Heft 2/2013 - Netzteil


Politik mit der Spraydose

ÄgypterInnen und SyrerInnen entdecken Graffiti als öffentlichen Kommentar

Mona Sarkis


Die linke Gesichtshälfte gehört dem gestürzten Diktator Husni Mubarak. Die rechte seinem Nachfolger, dem langjährigen Militärchef Mohammad Hussein Tantawi. Wer dieses Graffiti in der Kairoer Straße Muhammad Mahmoud wenig später erneut amüsiert studieren will, wird überrascht – und neuerlich amüsiert. Zu Mubaraks Vierkantkinn und Tantawis maliziösen Augenbrauen haben sich die Halsfalten Amr Mussas (Vorsitzender der neuen Konferenzpartei) gesellt. Schließlich kommen noch die Stirnfalten Ahmed Shafiks hinzu (Expremier unter Mubarak und Präsidentschaftskandidat). Und wenige Wochen später wölbt sich den BetrachterInnen noch eine Pausbacke des amtierenden Präsidenten Muhammad Mursi imposant entgegen.
Es ist in der Tat ein wahrer Schmaus für Augen und Gehirnzellen, den die Graffiti-AktivistInnen in der Straße Muhammad Mahmoud ausbreiten – und das seit November 2011. Damals brach Ägyptens sogenannte zweite Revolution aus, und die Wut der BürgerInnen über ihr Füllhorn an autoritären Führern entlud sich abermals auf dem Tahrir-Platz, den nahezu alle wichtigen Institutionen des Landes umringen. Der physische Kampf auf diesem Platz gilt als die Botschaft an sich, und so ist es kein Zufall, dass die Schlacht mit der Sprühdose akkurat in Mohammad Mahmoud fortgesetzt wird: Die Straße liegt unmittelbar hinter dem Platz.
Ihre Mauern gelten seither als das Barometer der Revolution. Die politischen Kommentare konkurrieren miteinander – und das nicht zuletzt um die Gunst der PassantInnen, denen sie immer wieder neu zu denken geben. Sehr zum Leidwesen der Behörden, die alles in die Wiederherstellung eines gepflegten Schweigens investieren würden, und dies auch tun – mit Unsummen an ägyptischen Pfunden für weiße Farbe und Malermeister. Doch fast scheint es, als freuten sich die Graffiti-KünstlerInnen über die Tabula rasa, die ihnen auf diese Weise regelmäßig beschert wird, wird ihnen dadurch doch erspart, die Werke anderer AktivistInnen zu übermalen und Rivalitäten zu entfachen. Denn – selbstverständlich blüht in der Straße nicht nur die Protestkultur, sondern auch die künstlerische Eitelkeit. Vor allem Alaa Awad sorgte für hitzige Debatten. Der junge Dozent für Schöne Künste von der Universität Luxor verbrachte nahezu den gesamten Winter 2011/12 in der Straße und schuf im Stil altägyptischer Wandmalereien großformatige Szenen wie jene, die einer Darstellung im Totentempel von Pharao Ramses II. nachempfunden ist: Eine Schar von Frauen erklimmt eine Leiter, die laut Awad die Revolution symbolisiert. Mit diesem Tribut an den Wagemut der Ägypterinnen im Kampf gegen Mubarak und der Referenz auf jahrtausendealte Respektbekundungen gegenüber Frauen erteilt Awad der modernen salafistischen Dunkelkammerkultur eine doppelte Absage.
Dass das Bild wieder verschwunden ist, verdankt er indes weder den Salafisten noch den Malermeistern im Staatsauftrag, sondern Awads Graffiti-KollegInnen. Aus Protest über Awads Wunsch, sein Werk mit einer Lasur dauerhaft zu versiegeln, übermalten sie es kurzerhand. Schließlich – so ihre Position – sei Graffiti per se ein vergängliches Medium und die Revolution zudem keineswegs beendet. Der öffentliche Raum müsse allen zugänglich bleiben.

Wem gehören Syriens Wände?
Von der Muße für epische Wandgemälde oder für Debatten über die Definition von Graffiti können Syriens SprühaktivistInnen vorerst nur träumen. In der mörderischsten aller arabischen Rebellionen besteht Graffiti aus hochriskanten Blitzaktionen. Mohammad Ratib, der „Tiger“ von Homs, oder der 23-jährige Nour Hatem Zahra aus Damaskus bezahlten sie bereits mit ihrem Leben. Vor allem Letzterer wurde als „Al-Rajoul al-Bakhakh“ (der Spraymann) bekannt – nach dem gleichnamigen Titel einiger Episoden aus der beliebten syrischen Sketchserie Baq’et Dau (Schlaglicht) von 2008. Darin treibt ein phantomartig auf- und wieder abtauchender Sprayer die Behörden zur Weißglut. Zwar wird er letztlich mundtot gemacht, doch sein Beispiel ruft TrittbrettfahrerInnen auf den Plan. Dass die Episoden seinerzeit die Zensur passierten, können sich die Behörden offensichtlich selbst nicht verzeihen: Der Drehbuchautor von Al-Rajoul al-Bakhakh, Adnan Zirai, wurde im Februar 2012 verhaftet, quasi nachträglich.
Welch ungeheuerliche Bedrohung die Staatssicherheit in jedem Graffiti wahrnimmt, ließ sie indes bereits zu Beginn der Revolte spüren: Als einige, von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten überwältigte Kinder im März 2011 „Das Volk wünscht den Sturz des Regimes“ an die Mauern Daraas kritzelten, war dies den Behörden Anlass genug, sie zu inhaftieren und ihnen die Fingernägel herauszureißen.
Trotz – oder gerade wegen – so viel Brisanz hat sich in Syrien eine beachtliche Graffiti-Bewegung entwickelt, die sich von der ägyptischen dadurch unterscheidet, dass sie sich, in Ermangelung eines eroberten Zentralplatzes, im ganzen Land abspielt. Der größte Unterschied aber freilich ist, dass sich die SyrerInnen nicht in den Nachwehen ihres Aufstands befinden, sondern mitten darin. Jede Partei sucht daher das öffentliche Territorium als das ihre zu markieren. Während die AktivistInnen lachend ihre Zähne zeigen und in erster Linie den Präsidenten verspotten – etwa mit: „Nieder mit der Giraffe“, in Anspielung auf Baschar al-Assads Halspartie –, geben sich die bewaffneten RebellInnen eher pathetisch und mitunter beleidigt. „Entschuldigt die Belästigung, aber wir sterben für euch“, ist beispielsweise auf den Mauern Aleppos zu lesen – eine Reaktion auf wütende BewohnerInnen, die die RebellInnen für den Großeinsatz der Armee verantwortlich machen. Die Schergen des Regimes wiederum platzieren in ganz Syrien den Satz: „Auf ewig Assad. Oder wir brennen das Land nieder.“

Effizienter als Facebook
Im Kampf um die Öffentlichkeit werden auch die Medien buchstäblich an die Wand gestellt. So prangt an der einen Ecke der Spruch: „Das syrische Fernsehen lügt“ – und an der nächsten nur ein Wort: „Al-Jazeera“. Zum Zeichen dafür, was sie von der regimekritischen Berichterstattung des Senders halten, haben die Loyalisten damit nahezu jede Mülltonne beschriftet.
In den Anfängen der Revolte, als vieles noch offen war, stimmten dergleichen Manifestationen so manche PassantInnen durchaus nachdenklich. Aus genau diesem Grund glaubt Marwan Kraidy, Professor für Kommunikation an der Universität Pennsylvania, dass Graffiti weit mehr Mobilisierungspotenzial aufweist als soziale Medien wie Twitter und Facebook. Die These leuchtet ein, bedenkt man, dass laut der ITU World Telecommunication 2010 nur 20 von 100 SyrerInnen und 26 von 100 ÄgypterInnen das Internet nutzten – die Botschaften der Mauern hingegen erreichen jedermann/frau.