Heft 4/2013 - Kunst der Verschuldung


Anything goes – everything stays

Ein Gespräch mit Barbara Kapusta und Stephan Lugbauer, den BetreiberInnen des Off-Spaces Saprophyt in Wien

Axel Stockburger


Im Frühjahr 2013 endete die Tätigkeit des Off-Spaces Saprophyt, der fünf Jahre zuvor ins Leben gerufen worden und von Beginn an auf eine begrenzte Dauer angelegt war. Dieser Text ist das Ergebnis mehrerer Gespräche, die Axel Stockburger anlässlich seines Projekts, des insgesamt letzten bei Saprophyt, mit den beiden BetreiberInnen geführt hat.

Axel Stockburger: Was hat euch 2008 bewogen, einen Kunstraum zu eröffnen? Wie habt ihr die Situation damals eingeschätzt, und welche Schlüsse habt ihr daraus gezogen?

Barbara Kapusta: Zuerst gab es den Raum in der Webgasse 29, der uns für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben verschiedene Formen der Nutzung diskutiert, etwa als Atelier oder temporärer Veranstaltungsraum. Uns wurde schnell klar, dass wir diese Option für ein spezielles Projekt nutzen wollten, das eigenen Regeln folgen sollte, die erst zu entwickeln waren.

Stephan Lugbauer: Institutionelle Vorbilder kamen für uns nicht infrage. Wenn man eine Galerie betreibt, muss man auch die KünstlerInnen mit allen Möglichkeiten vertreten und bereit sein, im Sinne des Markts zu operieren. Für eine Art des Zugangs, die sich an anderen Institutionen wie etwa Kunstvereinen oder Museen orientiert, fehlten einerseits ganz offensichtlich die Mittel, und andererseits bringt eine gewisse Größe auch andere Probleme mit sich: geringere Flexibilität und Offenheit gegenüber weniger erprobten Methoden, Kunst zu produzieren und zu zeigen.

Stockburger: Wenn man versucht, das Konzept, das den ganz unterschiedlichen Ausstellungen und Projekten bei Saprophyt zugrunde liegt, zu erfassen, dann scheint mir, dass es euch vor allem auch darum ging, den Prozess des Erarbeitens von Ausstellungssituationen, von der Idee bis zur Ausführung, ins Zentrum zu stellen. War das auch ausschlaggebend für eure Entscheidung, keine „fertigen“ Werke zu zeigen, sondern alles vor Ort entstehen zu lassen?

Kapusta: Ja, eine ganz wesentliche Entscheidung, die sich eben auch in Differenz zum Gestus der klassischen Galerie versteht, war es, dass alle Materialien, nicht nur die für Displays oder Installationen verwendet wurden, sondern wirklich die gesamte Arbeit, im Raum bleiben sollten. Einerseits wollten wir eine Situation vermeiden, in der KünstlerInnen einfach ihre Werke, die im Atelier entstanden sind, in den Raum bringen und dann wieder abholen. Andererseits hat uns natürlich auch interessiert, wie sich Materialien und Objekte, die bereits verwendet wurden, in neuen Konstellationen, in einem veränderten Kontext erneut einsetzen ließen. Was also nicht geschah, war der klassische Reset, der einen scheinbar neutralen Raum wieder in einen „sauberen“ Urzustand versetzt, in dem dann weitere KünstlerInnen ihre Spuren wie im frischen Schnee hinterlassen können. Im Gegensatz dazu hat sich über die Zeit eine Art Fundus an verschiedenen Materialien angesammelt, auf den in unterschiedlichster Weise zugegriffen wurde.

Lugbauer: Es war Teil unserer Überlegungen, die KünstlerInnen an der allmählichen Einrichtung der notwendigen Infrastruktur des Raums zu beteiligen. So hat etwa Noële Ody eine Installation erarbeitet, welche eine komplett neue Lichtsituation ermöglichte, die dann später weiter genutzt werden konnte. Insgesamt wollten wir es den Beteiligten überlassen, sich die jeweils sinnvolle Infrastruktur in Absprache mit uns zu erarbeiten, anstatt mit einer fertigen Situation konfrontiert zu sein. Wir wollten, dass alle Arbeitsschritte der Produktion vor Ort und auch in Auseinandersetzung mit uns stattfinden. In einem Gespräch mit Miriam Kathrein ist dann später der Begriff der Tool Box aufgetaucht, der für uns wichtig geworden ist. Man kann sich das so vorstellen, dass alle Funktionen und Angebote, die eine Institution ihren KünstlerInnen zur Verfügung stellt, zu künstlerischem Material werden können. Mit anderen Worten: Wir wollten es allen Beteiligten ermöglichen, auch mit den institutionellen Optionen zu interagieren, und so eine Art weiche Oberfläche bieten, die vielleicht eine Alternative zu bestehenden Modellen eröffnet.

Stockburger: Die Ausstellungsserie Projects & Assignments, zu der ihr auch eine Publikation veröffentlicht habt, war eines der herausragenden Projekte, das von euch realisiert wurde. Ihr habt den in L.A. lebenden Kurator Andrew Berardini beauftragt, an den Parametern für diese Reihe mitzuarbeiten. Ausgangspunkt war ein Projekt von David Askevold aus dem Jahr 1969, bei dem KünstlerInnen wie Sol Lewitt, Robert Barry oder Lawrence Weiner eingeladen waren, Aufgaben für die Studierenden von Askevolds Kurs am kanadischen Nova Scotia College of Art & Design bereitzustellen. Berardini hat im Anschluss daran eine Auswahl von KünstlerInnen beauftragt, sogenannte Assignments, also Handlungsanweisungen, zu erarbeiten.1 Diese Handlungsanweisungen wurden wiederum zum Ausgangspunkt für andere KünstlerInnen, die eine Reihe von Projekten in eurem Raum realisierten.2 Diese Vorgabe wirft für mich einige interessante Fragen auf. Zum einen sind ja in der Tradition von Fluxus und Happening sowie der Konzeptkunst der 1960er-Jahre solche Handlungsanweisungen als eigenständige Kunstwerke entstanden, die in gewisser Weise ihre Qualität dadurch erhielten, dass sie gerade nicht realisiert werden mussten, sondern in der Vorstellung der BetrachterInnen als Idee existieren konnten. Daraus folgt aber auch, dass sich KünstlerInnen, die solche Anweisungen befolgen, automatisch im Netz künstlerischer Urheberschaft befinden und sich dazu verhalten müssen. Was bedeutet es für die von euch Beauftragten, sich auf die Ausführung einer Handlungsanweisung einzulassen? Wie wurde darauf reagiert?

Kapusta: Wir haben diese Handlungsanweisungen tatsächlich als Werke verstanden, die die künstlerische Produktion anderer Werke oder Situationen anstoßen sollen. Diese Art der Vorgabe hat äußerst spannende Auseinandersetzungen hervorgerufen, die von offener Ablehnung bis zu sehr komplexen Formen der Übersetzung reichten. Jede Regel gibt in gewisser Weise eine Art von Möglichkeitsraum vor, dem gegenüber man sich positioniert. Zudem waren die Assignments selbst sehr unterschiedlich und reichten von sehr klaren Anweisungen bis zu eher poetischen offeneren Formen. Es gab KünstlerInnen wie Can Gülcü und Roberta Lima, die ganz bewusst von der Anweisung abgewichen sind und eine völlig unabhängige Setzung im Raum vorgenommen haben. Für andere wieder waren diese Anweisungen Ausgangspunkt in einer Kette von produktiven Entscheidungen, die zu völlig unvorhersehbaren Endergebnissen führten. So hat beispielsweise Josip Novosel in seiner Installation die Anweisung, eine Reihe von SprecherInnen, die für die Ausstellungsdauer eine Serie von Begriffen proklamieren sollten, in Form einer Wand von stellvertretenden Kleidungsstücken umgesetzt. In allen Produktionen sind solche Übertragungsstrategien auf verschiedene Weise hervorgetreten.

Lugbauer: Nachdem du vorhin das Erbe der Konzeptkunst angesprochen hast: Es ging uns auch darum herauszufinden, was geschieht, wenn eine abstrakte Anweisung im Bereich des Immateriellen wieder zurück in einen konkreten, materiellen Raum mit verschiedenen Handelnden übertragen wird. Die Assignments waren also wirklich in erster Linie eine Art Katalysator, der dazu verwendet wurde, um das Ganze in Bewegung zu setzen und die verschiedenen Praxen sichtbar zu machen. Dass einige den Vorgaben vollkommen ausgewichen sind oder sie als Einschränkungen empfunden haben, die es zu überwinden galt, bildete einen wichtigen Teil dieses Vorgangs.
Allerdings galt dieser Umstand für sämtliche Programmpunkte. Das Konzept von Saprophyt gibt ja generell schon eine Handlungsanweisung und ist sehr dominant. Mich persönlich haben gerade jene Positionen fasziniert, die aus einer scheinbaren Verweigerung heraus eine radikale Neuausrichtung innerhalb unseres Regelsystems vorgenommen haben, wie etwa Octavian Trauttmansdorffs Beitrag, der sich quasi negativ auf das schon existierende Material bezog. Er hat einfach einen kleineren Raum in den Ausstellungsraum gebaut sowie einen weiteren auf die Straße hinaus, der alles vorhandene Material aus vorangegangenen Präsentationen ausgeblendet hat. Gleichzeitig war aber natürlich alles noch da. Ein ähnlicher Einschnitt war Josef Dabernigs Kinokubus, der ebenfalls die institutionellen Vorgaben thematisiert und erweitert hat.

Stockburger: Mich interessiert hier vor allem die augenscheinliche Reibung zwischen Regel und Regelbruch, die ja höchst produktiv werden kann. Wenn man Institutionen als Sammlungen von Handlungsvorgaben und Formen begreift, dann habt ihr euren Fokus auf genau diese Prozesse gelenkt. Für mich ist in diesem Zusammenhang die Metapher des Spiels sehr brauchbar. So hat etwa der französische Theoretiker Roger Caillois zwischen Ludus, dem regelgebundenen Spiel, und Paidia, als jener freieren Form differenziert, die während des spielerischen Prozesses selbst Regeln entstehen lässt und wieder verwirft. Auf eure Projekt umgelegt könnte man sagen, dass diese gewissermaßen den Weg von Ludus über Paidia hin zu neuen Formen von Ludus in dem Sinne durchlaufen haben, dass sie selbst Muster für nachfolgende Prozesse erzeugt haben. Abschließend würde mich aber noch ein anderer Aspekt interessieren: Vor dem Hintergrund der permanenten Zunahme an Ereignissen im Kunstkontext und deren medialer Vermittlung scheinen soziale Netzwerke immer wichtiger zu werden – welche Bedeutung messt ihr diesen Formen bei?

Kapusta: Natürlich ist in den vier Jahren Saprophyt langsam auch eine Art soziales Netz entstanden, das sich um diese Form der Arbeit herum organisiert hat. Du hast das ja in deiner Plakatserie, die die Namen der Beteiligten als Material aufgreift, sehr präzise abgebildet. Ich muss aber sagen, dass dieser Prozess sicherlich kein strategisch geplanter war. Gerade zu Beginn waren unsere Entscheidungen sehr improvisiert – auch in Bezug auf die Kommunikation. Im Gegensatz zu vielen Institutionen und Galerien war unser Auftritt in der Öffentlichkeit minimal. Wir haben, vielleicht auch in Bezug auf die immer perfekter werdenden PR-Strategien, die viele Off-Spaces einsetzen, versucht, den Bildern mit Hunderten von „likes“ etwas entgegenzusetzen, das nur entstehen kann, wenn man sich mehr Zeit lässt und sich bereit erklärt, in einen echten Austausch einzutreten, der auch Dissonanzen zulässt. Dafür war es eben notwendig, einen Raum zu haben, der physisch existiert.

Lugbauer: Das ist ein wichtiger Punkt; der Ort selbst war natürlich von zentraler Bedeutung. Trotzdem, wie ja der Begriff Saprophyt andeutet, der eine Art von Organismus, einen Pilz, bezeichnet, der sich über Sporen verbreitet und damit nomadisch ist, geht es uns auch darum, diese Form jenseits von konkreten Orten zu denken. Ein erster Schritt dorthin ist sicherlich die Plakatserie, die in der ganzen Stadt zu sehen ist. Dabei geht es ebenfalls um eine Art Verwehung der Sporen im öffentlichen und privaten Raum. Dazu gibt es Überlegungen, was, unter Beibehaltung unserer Interessen an der Sichtbarmachung künstlerischer Prozesse, aus Saprophyt werden könnte. Dies umfasst mediale Formen wie etwa das Radio, aber auch andere Veranstaltungsformate, über die wir derzeit nachdenken. Saprophyt war immer die Summe aller Handelnden und Prozesse, die vor diesem Hintergrund sichtbar wurden, und wir arbeiten daran, diesen Zugang in anderer Form weiterzuentwickeln.

www.saprophyt.net

 

 

1 Liz Glynn, Scoli Acosta, Natascha Sadr Haghighian, Anton Vidokle, Robert Barry, John Baldessari.
2 Can Gülcü, Roberta Lima, Christian Egger, Jakob Lena Knebl, Noële Ody, Josip Novosel, Nathalie Koger.