Heft 4/2016 - Artscribe


Viet Nam Discourse Stockholm

Marion von Osten mit Peter Spillmann

10. Juni 2016 bis 25. September 2016
Tensta konsthall / Stockholm

Text: Yuki Higashino


Stockholm. Der Ausstellungsraum zeigt zwei Versuche, zwei zeitlich getrennte Geschehen, die aber am gleichen Ort stattgefunden haben, sichtbar zu machen und ihre übersehene Geschichte zu rehabilitieren. Zum einen handelt es sich um Peter Weiss’ Bemühungen, in seinem Theaterstück Viet Nam Diskurs von 1968 die Geschichte des antikolonialen Kampfes in Vietnam zu zeigen, nicht nur gegen die damalige amerikanische Aggression, sondern auch gegen die chinesische, japanische und französische Kolonialherrschaft in der Geschichte des Landes. Im anderen Fall handelt es sich um die künstlerische Praxis der Designerin Gunilla Palmstierna-Weiss, deren wesentlicher Anteil an den Arbeiten von Weiss sowohl bei Set- und Kostümdesign als auch bei der künstlerischen Leitung weitgehend übersehen wurde.
Die Geschichte von Palmstierna-Weiss klingt auf schmerzhafte Weise vertraut. Als innovative und einflussreiche Designerin, deren anschauliche Karriere neben der engen Zusammenarbeit mit Peter Weiss auch Arbeiten mit Peter Brook und Ingmar Bergman umfasst, erhielt sie beschämend wenig Anerkennung. Da Weiss in seinen Theaterstücken kaum Angaben zum visuellen Erscheinungsbild machte, lag die Verantwortung für die Gestaltung der ästhetischen Aspekte, darunter fallen auch Bühnenregie und Bühnenbild, in der Verantwortung von Palmstierna-Weiss, ein Beitrag, der einem männlichen Kollegen zumindest den Credit als Koregisseur eingebracht hätte. Als 1968 Notes on the cultural life of the Democratic Republic of Viet Nam erschien, ein Buch mit Reisenotizen und Gedanken zur vietnamesischen Politik und Kultur, das sie zusammen mit Peter Weiss verfasst hatte, wurde ihr Name vom Herausgeber nicht in den Titel aufgenommen und sie blieb als Mitverfasserin unerwähnt. Mit ihrem Exponat wollen Marion von Osten und Peter Spillmann dieses Versäumnis wiedergutmachen und die Arbeit von Palmstierna-Weiss als eigenständiges Schaffen präsentieren.
Das Herzstück der Ausstellung bilden Kostüm- und Requisitenzeichnungen von Palmstierna-Weiss für Viet Nam Diskurs, eine filmische und fotografische Dokumentation der Frankfurter Theaterpremiere von 1968 und verschiedene Archivmaterialien wie Reisefotografien aus Vietnam, die auf der Reise entstanden, aus der das zuvor genannte Buch und ein Interview mit Palmstierna-Weiss hervorgingen. Des Weiteren gibt es zahlreiche Videos und Texte, insbesondere den Film Russelltribunalen (1968) von Staffan Lamm, der die von Bertrand Russell ins Leben gerufenen internationalen Proteste gegen den Vietnamkrieg in Stockholm dokumentiert. Diese vielfältigen Materialien werden in einem von von Osten und Spillmann gestalteten Display präsentiert.
In ästhetischer Hinsicht überstrahlen die Zeichnungen von Palmstierna-Weiss alle übrigen Ausstellungsobjekte. Die aufs Feinste ausgeführten Zeichnungen bilden eine perfekte Verbindung aus der präzisen, reduzierten Sprache des modernen Designs und sorgfältig ausgewählten Elementen der vietnamesischen Bildsprache wie Tiermotive, Fächer und Sonnenschirme. Die Leichtigkeit, mit der diese Elemente kombiniert wurden, deutet auf ein gründliches Studium und eine große Verbundenheit mit der ästhetischen Sprache Vietnams hin und hebt sich deutlich ab vom oberflächlichen Exotismus, ein Eindruck, der durch historische Berichte gestützt wird. Die sparsamen Linien dieser Zeichnungen wurden in ein elegantes, minimalistisches Bühnenbild übersetzt, wie auch die Dokumentation der Aufführung zeigt. Da die künstlerische Stärke dieser Zeichnungen den restlichen Exponaten sichtlich überlegen ist, wirkt die Ausstellung leider ein wenig unausgewogen. Und doch ist es ein absolutes Vergnügen, diese selten gezeigten Schätze sehen zu dürfen.
Erklärtes Ziel der Ausstellung ist es, das historische Material zu „aktivieren“ sowie „Teile von Viet Nam Diskurs erstmals überhaupt in Schweden zu zeigen“. Zu diesem Zweck ist ein beträchtlicher Teil der Ausstellung Diskussionen, Workshops, Performances und Filmvorführungen gewidmet. Das Verlangen, diesen historischen Moment progressiver Politik wiederaufleben zu lassen, um ein intellektuelles/kulturelles Instrumentarium für dringliche zeitgenössische Probleme auszugraben und einem neuen Zweck zuzuführen, ist nachvollziehbar und führt häufig zu lohnenden Ergebnissen. Allerdings handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung mit einer reichhaltigen, faszinierenden Vergangenheit um ein zweischneidiges Schwert, und es zeigt sich, welche Gefahren dies mit sich bringt. So ist die Ausstellung randvoll mit den vielfältigsten Materialien und bietet unzählige Aktivitäten mit dem jeweiligen historischen Kontext und dringlichen politischen Botschaften, was sie letztendlich ein wenig beliebig wirken lässt. Die Kakofonie interessanter Elemente, das politische Theater mit Kultcharakter, das Werk einer übergangenen Künstlerin, die Studentenbewegung der 1960er-Jahre, die historische Zusammenkunft großer DenkerInnen in Stockholm, all das hat in dieser Geballtheit den bedauerlichen Effekt, den einzelnen Komponenten ihre Schärfe zu nehmen.
Recherche als Kunstpraxis und die Präsentation der Ergebnisse in einer Ausstellung sind eine längst gängige, nicht mehr neue Strategie, die sich in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat und deren Gültigkeit nicht länger zur Diskussion steht. Mit anderen Worten, Recherche stellt ein Medium wie jedes andere dar, wie die Malerei oder die Fotografie. Das heißt jedoch, dass die Qualität der Recherche in puncto Gründlichkeit und Umfang nicht der alleinige Garant für die Qualität eines Kunstwerks oder einer Ausstellung ist, ebenso wenig, wie teure Farben oder ein Block aus Carrara-Marmor den Erfolg eines Gemäldes oder einer Skulptur garantieren. Das bedeutet wiederum, dass eine auf Recherche beruhende Ausstellung nach den gleichen Kriterien beurteilt werden muss, wie sie bei anderen Ausstellungsformaten zur Anwendung kommen, nämlich nach ihrer ästhetischen Qualität, der Effektivität und Genauigkeit der Übermittlung ihrer Botschaft, der intellektuellen Tiefe und der Komplexität ihrer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart. Diese Ausstellung hat starke ästhetische Momente, und ihre kritische Analyse des Kolonialismus und seiner gegenwärtigen Nachwirkungen ist zweifelsohne relevant. Und doch fehlt ihr etwas, um wirklich erfolgreich zu sein, wobei das Problem meiner Ansicht nach im Wesentlichen ein redaktionelles ist. Anscheinend war die Verehrung von Spillmann und von Osten für ihr Sujet zu groß, wodurch es ihnen an der nötigen Brutalität fehlte, um ihr Recherchematerial für eine fokussierte Präsentation zu bearbeiten, und ihre Ausstellung letztendlich kein schlüssiges Ganzes ergibt.

 

Übersetzt von Anja Schulte