Heft 2/2014 - Artscribe


Anna Artaker

Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien

13. November 2013 bis 30. April 2014
Arbeiterkammer / Wien

Text: Franz Thalmair


Wien. Rahmen an Rahmen, die Wände derartig voll, dass einige der Kunstwerke zum Zweck der (Re-)Präsentation am Boden stehen, hinter- und übereinander geschlichtet, Landschaften, Porträts, Genrebilder: Erzherzog Leopold Wilhelm und der Künstler in seiner Galerie in Brüssel (1653) heißt das Gemälde, in dem der flämische Maler David Tenier d. J. gemeinsam mit dem Bruder Kaiser Ferdinands III. und Mitbegründer der heutigen Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien inmitten eines eindrucksvollen Auszugs aus dem Sammlungsbestand steht. Die barocke Dichte der Hängung, die der Künstler und Direktor der erzherzoglichen Galerie in Brüssel mit den Mitteln der Malerei des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck bringt, war nicht nur für die von den Habsburgern angelegte Gemäldegalerie, sondern vermutlich auch für die Kunstsammlung der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild im Wien des 19. Jahrhunderts charakteristisch. Neben dem besprochenen Werk David Teniers d. J. befanden sich Hunderte Gemälde von Künstlern wie François Boucher, Jacob van Ruisdael, Frans Hals, Friedrich von Ammerling oder Jacopo Tintoretto in ihrem Besitz. Bis zu ihrer „Arisierung“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 waren die Bilder im heute nicht mehr existierenden Palais Albert Rothschild im 4. Wiener Gemeindebezirk untergebracht.
Genau dort, wo der Prunkbau einst errichtet worden war, in der Wiener Prinz-Eugen-Straße 20–22, von wo aus während des Zweiten Weltkriegs die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ Deportationen befahl, steht heute der schmucklose Bau der Arbeiterkammer Wien. Und genau dorthin, in die Wartezone einer laut Eigendefinition „sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen“ Interessenvertretung für ArbeiterInnen und Angestellte, ist nun das Gemälde Erzherzog Leopold Wilhelm ... zurückgekehrt. Für die Ausstellung mit dem nüchternen Titel Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien (2013) hat die Künstlerin Anna Artaker etwa ein Viertel der Sammlung in Form einer Wandinstallation an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht. ArbeitnehmerInnen, Lehrlinge, Arbeitslose, Präsenz- oder Zivildiener, die sich hier täglich beraten lassen – „Herr und Frau ÖsterreicherIn“ also – sehen in dem vor wenigen Jahren neu gestalteten Raum nicht nur ihre Wartenummern auf dem digitalen Display, sondern auch Kunst, die sonst nur in klimatisierten, abgedunkelten und mehrfach gesicherten Museumsräumen ausgestellt ist. Jedes der in seiner originalen Größe auf Vliestapete reproduzierten Bilder – Jean-Honoré Fragonards Die überlegte Flucht etwa, August Ritter von Pettenkofens Der Kuss, eine Landschaft mit Windmühle von Constant Troyon – trägt Bildunterschriften. In diesen gibt Artaker zusätzlich zu Daten wie Künstlername, Werktitel, Technik oder Entstehungsjahr auch Informationen zum Erwerb durch die Familie Rothschild, zum Verbleib der Werke während des Kriegs sowie zu ihrer Restitution an. Aus der Recherche erfährt man etwa, dass das Meisterwerk David Teniers d. J. im Jahr 1859 von Anselm von Rothschild erworben wurde und sowohl zur Sammlung Nathaniel wie auch zur Sammlung Alphonse von Rothschild gehörte. Während des Zweiten Weltkriegs, aber auch nach seiner Rückgabe an die Eigentümer am 30. November 1947 verblieb das Werk im Kunsthistorischen Museum und ist damit eine jener Arbeiten, die die Familie Rothschild dem Museum gezwungenermaßen „widmen“ mussten, um andere Bestandteile ihrer Sammlung ausführen zu dürfen. Erst am 8. Juli 1999, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach der eigentlichen Restitution, wurde das Gemälde schließlich gemeinsam mit weiteren Sammlungsbeständen von Christie’s London versteigert.
Für ihre Ausstellung in der Arbeiterkammer Wien hat sich Anna Artaker für eine ortsspezifische Herangehensweise entschieden. Im Gegensatz zu bisherigen Ausstellungsprojekten, mit denen häufig die Interessenvertretung als Institution und das ihr eingeschriebene Thema „Arbeit“ angesprochen wurden, beschäftigt sich die Künstlerin jedoch mit dem historischen Ort, an dem die mittlerweile ebenso historisch wertvoll gewordene Neubauarchitektur aus den 1950er-Jahren errichtet wurde. Nicht nur, dass sich Artaker mit Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien eine Sonderstellung innerhalb der AK-Kunstprojekte erarbeitet hat, auch die Kammer für Arbeiter und Angestellte stellt sich einem längst überfälligen Teil ihrer eigenen Geschichte und leistet Bildungs- und Erinnerungsarbeit für die Öffentlichkeit. Diesem löblichen institutionellen Ansatz und der detailgetreuen Recherche Anna Artakers zum Trotz vermag die Intervention auf formaler Ebene jedoch genau das nicht zu halten, was der Titel verspricht. Artaker versucht, mit ihrer Rekonstruktion Leerstellen sichtbar zu machen: Leerstellen in der Prinz-Eugen-Straße, Leerstellen im österreichischen Kultur- und Geistesleben, das mit den Gräuel der Nazis einen bedeutenden Teil seiner Kraft verloren hat, Leerstellen in der Auseinandersetzung mit einem sozialdemokratischen Institut. Indem die Künstlerin in der Arbeiterkammer jedoch nur einen vergleichsweise kleinen Teil der mehrere Hundert Werke umfassenden Sammlung der Familie Rothschild ausstellt und darauf verzichtet, die Leerstellen in ihrer eigenen künstlerischen Recherche in aussagekräftige – visuelle oder räumliche – Form zu bringen, bleibt sie letztlich in den Ansätzen einer Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien stecken.