Heft 1/2014 - Artscribe


Salon der Angst

6. September 2013 bis 12. Januar 2014
Kunsthalle / Wien

Text: Brigitte Huck


Wien. Am 22. November 1963 wartet Lee Harvey Oswald im Texas Schoolbook Depository von Dallas auf den Präsidenten. Er versteckt sich hinter einem Küchenvorhang, nur der Lauf seines Gewehrs ragt aus dem Fenster. Jeder weiß, was gleich passiert. Fischli/Weiss’ Vedute aus ungebranntem Ton hängt hoch oben auf der Sichtbetonwand der Kunsthalle Wien. Fast könnte man sie übersehen. Der Fernblick auf das Werk ist eine gezielte Pointe, mit der das KuratorInnenduo auf den historischen Schauplatz im sechsten Stock des Gebäudes an der Houston Street verweist – und auf die pathosbefreite Methode des Schweizer Künstlerpaars.
Wie überhaupt zunächst das sorgfältige Display von Salon der Angst auffällt, der ersten Ausstellung, die Nicolaus Schafhausen, Direktor seit Oktober 2012, gemeinsam mit Cathérine Hug für die Kunsthalle Wien zusammengestellt hat.
Vorher wurde erledigt, was erledigt werden muss, ist man neu im Job: symbolschweres Corporate Design, Hire & Fire in der Belegschaft, experimentelle Formate, Umbau – unaufgeregt renoviert präsentiert sich das Haus nun klarer und offener. Das großzügige Foyer macht die niedrige, ebenerdige Halle allerdings auch nicht wirklich besser. Das Beseitigen der muffigen Einbauten schon eher.
Nicht immer ganz nachvollziehbar, aber ambitioniert nähert sich Salon der Angst dem Thema – Fürchten heute – mit einer Reihe beachtlicher Arbeiten. Man kann nachempfinden, dass Leute, die 2004 Mike Kelleys Meisterwerk der Subjektivität The Uncanny im mumok nebenan gesehen haben, die Abwesenheit von Schock, Horror und so manchen figurativen Monstrositäten bedauern, die damals das museale Parkett bevölkerten. Das Shining aus dem Overlook Hotel hat gesessen, keine Frage.
Schafhausen & Co aber haben wenig Interesse an jenem Altwiener Geisterbahnmodus, der den amerikanischen Helter-Skelter-Fachmann angeturnt hat. 2013 ist es weniger das Absonderliche, Krasse und Überspannte, das bei einem Publikum aus abgebrühten Biennale-HopperInnen zu kaltem Schaudern führen soll, sondern „ein diffuses Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung“ (Booklet). Und so beobachtet der Kunsthallen-Chef die neuen Dämonen der Zivilisation aus dem Backoffice und blickt den kollektiven Ängsten der Gegenwart forsch ins Auge.
Die liegen einerseits im Unterschwelligen, Verschatteten, auf der anderen Seite in gesellschaftspolitischen Bedrohungsszenarios und ihrer medialen Aufbereitung. Der Ausstellungsparcours führt durch alle Geschosse der Kunsthalle und bezieht auch die Randzone Stiegenhaus mit ein, in der Jeff Walls The Crooked Path (1991) und Boys Cutting through a Hedge (2003) – beide vom Erzählinhalt Peripherien, um sich durchzuschlagen – genremäßig ins Tatort-Milieu kippen.
Mit gedämpftem Licht, Zin Taylors psychedelischer Flechtentapete und einem Podest als Mittelding zwischen Raumbühne und Fernsehzimmer wird im ersten Ausstellungsraum der Begriff Salon angesprochen. Hier findet sich neben historischen Werken – Ferdinand van Kessels fremde und daher bedrohliche Welten, James Ensors Skelette und Dämonen – die raumgreifende Gerüstkonstruktion Kader Attias, auf deren eingehängten Regalbrettern illustrierte Zeitungen auf Kolonialismus und das böse Fremde verweisen.
Der spannendste Aspekt der Ausstellung ist ihre Unvorhersehbarkeit. Man hat so einiges vor Augen beim Thema Angst, aber sicher nicht von vornherein die resignativen Hinterglasbilder des Rumänen Florin Mitroi oder Peter Wächtlers Animation über das schäbige Leben einer Ratte und schon gar nicht die absurden Seelenfängerbilder der jungen belgischen Künstlerin Nel Aerts. Einfallsreich, wie sich Symptome künstlerischer Existenzen quer über die Räume verspannen hin zu Picabias Freestyle und Marina Fausts Etüden zu All Tomorrow’s Parties.
Überall verteilt sind Marko Lulićs mit dem Smartphone aufgenommenen Fotonotizen. Er verknüpft Motive aus dem Wiener Stadtraum mit Schlagzeilen der Boulevardpresse. Als Pacemaker führen sie durch die Show und markieren darüber hinaus das Unheimliche, das zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten haust.
Denn, bei allen Berührungsängsten, ganz ohne Sigmund Freud kommt auch Schafhausen nicht aus: überzeugend Marcel Odenbachs Zwei-Kanal-Videoprojektion Außer Rand und Band (2012/1993), in der beunruhigendes Archivmaterial der Aktionsanalysen von Otto Mühls Kommunarden am Friedrichshof einer Szene gegenübersteht, in der Kinder in weißer Unterwäsche Sigmund Freuds Behandlungszimmer samt Couch zerlegen.
Im Zentrum des Hauptraums regiert Eva Kotatkovas Unsigned (Gugging) (2011) aus der Sammlung der Erste Bank. Am Beispiel der Landesnervenheilanstalt Gugging lässt die tschechische Künstlerin Gilles Deleuze, Kontrollgesellschaft und den Überwachungsstaat auf die diagnostische Praxis einer Klinik treffen, in der Macht und Kontrolle die Parallelwelt der Art Brut beherrschten.
Zu Herzen geht die Präsentation von Polonia and Other Fables hinter einer mächtigen Wand am Rande der Halle. Allan Sekulas kanonischer Zyklus über Migration, Sprache und Solidarität wird durch den überraschenden Tod des großen Künstlers zu einem bestürzenden Memento. Aus einer anderen Perspektive verhandelt wiederum Rainer Ganahl die Auswirkungen von Globalisierung, ökonomischem Druck und Gentrifizierung in einem Supermarkt in East Harlem, der in den 1920er-Jahren ein Theater war.
Cameron Jamie, der gegenwärtig nachhaltigste Profi unter den AngstmacherInnen, zeigt Fotos aus seinem Work in Progress Front Lawn Funerals and Cemeteries (1984f.), Bilder vom Halloween-Spuk im San Fernando Valley, dem berüchtigten Tal- und Trashkessel vor Los Angeles. Im Widerspruch zur Perspektivlosigkeit der Armut macht die kontemplative Stille in Nicolas Kozakis Film A Moment of Eternity in the Passage of Time (2010/2011) gegenüber wieder Hoffnung.
In Gerard Byrnes Reenactment einer Diskussion, die 1963 in der Zeitschrift Playboy abgedruckt war, machen sich die Science-Fiction-Autoren Ray Bradbury und Isaac Asimov Gedanken über das Leben in einer Zukunft, die wir längst erreicht und hinter uns gelassen haben. Kriegsideologien und die Furcht vor weltweiter Vernichtung spielen auch in den Videoarbeiten von Willem de Rooij/Jane Ostermann-Petersen, und Mark Wallinger eine Rolle. Weder die christliche Erweckungsbewegung noch Margaret Thatcher haben ein gutes Image. Die fundamentalistische Rhetorik von Leigh Valentine (Leigh Valentine, 1994/2004), Kampfpredigerin der „Resurrection Power“, und die Falklandkriegsrede der britischen Premierministerin (In the Sleep of Reason, 2003) laufen abwechselnd im Loop. Permanent schwingen Resonanzen von Gefahr, Manipulation und Agitation im Raum.
Wovor man sich sonst noch fürchten sollte ? Vorm Alter und den damit verbundenen Gewichtsproblemen (Los Carpinteros, Pellejo (Haut), 2013), vor Routine und Langeweile im ländlichen Lettland (Ieva Epnere, Zenta, 2004), vor historischen Riten, Flüchen und Versprechungen (Harun Farocki, Übertragung, 2007), vor dem Verfall erstklassiger Architektur, insbesondere des georgischen Transportministeriums von 1975 (Didier Faustino, Exploring Dead Buildings, 2010), plakativen Vis-à-Vis (Thomas Hirschhorn, Collage-Truth, 2012) und Infrarotkameras (Agnès Geoffray, Nights, 2005–2007).
Mit 45 KünstlerInnen in der Show argumentiert die Kunsthalle in viele verschiedene Richtungen. Die Werke überlagern, ergänzen und widersprechen sich. Es ginge, sagt Schafhausen, nicht um Bebilderung, sondern um das Freisetzen von Impulsen. Und darum, die BesucherInnen einer großen Anzahl unterschiedlicher Gefühle auszusetzen. Eines davon ist: die Angst vor den Deutschen.