Heft 4/2012 - Artscribe


Morgan Fisher »The Frame and Beyond«

2. März 2012 bis 29. Juli 2012
Generali Foundation, Wien

Text: Christian Höller


Wien. Wäre man Kinder- oder noch besser Künstlerpsychologe, ließe sich Morgan Fishers Karriere auf eine einfache Formel bringen – nämlich als »Drama des begabten Modernisten«. Drama deshalb, weil Fisher seine Laufbahn als Filmemacher zu einer Zeit (Mitte der 1960er-Jahre) begann, als selbst das experimentelle Kino der Theorie nach noch nicht als modernistische Kunst galt. So ließ etwa Michael Fried, einflussreicher Kritiker der damaligen Zeit, Fisher mit ebendieser Ansage abblitzen, um ihm Dekaden später – Fisher hatte sich inzwischen der Malerei zugewandt – erneut die kalte Schulter zu zeigen. Er solle sich in seiner Malerei, die stark referenziell und ausgesprochen »konstruiert« (im Gegensatz zu »kompositorisch«) angelegt ist, doch mehr Expressivität gestatten, so Fried zu Fisher, dem heute primär daran gelegen ist, als spätmodernistischer Maler anerkannt zu werden. Dabei hatte sich Fisher stets von einem Diktum Roland Barthes’ leiten lassen, wonach modern zu sein in dem Wissen bestünde, dass man bestimmte Dinge in der Kunst nicht länger machen dürfe. Eben deshalb hatte es bis in die späten 1990er-Jahre gedauert, bis sich der Weg zur Malerei für ihn ebnete, während das Filmemachen, einst Fishers »claim to fame«, ideenmäßig langsam zu versiegen begann.
Wie dieses Drama oder besser diese Dynamik ihren historischen Lauf nahm, ließ sich in der Überblicksschau »The Frame and Beyond« bestens nachvollziehen. In Kooperation mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach hatte die Wiener Generali Foundation eine zweiteilige, aufschlussreich verzahnte Schau konzipiert, die einen Bogen über Fishers Werk von Mitte der 1960er-Jahre bis heute spannte. Bestand das »Asset« der Mönchengladbacher Schau in der auf Blinky Palermo Bezug nehmenden Malereiinstallation »Sixteen Walls«,1 so bestach die Wiener Ausstellung durch ihren hohen Verknüpfungsgrad unterschiedlichster Medien. Frühe Zeichnungen, oftmals mit Film- oder Popbezug, einige von Fishers »klassischen« Filmen, eine Filminstallation, Videoarbeiten, Malereien, erhellende Materialsammlungen dazu, schließlich eine größere Malereiinstallation – all dies fügte sich in die perfekt zugeteilten Raumabschnitte und ließ nichtsdestotrotz eine Menge an Querverweisen und inhaltlichen Überlappungen unter den verschiedenen Bereichen aufscheinen. Ergänzt wurde die Schau durch eine Personale Fishers im Österreichischen Filmmuseum, wo die meisten seiner filmischen Arbeiten zu sehen waren, bis hin zu einer eigens produzierten »Version« (Fisher bevorzugt die Bezeichnung »state«) des exklusiv für den jeweiligen Vorführort gedrehten und nur dort für die Vorführung freigegebenen »Screening Room«.2
Filme wie die auch in der Generali Foundation gezeigten »Production Stills« (1968) oder »Picture and Sound Rushes« (1973) bringen Fishers reflexives Sichtbarmachen des filmischen Apparats auf den Punkt. Sich dieses Apparats in seinen ineinandergreifenden und üblicherweise unsichtbaren Komponenten, von den Rändern und elementaren Einheiten (»frames«) her, noch dazu ohne subjektive Beimengungen gewahr zu werden – dem hatte sich Fishers Werk von Beginn an verschrieben, noch bevor der Terminus »struktureller Film« für diese Art Selbstreflexion in Umlauf kam. Bis zu welchem Extrem, ja äußersten Rand diese Apparatur exponiert werden kann, ohne dass dies bloß ein weiteres filmisches Bild ergibt, das macht neben den genannten Beispielen auch »Projection Instructions« (1976) geltend, worin der Vorführer vom Filmbild in eine Art Schattenboxkampf verwickelt wird.
Die letzten beiden Filme Fishers, »Standard Gauge« (1984) und »()« (genannt »Parentheses«, 2003), weisen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Format des 35mm-Films bzw. dem Stilmittel des Inserts den Weg zu den installativen Arbeiten, denen in Wien breiter Raum gegeben wurde. Den »Aspect Ratio Pieces« (2004) etwa, einer Serie von neun, den Maßen gängiger Kinoprojektionsformate nachempfundenen Spiegeln, die am Ende doch nur reflektieren, was die BetrachterInnen-Perspektive zu sehen gibt (also diese selbst, andere Raumwinkel, andere Spiegel etc.). Wie Fisher in seinen anlässlich der Ausstellung gesammelt publizierten Schriften ausführt, entstand die Idee dazu just aus der Problematik des Übergangs vom Film zur Malerei.3 Ließ sich in den Filmen der Rand, die äußere Bedingung des kinematografischen Bildes niemals gänzlich einholen, so war und ist der Malerei jeglicher mimetische, expressive oder anderweitig kompositorische Gehalt verwehrt (alles historisch hinlänglich durchgespielte Sujets). Lange Zeit ging Fisher diesem Dilemma aus dem Weg, indem er in seiner Malerei ausschließlich graue Monochrome verwendete, dem Format nach angelehnt an die von ihm geliebten Reiseführer, Straßenkarten oder Wörterbücher, aber zugleich den üblichen rechteckigen Rahmen sprengend. Oder indem er wie in den »French Toast Paintings« (2005) Textilstücke in grauer Acrylfarbe in einer Pfanne herausbriet und so die klassischen Kriterien modernistischer Malerei wie »flatness«, »all-at-once-ness«, Nicht-Objekthaftigkeit oder eine klare Betrachterorientierung (oben, unten, vorne, hinten) unterlief. Oder indem er, im logischen nächsten Schritt der »Aspect Ratio Pieces«, die rechteckige Begrenzung des Bildes zwar beibehielt, aber eben dessen Inhalt mittels Spiegelfläche auflöste – und so eine Art Scharnier zwischen den apparatusreflexiven Filmen und den gleichfalls bildkritischen Malereien herstellte.
Der Rand des Bildes als »die Grenze zwischen der Welt, in welcher der Film die Betrachter festhalten will, und der Welt, in der sie sich tatsächlich befinden«4 – diese nur schwer zu überschreitende Grenze hat Fisher über das Medium Film hinaus konsequent auszuloten versucht. Die Ausstellung verfolgt den davon ausgehenden, medienübergreifenden Impuls bis zur großräumigen Installation »New Pendant Pair Paintings/New Alien Pendant Pair Paintings« (2011), einem gefinkelt konstruierten Raumarrangement aus teils fluoreszierenden Monochromen. Nicht immer hat Fisher im Zuge seiner inzwischen 45 Jahre anhaltenden Produktion alles Kompositorische (wie sein oberstes Credo lautet) gänzlich vermeiden oder eliminieren können. Nicht immer ist, vor allem in den Malereien, der bild- und medienkritische Impuls auf Anhieb ersichtlich. Aber das »Drama des unverbesserlichen Modernisten« bringt sein Werk wie kaum ein anderes zur Darstellung – mit Verve, Beharrlichkeit und, man ist fast versucht zu sagen: hollywoodesker Brillanz.

 

 

1 »Translations«, 23. Oktober 2011 bis 4. Februar 2012, Museum Abteiberg Mönchengladbach.
2 In Person: Morgan Fisher, 9. und 10. Mai 2012, Österreichisches Filmmuseum Wien.
3 Vgl. Morgan Fisher, Where the Aspect Ratio Pieces Came From, in: Morgan Fisher. Writings. Hg. v. Sabine Folie und Susanne Titz. Köln 2012, S. 186ff.
4 Morgan Fisher, Aspect Ratio Pieces, in: ders., Writings, S. 122; die deutsche Übersetzung stammt aus: Morgan Fisher. Two Exhibitions. Hg. v. Sabine Folie und Susanne Titz. Köln 2012, S. 158.