Heft 1/2015 - Artscribe


Cristina Lucas - Todbringendes Licht

6. September 2014 bis 31. Oktober 2014
Kunstraum Innsbruck / Innsbruck

Text: Carola Platzek


Innsbruck. Wenn ein Traum Wirklichkeit wird, trifft er in seiner Realität auch auf widersprüchliche Tatsachen. Das Ideal ist die eine Sache, die Realität ist es nicht, sie ist Repräsentation. So ließe sich die Essenz von Cristina Lucas’ Installation auf einen Punkt bringen.
Die Ausstellung Todbringendes Licht1 konstatiert – über den Traum vom Fliegen – die Unaufhaltbarkeit des Menschen, Beschränkungen zu überwinden. Genauso stützt sie die Vermutung, dass jeder Erfindung, egal wie gut und nützlich sie sein mag, ihr unmittelbarer Missbrauch eingeschrieben ist, der wiederum Zerstörung und Katastrophen in Gang setzen kann. Das destruktive Ereignis, so könnte man sagen, entkommt der ideologischen Maschinerie, die es verursacht hat, nicht mehr. Dem Ereignis und seinen Folgen wird mit gesellschaftlich kollektiven Analyse- und Bewertungsapparaten aufwendig begegnet. Also zeigt Lucas nicht nur die Katastrophe, sie fragt auch, wie Katastrophen der Repräsentation eingeschrieben werden.
Nicht einmal zehn Jahre nach dem ersten Flug der Gebrüder Wright (1903) wurde von einem Flugzeug als todbringende Waffe Gebrauch gemacht: 1912 wurden während des italienisch-türkischen Kriegs von Flugzeugen aus Handgranaten auf bevölkertes Gebiet im heutigen Libyen abgeworfen. In der nahezu vierstündigen Drei-Kanal-Videoinstallation From the Sky Down verzeichnet und verdichtet Cristina Lucas in einer filmischen Kartografie alle dokumentierten Bombeneinschläge mit zivilen Opfern von 1912 bis heute. Das Projekt ist dabei in drei Kapitel unterteilt: Der erste Teil reicht von 1912 bis 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das zweite Kapitel führt bis ins Jahr 1989, dem Ende des Kalten Krieges. Die Welt kannte nun schon ihr farbiges Erscheinen in analoger Technik auf den Bildschirmen, was Lucas ihrer Installation überträgt. Das dritte Kapitel reicht vom 1. Golfkrieg bis in unsere Zeit, die Ära der Satelliten und der digitalen Informationen, in der militärische Interventionen immer stärker von ferngesteuerten Luftangriffen bestimmt werden und zivile Opfer angeblich der Vergangenheit angehören, weil die Drohne zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Zum einen ist das Dummenfang, zum anderen wirft dies alles andere als einfältige Fragen auf, die sich auch Lucas gestellt hat: Wer ist gut und wer ist böse? Wer ist ein ziviles Opfer? Ist ein Revolutionär dennoch ein Zivilist?
Kein einziger Tag ist in diesen 100 Jahren ohne einen Bombenabwurf auf zivile Ziele vergangen. Das heißt mit anderen Worten: Es gab keine Zwischenkriegszeiten. Die Welt befindet sich im dauernden Kriegszustand. Die durch die Kapitel gewählten Einteilungen veranschaulichen in ihrer Geläufigkeit etwas: Sie entsprechen einer Geschichtsschreibung, speziell einer europäischen, generell aber auch einer, die ihre kulturellen Epochen von bestimmten Kriegen rahmen lässt.
Lucas’ Installation verweist lakonisch auf den inzwischen hinlänglich bekannten Fakt, dass Geschichte nicht das sein muss, was uns erzählt wird. Für die Datenerhebung der Angriffe auf zivile Bevölkerung hat sie mit dem HistorikerInnenkollektiv Trans[ito] und Studierenden der Polytechnischen Universität Valencia zusammengearbeitet2. Statt der vorgesehenen vier waren letztendlich 19 Personen an der Datensuche beteiligt.
From the Sky Down überführt das Grauen und die Ungläubigkeit ob des eigenen Nicht-Gewussthabens in eine absolut analytische, historische und technologische Atmosphäre, die der Daten und Karten. Auf drei Leinwänden präsentiert Lucas drei unterschiedliche Visualisierungen ein und desselben Ereignisses: links die statistische Erfassung eines Tages, mittig Punkte und Orte auf der Weltkarte, rechts ein Foto von betroffenen Menschen, Gebäuden oder Landschaften, alle untertitelt mit dem Datum des Geschehens. Ist die Weltkarte zu Anfang noch unbeschrieben und unbefleckt, erscheinen im Zuge der Erhebung der ununterbrochenen Bombardements in allen Teilen der Welt Namen. Die Einschläge, die als schwarze Punkte auf der Karte markiert werden, weiten sich zu Flächen aus und lassen die Karte, Abbild der Welt, zum Schluss gänzlich geschwärzt erscheinen.
Für ihre gegenüber platzierte, auf einem kleinen Monitor laufende Videoarbeit, die von Lift in Piper Prometheus umbenannt wurde, versah Lucas ein Flugzeug der Marke Piper mit einem Banner, das die physikalische Formel für das Abheben und die Flugfähigkeit eines Flugzeugs (L = (1/2) d v2 s CL) abbildet.
Die Firma Piper, in den 1920er-Jahren gegründet, war vom potenziellen Erfolg eines einfach zu fliegenden preisgünstigen Flugzeugs überzeugt. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fand eine neuere Version der Piper beim US-Militär als Schulflugzeug Verwendung. Sie war auch der erste Piper-Typ, der später in Großserie für den Privatgebrauch gebaut wurde.
Der Verweis auf Prometheus, jenen Titan der griechischen Mythologie, der den Göttern das Feuer raubte, um es den Menschen zu schenken, damit eine Katastrophe auslöste und letztendlich in einem üppig ausgestalteten Bestrafungsspektakel dafür einstand, ist in dieser Setzung auf eine besondere Weise interessant: Wäre Lucas an einer plakativ moralisierenden bis ängstlich bevormundenden Kritik jeglichen Fortschrittsbestrebens gelegen gewesen, dann hätte sie womöglich Ikarus als Namenspatron gewählt. Prometheus steht sinnhaft für Verantwortung. Piper Prometheus stellt auf eine ganz einfache Weise eine brillante Verknüpfung zwischen Individuum und Gesellschaft her, zwischen der individuellen und völlig legitimen Wunscherfüllung zu fliegen, wofür man die Verantwortung bereitwillig übernimmt und das Ich übersteigende Ereignisse, für die man die eigene Teilhabe einfach nicht anerkennen will und leugnet. Man kann Verantwortung übernehmen oder nicht, aber sie verschwindet nicht.
Was die Ausstellung Todbringendes Licht uns nämlich mitgibt, ist die ruhig formulierte, aber gnadenlose Feststellung, dass immer eine gesamte Gesellschaft an ihren Ereignissen beteiligt ist. Die Kluft zwischen Auslösung und Auslegung nimmt über dieser Einsicht zumindest ab. Es gibt jene, die Taten begehen, jene, die diese kontextualisieren, gewichten und sortieren, und jene, die sich mit deren Erklärungen zufriedengeben. Also sind alle an der Produktion von Wirklichkeit beteiligt. Die ganze hegemoniale Existenz und ihre Repräsentationen klingen unter diesem Blickwinkel wie eine einzige, allerdings hausgemachte Sisyphus-Arbeit.
Was tut diese Ausstellung nun, die keinem einzigen Bombardement näher nachgeht, kein einziges der getroffenen Territorien kontextualisiert? Schleift sie das Leid? Mitnichten. Lucas transformiert den Inhalt ihrer Darstellung in eine ästhetische Erscheinung. Dafür schönt sie nichts, sie missbraucht aber auch nicht und sie eignet sich auch nichts in verheuchelten Empörungsgesten an. Durch diese Form gelingt es mir als Betrachterin, mir ein Bild von der Wirklichkeit zu machen, das mein Vorstellungsvermögen gerade noch überstieg und nun verändern wird.

 

 

1 Die Installation in Innsbruck ist eine Variation des Zyklus On Air von Cristina Lucas, der zum Beispiel im Centro de Arte Caja de Burgos CAB und Sala Rekalde Bilbao gezeigt wurde.
2 Einen interessanten Aspekt steuern Trans[ito] in einem Text bei, worin sie schreiben, dass „Research“ nicht nur die Vorbereitung einer künstlerischen Arbeit hieß, sondern deren Existenz und Materialisierung überhaupt erst ermöglichte. Gleichzeitig erhellte die Archivarbeit selbst, dass man an der Produktion von Wirklichkeit beteiligt ist, dass man Reflexion stiften kann und selbst Geschichte ist bzw. „machen“ kann. Trans[ito] hat jedenfalls nach diesem Projekt in sich eine Erweiterung erfahren und sich von einer rein wissenschaftlichen zu einer an den Künsten interessierten Gruppe geöffnet. Vgl. Ausstellungskatalog, hg. von CAB Burgos/Iara Boubnova.