Douglas Crimp ist ein Autor, der die erste Person Singular nicht scheut: Das heißt, er versteckt sich nicht hinter abstrakten Formulierungen, sondern bezieht Position und spricht Kritik offen aus. Dies kann man nicht nur im Hinblick auf die inhaltlich-theoretische Ausrichtung des bedeutenden Kunsthistorikers, Kritikers und Kurators nachvollziehen, wie sich unschwer anhand seiner Beteiligung an ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) belegen lässt. Erkennbar wird diese politische Haltung ebenso in seiner Schreibweise – und so überrascht es nicht, dass Crimp nun eine Autobiografie vorgelegt hat, in der er seinen privaten und intellektuellen Werdegang nachzeichnet, wenn auch nur teilweise. Denn es geht, wie der Titel Before Pictures prägnant benennt, um die Zeit vor jener legendären, von Crimp kuratierten Ausstellung, die im Herbst 1977 im Artists Space in New York stattfand.
Auf den ersten Seiten finden sich einige Bemerkungen zu seiner Herkunft aus Idaho und der Studienzeit in New Orleans, bevor Crimp 1967 nach New York kam. Die amüsante Anekdote, dass er gleichsam auf dem Weg zum MoMA vom Guggenheim Museum angeheuert wird, revidiert er selbst, indem er auf seine weniger bekannte kurze Tätigkeit für den Modeschöpfer Charles James, der auch als „America’s First Couturier“ bezeichnet wird, verweist. Danach arbeitet Crimp als kuratorischer Assistent, sowohl im Guggenheim als auch im MoMA. Im Zuge dessen kommt er mit dem Werk von Daniel Buren in Berührung, dem er sich ausführlich widmet. Ebenso beschreibt er seine Auseinandersetzung und – nicht gerade gewöhnliche – Begegnung mit Agnes Martin, deren Arbeiten er 1971 erstmals in einem nicht-kommerziellen Rahmen präsentiert. Crimp wird bald auch als Kunstkritiker tätig und schreibt unter anderem für Art News, kurz nach der Gründung der Zeitschrift October ist er dort für einige Jahre Redakteur. Seine zwischen 1973 und 1976 entstandenen Veröffentlichungen findet er kaum nennenswert, er äußert sich dazu lakonisch: „Those were my disco years“ (als Subkultur war Disco damals, vor allem im queeren Kontext, von großer Bedeutung). Crimp weist zudem mehrfach auf die Trennung von Queer- und Kunstwelt hin, mit der er sich gerade in seinen ersten Jahren in New York befasst. An der City University of New York absolviert Crimp ein PhD-Programm, wo Rosalind Krauss unterrichtet, und lernt dort Craig Owens kennen, mit dem ihn nicht nur die intellektuelle Auseinandersetzung verbindet, sondern eine regelrechte Leidenschaft für Ballett, die sie gemeinsam ausleben. Was die theoretische Prägung anbelangt, nennt Crimp neben seiner Wölfflin lastigen Studienzeit linguistische und poststrukturalistische Tendenzen als wichtig. Später kommt der Einfluss von Cultural Studies hinzu, an der Etablierung von Visual sowie Queer Studies ist Crimp selbst schließlich nicht unwesentlich beteiligt – was auch zum Bruch mit der October-Fraktion führen sollte. Doch schon früher sieht sich Crimp in gewisser Opposition zu vorherrschenden Ansätzen: „My own tendency was, in any case, to err in the opposite direction by attending to the material, describable particulars of an artwork. I was determined to find a critical position that circumvented both the poetic approach associated with Art News and the Greenbergian formalism that held sway among many of the Artforum critics.“
Die Tatsache, dass für Crimp das konkrete Anschauungsmaterial von großer Bedeutung ist, zeigt sich (wie auch in den beiden Ausstellungen in Berlin und New York, die begleitend zur Publikation entstanden) deutlich anhand der Gestaltung des Buchs: So wie ein wesentlicher Bestandteil seiner berühmten Publikation On the Museum’s Ruins (1993) das Bildmaterial von Louise Lawler ausmachte, so ist auch Before Pictures reich bebildert. Zoe Leonard, eine langjährige Weggefährtin Crimps, steuerte Fotografien von den Wohnorten des Autors bei; darüber hinaus findet sich eine Vielzahl an Referenzabbildungen (etwa zu Kunstwerken, aber auch Filmen oder Persönlichkeiten) sowie privates Archivmaterial, das auch Membership Cards für Clubs (12 West oder Flamingo) bzw. Schnappschüsse von Crimp mit Cindy Sherman und Robert Longo beim Barbecue umfasst. Humor scheint neben der anekdotenreichen und assoziativen Erzählweise für die Gesamtkonzeption nicht unwichtig gewesen zu sein. Wenngleich einige Fußnoten einen theoretischen Referenzrahmen herstellen, so handelt es sich hier dennoch um eine im besten Sinne leichte Lektüre. Crimp schreckt auch nicht vor Gossip zurück, was eine Ahnung von den damaligen Verstrickungen zulässt und den Eindruck eines recht überschaubaren New Yorks vermittelt. Worum es Crimp nicht zuletzt geht, ist, die damaligen Lebensbedingungen im metropolitanen Milieu zu schildern (die er nicht ohne einen gewissen nostalgischen Unterton als experimentell beschreibt), was etwa auch die – mitunter prekären – Arbeits- und Wohnverhältnisse meint. Im Hinblick auf die Bedeutung dieser Stadt wird schließlich auch die Relevanz einer anderen Ausstellung vor Augen geführt, die Crimp vor einigen Jahren zusammen mit Lynne Cooke kuratierte: Mixed Use, Manhattan. Photography and Related Practices 1970s to the present.