Heft 3/2014 - Lektüre



Helmut Draxler/Tanja Widmann (Hg.):

Ein kritischer Modus? Die Form der Theorie und der Inhalt der Kunst

Wien/Berlin (Schlebrügge.Editor) 2013 , S. 73

Text: Thomas Edlinger


Kritik wird heute nicht unterdrückt, sondern herbeigewünscht und eingefordert. Kein Mensch und keine zeitgenössische Kunst wollen als unkritisch gelten. Die Karriere des Begriffs „Criticality“ als Bezeichnung für die Problematisierung ästhetischer Kriterien zur Beurteilung eines Kunstwerks und deren tendenzielle Ersetzung durch die Frage nach dessen kritischem Gehalt ist dafür ein deutlicher Beleg. Die Frage ist nur, welche Form der Kritik gemeint ist.
Helmut Draxler erwähnt im letzten der drei hier versammelten Essays die in der bürgerlichen Gesellschaft etwa als Kulturkritik oder Wissenschaft etablierte Kritikform. Er fasst sie als Regulationsmodell, die manches als Modernisierung bejaht oder sogar als Optimierung einfordert und zugleich andere Ausrichtungen, wie etwa eine praktisch wirksame Kritik an der Justiz oder an der Ökonomie, zu unterdrücken oder zu neutralisieren versucht. Draxler unterscheidet diese regulative Kritik von einer radikalen Kritik, die selbst wieder zweigeteilt ist. Diese radikale Kritik zielt entweder auf ihre Selbstabschaffung ab, indem durch den revolutionären Akt paradiesische gesellschaftliche Zustände geschaffen werden sollen, die dann nicht mehr kritisiert werden können und müssen. Oder sie verschreibt sich einer Kritik in Permanenz, die wie die dekonstruktivistische Praxis unablässig ihr Geschäft verrichtet, ohne sich noch länger über ihre normativen Vorstellungen zu verständigen. Gegen die Defizite dieser beiden Kritikstränge schlägt Draxler einen dritten Weg vor. Diese „kritische Kultur“ bezieht sich auf die Einsichten einer tiefer gehängten Soziologie, die keinen archimedischen Punkt des Außen mehr kennt. So plädieren etwa Theoretiker wie Robin Celicates für eine symmetrische Kritik als soziale Praxis von KritikerInnen und LaiInnen, die keine privilegierte Position der Erkenntnis anerkennt. Celicates bringt als Referenzmodell für eine solche rekonstruktive, auf Selbstreflexion abzielende Kritik das Verhältnis des „unwissenden“ Psychoanalytikers zu den durch die Analyse „selbstkritisch“ gemachten AnalysantInnen ins Spiel. Draxler aber setzt in seinen (im engen Sinn auf Kunst als Kritik abstellenden) Überlegungen weiter auf die von Celicates verabschiedete Metaphorik eines durch das Kunstwerk produzierten, erkenntnistheoretischen Bruchs, die das Verhältnis der Kritik zum Kritisierten kennzeichnet. Diese Vorstellung ist – ungeachtet der von Draxler referierten Kritik an nicht haltbaren Vorstellungen über die Autonomie der Kunst und des Verweises auf die intentionalen Trugschlüsse von Autorschaft, Werk und Ideologiefreiheit – selbst noch vom Nachhall der Kunstphilosophie der Negativität geprägt.
Etwas richtig gut falsch machen, Erwartungen des Kritischen unterlaufen und so wieder kritisch werden, den Wunsch nach Kritik in der Kunst auf die Kritiksuchenden zurückwerfen oder das Zufällige absichtlich produzieren: In diese selbstwidersprüchlichen, jede Fixierung auf wohlmeinende Inhalte oder als fortschrittlich geltende Formen scheuende Richtungen gehen die Vorschläge Draxlers. Trotz der von ihm in seinem einflussreichen Buch zu den stets umstrittenen Wertsicherstellungsprozessen der Kunst namens Gefährliche Substanzen unternommenen Zurückweisung jeglichen Kunstidealismus räumt er ein, dass die Suche nach produktiver Irritation selbst so etwas wie seinen eigenen idealistischen Anspruch an die Kunst darstellt.
Das Buch selbst trägt dem Praxisgehalt dieser theoretischen Überlegungen auch in seiner Gestaltung Rechnung. Ein kritischer Modus entstand, wie im manualartigen Vorwort zu lesen, im Gefolge eines von Tanja Widmann abgehaltenen Seminars an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, in dessen Verlauf Helmut Draxler drei (im Buch weitgehend in Redeform belassene und mit anschließenden Diskussionsbeiträgen wiedergegebene) Vorträge hielt, deren Titel wiederum als Vorgaben für drei Ausstellungen von Studierenden dienten. Das konzeptuelle Herantasten an die künstlerische Praxis wie auch an das Buchdesign ist in Form von Skype-Protokollen dokumentiert. Der Bildteil zu den drei Ausstellungen schließlich erschließt sich nach der Lektüre auf erhellende Weise neu. Er übersetzt das Format Ausstellung in das Medium Buch und schafft dafür einen schlüssigen Vorschlag zum von Draxler thematisierten „Design der Kritik“. Dreieckige Bildausschnitte strukturieren die Doppelseiten, Detailansichten treffen auf Fragmente und torpedieren perspektivische Ansichten und Größenverhältnisse, die titelgebenden Buchstaben der Ausstellungen werden durch die sie teilweise überlagernden Collagen in ihrer Anordnung zur sinnvollen Wortkombination gestört. Zugleich beginnen die Doppelseiten aber, durch das Zeigen der Leerstellen und Brüche mit neuen Bedeutungen zu spielen. Man kann den Bildteil des Buchs auch als Antwort auf den zweiten Vortrag Draxlers verstehen. Er befasst sich mit der „Malerei als Dispositiv“ und plädiert dafür, die Konsequenzen einer der Malerei inhärenten Selbstreflexion gerade dort aufzuspüren, wo nicht mehr gemalt wird, sondern der Diskurs der Malerei zu ihrer Erscheinungsform in anderen Medien wird.