Heft 4/2014 - Lektüre
Der Klimawandel, ein immer noch strittiges Thema – besonders, wenn es um die Frage nach dem anthropogenen, also dem durch menschliche Beeinflussung bedingten Anteil geht. Trotz vieler Studien und Prognosen, die gravierende Veränderungen ganzer Ökosysteme vorhersagen, verzögert sich die Umsetzung dringend nötiger Konsequenzen auf beunruhigende Weise: Erinnert sei an dieser Stelle etwa an die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, deren Forderungen aufgrund wirtschaftlicher bzw. profitorientierter Überlegungen von vielen Staaten ignoriert, ja geradezu torpediert werden; die mehr als bescheidenen Ergebnisse des Kyoto-Protokolls von 1997 liefern dafür ein trauriges Beispiel. Der Aufruf zur Rettung der Regenwälder ist ein jahrzehntealter Slogan und immer noch aktuell, die höchst kontroverse Methode des Fracking stellt hingegen ein unlängst akuter werdendes Verfahren einer in vielerlei Hinsicht rücksichtslosen – und irreversiblen – Ausbeutung natürlicher Ressourcen dar. Treibhauseffekt und globale Erwärmung sind jedenfalls unleugbare Wirklichkeit, unklar ist lediglich, wie schnell und in welchem Ausmaß sie voranschreiten und welche weiteren Auswirkungen sie haben werden.
Mit diesem Befund, dass nämlich das Wissen um den Klimawandel und dessen Folgen relativ verbreitet ist, jedoch ein entsprechendes (Re-)Agieren ausbleibt, eröffnet Malcom Miles, Professor für Kulturtheorie an der Plymouth University (GB), seine Ausführungen unter dem Titel Eco-Aesthetics. Es ist die zweite Publikation in der Reihe „Radical Aesthetics – Radical Art“ (RaRa), die dem gleichnamigen Projekt entstammt, das 2009 mit dem Vorhaben initiiert wurde, „to explore the meeting of contemporary art practice and interpretations of radicality through interdisciplinary dialogue“. Miles widmet sich verschiedenen Beispielen aus den Bereichen der Architektur, bildenden Kunst und Literatur. Er positioniert sich dabei als reflektierter Autor, indem er sich als Befürworter der grünen Bewegung bekennt und seine individuellen Versuche erläutert, einer möglichst bescheidenen Lebensweise nachzugehen, indem er Details über seinen ökologischen Fußabdruck preisgibt. Die Auswahl der beschriebenen Positionen scheint zudem häufig von eigenen Begegnungen und Betrachtungen geleitet und erweist sich somit als klar subjektiv, was Miles auch selbst gar nicht bestreitet. Dennoch ist das Buch als Überblicksdarstellung angelegt, man könnte es auch als eine brauchbare Einführung in die Thematik beschreiben. Zentral sind darin die Möglichkeiten und Varianten, „in which art brings ecological issues to a wider public than that reached by scientific data“ – es geht also mehr um das Herstellen einer wie auch immer gearteten Aufmerksamkeit als etwa darum, konkrete Lösungsvorschläge zu liefern. Es mag dabei etwas naiv anmuten, wenn dann die Rede ist vom Ziel einer „green society – that is, a society of mutual aid, well-being, social and environmental justice and an ethical joy“.
Überzeugen kann Miles vor allem, wenn es um die theoriegeschichtlichen Hintergründe der Thematik geht. Die ersten Kapitel widmen sich eingehend den Ansätzen etwa von Rachel Carson (deren Hauptwerk Silent Spring aus dem Jahr 1962 als wesentlicher Impulsgeber für die Entstehung der Umweltbewegung in den USA gilt) oder von Herbert Marcuse, zu dem Miles bereits einschlägig publiziert hat und mit dessen Schriften eine moralisch argumentierende, kapitalismuskritische Stimme prominent Gehör bekommt. Auch zu aktuelleren Theorien wie jenen von Jacques Rancière oder Slavoj Žižek stellt der Autor Bezüge her, ohne diese jedoch zu vertiefen. Ähnlich verhält es sich über weite Strecken im darauffolgenden Teil: Einzelne Unterkapitel titeln „Oil“,„Climate Refugees“ oder „The dignity of endangered species“ und benennen damit brisante Themenkreise, bleiben aber in den Erläuterungen kursorisch. Neben weiteren Passagen zu J. G. Ballards dystopischen Romanen oder auch dem literarischen Katastrophengenre sowie zu DIY-Tendenzen und Recycling in der Architektur geht es im Bereich der bildenden Kunst vor allem um die verschiedentlich zur Anwendung kommenden künstlerischen Methoden, weniger, so scheint es, um ästhetische Wertigkeiten.
Hervorgehoben werden vor allem die Ansätze und Aktionen von Mierle Laderman Ukeles, HeHe (Helen Evans und Heike Hanson aka HeHe) oder Liberate Tate, die diesbezüglich ein breites Spektrum abdecken. Das zunehmende Interesse für derartige Praxen veranschaulicht auch die Beschreibung von drei exemplarischen Ausstellungen: Natural Reality (Aachen 1999), Groundworks (Pittsburgh 2005) und Radical Nature: Art and Architecture for a Changing Planet 1969–2009 (London 2009). Gestreift wird darüber hinaus die zunehmende theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik, etwa die von TJ Demos im vergangenen Jahr herausgegebene Ausgabe der Zeitschrift Third Text mit dem Titel Contemporary Art and the Politics of Ecology. Insofern könnte man sagen, kommt Eco-Aesthetics zum richtigen Zeitpunkt – das heißt: wann, wenn nicht jetzt.