Heft 4/2014 - Artscribe


Georgie Nettell – 2014

7. Juni 2014 bis 19. Juli 2014
Lars Friedrich / Berlin

Text: Tanja Widmann


Berlin. Hellgrau in dunkelgrau gehalten zeigen die locker gehängten Bilder in diesem Zimmer Fragmente eines Graffitis oder genauer wohl eines Tags. Das Zimmer ist Teil einer Wohnung und mimt doch gut den neutralen Galerieraum. Die Arbeit kommt mit beiden Fassungen – Wohnung wie Galerie – gut aus. Der knapp gefasste Pressetext teilt mit, dass es sich um wahllose Ausschnitte ein und desselben jpgs handelt, nun als digitaler Print auf Leinwand reproduziert. So korreliert die visuelle Reduktion des Grau-in-Graus mit einer Reduktion der Information – bezogen auf die Informationsarmut/Desaturation des Bilds ebenso wie auf die im Fragment entleerte Information des Tags selbst. Zugleich stellt dies ein dichtes Netz an Verknüpfungen her: Malerei, Reproduktion, Aneignung (der Aneignung der Straße durch Writing), Fragen der Distribution und Zirkulation von Bildern in den Netzen, der dazugehörigen Geschwindigkeit und des Verschleißes. Unterschiedliche Ökonomien – des öffentlichen Raums, des Kunstfelds, des Netzes – treffen scheinbar gefügig aufeinander. Zugleich lässt sich die Arbeit selbst einer spezifischen Netzwerkökonomie zurechnen: Nicht nur stellt das Internet das Ausgangsmaterial, auch die Arbeit selbst wird in der Form von jpgs in spezifischen Netzwerken und den entsprechenden Plattformen zirkulieren und mit einem hohen Grad an Aufmerksamkeit rechnen können. Michael Sanchez hat treffend beschrieben, wie gut sich warme Grautöne auf dem kontrastreichen und in kalten Farben gehaltenen Hintergrund der iPhones und anderer LCD-Screens machen.1 So bedient die Serie 2014 nicht nur den gegebenen Raum, sondern vorab auch schon jene Screens, die als ausschlaggebende Schnittstelle in der gegenwärtigen Rezeption von Kunst die Kommunikation, Distribution und Zirkulation beschleunigen wie auch gestalten und mitbestimmen. Und sowieso könnte man vermuten, dass die Bilder in der Serie 2014 von Georgie Nettell sich als gut handelbare Ware erweisen: die zurückhaltende Farbgebung, die kleinen Formate, die gut zu transportieren und für jedwede Wohnungs- und Galeriengröße geeignet sind, eine junge Künstlerin, deren Arbeiten, wenn auch bereits von Reena Spaulings vertreten, sicher noch erschwinglich sind. All das legt einen schnellen Erwerb und größtmögliche Zirkulation nahe.
Es zeigt sich diese Arbeit recht unverhohlen in ihrer Funktion als Ware, zugleich jedoch – und das ist wohl der Trick – spricht sie auch darüber. Und zwar derart, dass sich zu dieser geschmeidigen Setzung, dieser vordergründigen Warenhaftigkeit und Konsumierbarkeit etwas Ungefälliges, gar Ätzendes gesellt, das gerade im Moment des Vorführens oder Aufführens liegt. Denn zum einen ist es nicht die authentische Radikalität des Graffitis, die hier nun im Kunstraum verraten würde. Graffiti selbst zeigt sich als abgenützter visueller Behälter, als bereits entleerter Code, der zwar immer noch die Geschichte dieser Writings, die sich den öffentlichen Raum zu eigen machen wollten, birgt, jedoch lange schon kein glaubwürdiges Element der Auflehnung mehr assoziieren lässt. Eher wäre Graffiti wohl ein mehrwertbringender visueller Marker ebenjener Metropolen, sei es nun New York, London oder Berlin, denen diese entleerten, ausgelaugten Zeichen als Kulisse für den Touristenfluss gerade recht kommen, während diejenigen, die diese Metropolen bewohnen, sich im Blick auf die Writings selbst vergewissern, dass es so etwas wie Auflehnung doch auch geben könnte. Kein Graffiti stört in der gegenwärtigen Phase des Postfordismus mehr die gegebenen Zeichensysteme. Vielmehr sind sie selbst Teil unterschiedlicher Verwertungsprozesse geworden. Die Aufnahme in den Kunstraum betont diesen Moment und lässt eine leise Melancholie aufkommen. Zum anderen wird der Transfer des Low zum High, die Wertproduktion selbst, so unmittelbar vorgeführt, dass sich zugleich auch die Frage stellt, was für einen Wert man sich hier denn einhandeln würde. Das eckige Ausfransen der Konturen in den digitalen Prints, die die Digitalität selbst vorführen, mag zwar selbst etwas ausgeleiert wirken, vermag aber auf das Low Tech früher digitaler Animationen ebenso zu verweisen wie auf Arbeiten von Albert Oehlen aus den 1990er-Jahren. Auch die Drippings der Graffiti rufen die im Kunstfeld immer noch mit dem höchsten Wert gehandelte Flachware Malerei auf. Doch ist es eben keine Malerei und der digitale Print ein billiges Verfahren der Reproduktion. So ist es auch nicht die Kunstfertigkeit und Einmaligkeit, die hier den Wert herstellen, sondern ein Verfahren, das Virtuosität in der Handhabung der gegenwärtig relevanten Produktionsfaktoren Wissen, Information und Kommunikation vorzubringen weiß.
Der beißende Zynismus eines Merlin Carpenters lässt grüßen, doch zeichnet sich bei Nettell bereits die fortgeführte Reflexion der gegenwärtigen Verhältnisse, die nächste Schleife der Vereinnahmung durch den Geist des Kapitalismus ab. Denn während Carpenter die ambivalente Verflechtung der eigenen kritischen Position in die kapitalistische Maschinerie über ins Leere zielende Attacken vorführte – wir erinnern uns: KUNST = Kapital –, zeigt sich hier ein subtiles und gerade deshalb so unangenehmes Aufgehen in der stillen Akzeptanz der Verhältnisse.2 Nettels Geste der vorgeführten Affirmation der angenommenen Unausweichlichkeit des Systems durch alle Beteiligten ist zugleich zurückhaltender und aufsässiger als Carpenters Geste der vorgeführten Ausweglosigkeit. Der Blick auf die Bilder entspricht der Entleerung, die uns befällt, wenn wir vom Strom der Desaturation auf unseren Tablets, Smartphones und Computern bewegt werden. Zugleich vermag uns die Serie 2014 an der Stelle blöd anzureden und zu beunruhigen, wo wir alle bereits wissen, dass wir Teil des Deals sind, als Künstlerinnen, als Rezipientinnen wie als Sammlerinnen, Kritikerinnen etc. Auch der Galerist sitzt klarerweise mit im schwankenden Boot. Alle warten auf den Sturm. Doch vielleicht bleibt er aus und man muss sich mit dieser Phase eines ätzenden Zwischenzustands auseinandersetzen, der die Katastrophe oder die Revolution verspricht und doch ohne Bewegung bleibt. Dafür ist 2014 ein guter Ausgangspunkt. Denn wenn Ungehorsam als Passivität unsere gegenwärtige Sozialisierung bestimmt, wie es im Pressetext heißt, dann kann man sich selbst stillstellen oder – in einer anderen Auffassung der Passivität – ebendiese Prozesse zur Schau stellen und damit eine Frage nach anderen Möglichkeiten offenlassen. Offen bleibt aber auch, ob das Vorführen eines in der Passivität wieder erlernten Ungehorsams nicht einfach nur ätzend ist.

 

 

1 „Gray actually dims the diodes on the screen, creating a zone of relief for eyes exposed to the full brightness of the white display ground.“ Michael Sanchez, 2011: Art and Transmission, in: Artforum, Sommer 2013, Vol. 51, Nr. 10, S. 297.
2 Ich beziehe mich hier etwas reduzierend nur auf Merlin Carpenters Ausstellungsreihe The Opening von 2007–2009, in der er zur jeweiligen Eröffnung bei u.a. Reena Spaulings, Galerie Christian Nagel und dépendance, Brüssel, leere Leinwände mit Sprüchen wie „BANKS ARE BAD“, „DESTROY NEOLIBERAL“, „COLLECTOR SCUM“ etc. bemalte.