dass sexuelle Kulturen in China aus einer fast mittelalterlichen Haltung heraus verboten sind. Gleichzeitig entwickeln sich aber auch Gegenphänomene wie Do-it-yourself-Pornos und der Sexaktivismus einer neuen Generation, schwuler DIY-Porno oder gar Postpornos wie in Taiwan. Generell brodelt eine heftige sexuelle Energie unter der Oberfläche – und diese wahrzunehmen ist viel leichter geworden, seitdem es das Internet gibt.

Stüttgen: Hattest du anhand dieser Situation keine Zweifel, ein Buch über einen Kontext zu schreiben, der letztendlich verboten ist?

Jacobs: Als Forscherin musste ich mich darauf einstellen, ein ganzes Buch über ein Phänomen zu verfassen, das offiziell gar nicht existiert und automatisch zensiert wird. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als diese Perspektive radikal umzudrehen und so zu tun, als ob die altmodischen Gesetze der People’s Republic gar nicht existierten. Viele dieser Positionen werden durch E-Mails verbreitet und klingen so bürokratisch, dass viele ChinesInnen sie gar nicht mehr ernst nehmen. Letztendlich suchte ich nach einem Zwischenraum, in dem kommunistische Antipornopropaganda und die gerade entstehende Underground-Pornoindustrie, die aber noch nicht an dem Punkt ist, sich selbst kritische Fragen zu stellen, diskutierbar werden. Dazu kommt die Problematik, dass fast alle einschlägigen Filme sehr heterosexistisch sind, insbesondere der japanische Porno, der den asiatischen Markt dominiert. Es ist trotz des Verbots in China nicht so schwer, an pornografische Produkte zu kommen. Viel schwerer ist es, einen öffentlichen Diskurs zu etablieren, in dem Fragen von weiblichem Begehren oder Queerness gestellt werden können.

Stüttgen: Du beschäftigst dich auch ausführlich mit Blogs, in denen politische und sexuelle Positionen vertreten werden, die im öffentlichen Diskurs nicht auftauchen.

Jacobs: Für mich bestand die Herausforderung darin, zwei verschiedene Diskurslinien zusammenzubringen. Die eine besteht aus Blog-AktivistInnen wie Han Han, die normalerweise männlich sind und Kritik am politischen System äußern – sich aber kaum mit Sexualität beschäftigen. Ich habe intensiv recherchieren müssen um herauszufinden, dass diese Blogger grundsätzlich die gleiche Position haben wie ich – nämlich dass China eine eigene Pornokultur braucht. Auf der anderen Seite gibt es japanische Pornostars, die Sextipps in Blogs geben, StudentInnen, die aus dem Alltag ausbrechen wollen und sich online ausziehen, schwule Blogger, die Cartoons hochladen, oder kommunistische Offizielle, die erotische Tagebücher schreiben, die von Hackern gestohlen und online gestellt werden. Manche dieser erotischen Daten werden zufällig viral, andere sind ernstere aktivistische Interventionen. Chinesische Sex-BloggerInnen sind ziemlich kreativ, wenn es darum geht, im Internet Aufmerksamkeit zu erregen.

Stüttgen: Einen weiteren Raum sexueller, gar queerer Subversion hast du in der Popkultur der Costume-Player gefunden. Sie werden nicht nur in »People’s Pornography« thematisiert, sondern auch in dem Buch »Wandering Dolls«, das du mit Jing Yang publiziert hast.

Jacobs: Die Costume-Player sind eine Modeerscheinung innerhalb der chinesischen Jugend, welche queere Praktiken wie Cross-Dressing, Androgynie und eine besondere Faszination für homosexuelle Mangas entwickelt hat. Ich sehe dieses Phänomen als eine Art Queerness, die sich jedoch nie ganz verwirklicht. Es scheint auf einem tiefen Bedürfnis zu beruhen, sexuelle Rollen durch die minutiöse Ausarbeitung eines Charakters mit spezifischen Kostümen, Haarstyles, sozialer Position (wie Top oder Bottom) und Selbstfotografie zu inszenieren. Ich habe in Interviews probiert herauszufinden, ob diese Cos-Player homosexuell oder transgender sind, doch die meisten antworteten nur Dinge wie: »Ich bin nicht so straight-ish.« Gleichzeitig besitzen sie einen gewissen Stolz, keine menschlichen Beziehungen zu unterhalten und Otaku (oder in weiblicher Form: Fujoshi) zu sein, was bedeutet, dass ihre Identität fundamental mit dem Cyberspace verbunden ist. Die Cos-Kultur ist wundervoll und hat viele Facetten, da es vielen egal ist, was ihre Praktiken der Kostümierung in identitärer Hinsicht bedeuten. Gleichzeitig gibt es viel mehr queere Toleranz in diesen Kreisen als in der offiziellen öffentlichen Sphäre.

Katrien Jacobs’ »People’s Pornography – Sex and Surveillance on the Chinese Internet« ist 2011 bei Intellect Books erschienen.
Katrien Jacobs’ & Jing Yangs »Wandering Dolls – Cosplay Journey across East Asia« ist 2011 bei Roundtable Synergy Books Hongkong erschienen.