Heft 4/2013 - Artscribe


The Content of Form

17. Mai 2013 bis 25. August 2013
Generali Foundation / Wien

Text: Christian Höller


Wien. Nur selten ist in Zusammenhang mit dem Kuratieren, zumal von Sammlungen, vom Plündern oder Marodieren die Rede. Zumindest wagt das, was unterschwellig oft in dieser Praxis mit am Werk ist, kaum jemand offen beim Namen zu nennen. Anders bei Helmut Draxlers Unternehmung, die Sammlung der Generali Foundation anlässlich deren 25-jährigen Bestehens1 – nicht zu kuratieren, sondern zu „repräsentieren“ („represented by Helmut Draxler“ heißt es ironisch im Ausstellungsuntertitel). Gleichfalls ironisch bzw. auf Fantasy-Zusammenhänge verweisend findet sich in die beeindruckende Aufbereitung, die Draxler hier vorgenommen hat, auch eine Marauder’s Mind Map to the Time/Space of the Collection integriert. Das witzige Diagramm ist – bei allem bilderstürmerischen Kontextverschnitt (Harry Potter meets Generali) – auch ein reflexhaftes Augenzwinkern in Richtung gängiger kuratorischer Praxis. Denn wie sonst als gleichsam freibeuterisch, dem Gewachsenen, Komponierten oder konzeptuell Verschränkten gewaltsam etwas entreißend und damit Zusammenhänge stets auch deformierend, wie sonst hat man sich das gegenwärtige kuratorische Regime vorzustellen? Wie lässt sich umgekehrt einer Sammlung gleichzeitig befreit und respektvoll begegnen, die, über lange Zeit akkumuliert, heterogenstes Gut von österreichischer Skulptur und Grafik über Klassiker der konzeptuellen und institutionskritischen Kunst bis hin zu postkonzeptuellen Ansätzen der Gegenwart umfasst?
Draxlers gelungener Kunstgriff, der ihn einmal mehr als Auteur höherer Ordnung ausweist, besteht darin, die verschachtelte „Raum/Zeit der Sammlung“, die immens vielfältige Nischen in sich birgt, auf drei scheint’s einfache Modelle herunterzubrechen. „Repräsentation“, „Konversation“ und „Genealogie“ lauten die drei konzeptuellen Schneisen durch den dichten Wald, der in der Ausstellung in drei farblich auseinandergehaltene Bereiche aufgeteilt ist. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der „symbolischen Form“2, sprich der Art von Strukturiertheit und raumzeitlicher Ordnung, mit der sich, so Draxlers verblüffende Volte, eine Sammlung stets auch in die darin enthaltenen Arbeiten einschreibt. „Do not ask how you can make sense of the collection, ask how the collection is making sense of you!“ heißt es in einem der bissig-pointierten Wandtexte, und die treffliche Logik dahinter zielt darauf, die Sammlung gleichsam von innen her aufzurollen: Sammlung als eine den Werken nicht äußerliche, sie als Container zusammenhaltende Größe, sondern (in abstrakter, konzeptueller Form) immer schon in die ausgestellten bzw. gesammelten Arbeiten mit eingegangen – und erst als solche vollends begreifbar. Genau dieser Zirkularität (mit dem Namen „Inhalt der Form“ angemessen benannt) Rechnung zu tragen und sie in der Ausstellung explizit zutage treten zu lassen, dies ist es, was laut Draxler zeitgemäßes Kuratieren über ein bloßes „separating the cream“, sprich eine Art Rahm-Abschöpfen (wie Yvonne Rainer einmal gesagt hat), oder das besagte Marodieren hinaushebt.
Um dieser Zirkularität selbst eine adäquate Form zu geben, bedarf es jedoch eines größeren kuratorischen Kraftakts, der sich zugleich – und dies macht The Content of Form so ansprechend – leichtfüßig und unbeschwert ausnimmt. So ist jeder der drei, mehr dem Papier nach als von den ausgewählten Arbeiten her getrennten Abschnitte in Form eines komplexen und zugleich simpel wirkenden Wanddesigns strukturiert: Ausgehend von je einem historischen Gemälde (als Wandtapete reproduziert) wird das darauf dargestellte Sammlungsprinzip in den Realraum „weitergetextet“: rasterförmige Anordnung (im Abschnitt „Repräsentation“), konversierender Austausch bzw. Werkberührung („Konversation“), schließlich Serialität bzw. historischer Rückbezug („Genealogie“) – diese drei Muster finden sich in heterogene Arrangements übersetzt, wobei Originalwerke mit Reproduktionen von Ausstellungsansichten, scharfzüngige und teils widersprüchliche Slogans („Always universalize!“, „Always marginalize!“) mit KünstlerInnen-Namen und Ausstellungstiteln kühn kombiniert, ja ineinander verschnitten werden. Es entstehen relationale, aus vielerlei Differenzen zusammengesetzte Gefüge, ohne dass die enthaltenen Elemente dabei nivelliert würden. Dass so eher unbekanntere Exponate, etwa frühe Zeichnungen von Gerwald Rockenschaub oder Brigitte Kowanz und Franz Graf, in den Vordergrund treten, während die „Big Names“ der Sammlung (etwa Hans Haacke, Mary Kelly, Andrea Fraser) eben nur als Namen präsent sind,3 unterstreicht den kontrapunktischen Gestus, dem diese Designs verpflichtet sind. Dass zudem Werke aus der Sammlung fortwährend Verbindungen mit nicht darin vertretenen Arbeiten (auf den Reproduktionen zu sehen) eingehen, betont den im Prinzip offenen, ja unabschließbaren Charakter dieser Form von Artefaktanhäufung.
Öffnung signalisieren noch weitere Elemente dieser scheint’s geschlossenen, aber in sich höchst brüchigen Wandgestaltungen. So übertragen einige Monitore, mit der Bildfläche an die Wand gelehnt und somit nur mit Mühe einsehbar, Einstellungen aus der Lobby der Konzernzentrale, aus dem Büro des Präsidenten sowie aus dem Tiefspeicher der Foundation. Erkennbar wird darin ein Wink dahingehend, wie überholt und ausgereizt jegliche Form von Institutionskritik heute sein mag, und das inmitten einer Corporate Collection, die sich unter anderem der Sammlung genau dieser Art von Kunst verschrieben hat. Just diesem Erkenntnismoment ist jedoch – reflexiv, wie The Content of Form durchwegs agiert – eine andere überraschende Öffnung entgegengesetzt: die exponierte Tür des Aufzugs, ansonsten stets hinter einer künstlichen Wand verborgen, der zum Sammlungsdepot im Untergeschoß führt. Wobei der „reale“ Kontakt mit den Depotbeständen, in nochmaliger Wendung des Ganzen, auf Videobilder beschränkt bleibt.
Derlei Brüche mit der von der Sammlung bzw. Ausstellung mitfabrizierten Ordnung tauchen noch an weiteren Stellen auf: etwa wenn künstlicher Schimmel an der White-Cube-Wand oder alte, dysfunktionale Heizkörper nonchalant in die Ensembles eingestreut sind. Solche Beispiele einer „ruinösen Ästhetik“4 wirken eher wie bemühte, ja selbst wieder „genrehafte“ Kontrapunkte zur ansonsten in der Generali Foundation gepflogenen Aufgeräumtheit. Als müsse die Kontingenz dieses gestalterischen Modells – die streng gerasterte, zumeist in Schwarz-Weiß oder Grau gehaltene Minimalität, wie sie die Geschichte der Generali dominiert hat – noch einmal eigens unter Beweis gestellt werden. Indessen zieht diese Form von Selbstkritik ihre Kreise, und so kommt man nicht umhin, auch die von Draxler postulierte „Zuspitzung“ oder „Aktualisierung der kritischen Horizonte“5, die in den gezeigten Arbeiten zweifellos mit angelegt sind und die The Content of Form zum Schwingen bringen möchte, selbst noch einmal zu hinterfragen: Könnte es sein, dass so viel Kompositorisches, wie in die Verquickung und Umsetzung dieser formidablen und wohl für lange Zeit maßgeblichen Sammlungsmontage eingeflossen ist, ja dass der hochgradige Auteurismus, der hier am Werk ist, den Blick auf ebendiese kritischen Potenziale ein wenig auch verstellt, anstatt ihn freizulegen? Dass der „Abgrund zwischen Corporate Culture und kulturellem Anspruch“ (Draxler) durch die schiere Brillanz, welche The Content of Form ausstrahlt, just im Akt der Offenlegung zugleich auch wieder überdeckt wird? Fragen wie diese werden vermutlich erst beantwortbar, wenn man die Konsequenzen dieses nicht marodierenden Kuratierens, das Draxler hier eindrücklich vor Augen führt, voll realisiert hat.

 

 

[1] Anlässlich des Jubiläums waren 2013 neben The Content of Form die Ausstellungen Amazing! Clever! Linguistic! An Adventure in Conceptial Art (kuratiert von Guillaume Désanges, 17. Januar bis 21. April) und Against Method (Gertrud Sandqvist, 13. September bis 22. Dezember) zu sehen.
[2] Vgl. Über das Sammeln kritischer Kunst. Hal Foster und Helmut Draxler im Gespräch, in: Sabine Folie/Georgia Holz/Ilse Lafer (Hg.), Ein Buch über das Sammeln und Ausstellen konzeptueller Kunst nach der Konzeptkunst. Wien/Köln 2013, S. 237.
[3] Vgl. die Ausführungen dazu ebd., S. 232.
[4 ]Draxler im Begleitheft zur Ausstellung, S. 8; vgl. die Ausführungen in „Über das Sammeln kritischer Kunst“, S. 240.
[5] Begleitheft, S. 7.