Heft 1/2017 - Artscribe


Bergen Assembly 2016

1. September 2016 bis 1. Oktober 2016
Diverse Ausstellungsorte / Bergen

Text: Gabu Heindl


Bergen. Can A Business Have A Soul? – das so betitelte Werbevideo zeigte Adrian Heathfield beispielhaft zum Auftakt des vom Recherchekollektiv freethought organisierten Infrastructure Summit, eines der diskursiven Teile der Bergen Assembly 2016. „The Answer Is Simple: SAP“ heißt es am Ende des Videos auf diese Frage: Das internationale Infrastrukturunternehmen SAP übernimmt global Aufgaben, die bis vor Kurzem als kommunale und öffentliche definiert waren. Die Frage nach der Seele liest sich wie ein Zitat aus Deleuzes Kontrollgesellschaftsdiagnose, wonach ein Unternehmen heutzutage „kein Körper, sondern eine Seele, ein Gas“ sei. SAP beseelt mit seinem Datenmanagementsystem auch weltweit Universitäten. Das Summit-Intro eröffnet damit die Hauptthemenfelder von freethought: fehlende Freiräume an neoliberalen Universitäten, die selbst zu Unternehmen geworden sind, und Fragen von Infrastruktur.
In einer Zeit, in der Kommunen sich außerstande sehen, basale Infrastruktur ohne Hilfe privater InvestorInnen zu gewährleisten, in der das Ende infrastruktureller Quellen wie Erdöl (von dem Norwegens Wirtschaft lebt) ebenso spürbar wird wie generell neoliberale Zugriffe auf Infrastruktur, nimmt sich freethought vor, den „Stier bei den Hörnern zu packen“ – so Irit Rogoffs einführende Worte. Infrastruktur, so Rogoff weiter, konditioniere unser Leben, entziehe sich aber der Repräsentation. Dem soll spekulative Recherche abhelfen; ebenso das Ausstellen von „knowledge“, dem akademische Räume verschlossen bleiben, in Kunsträumen. Zu diesen Zwecken entwickelte freethought die drei Plattformen The Infrastructure Summit, The Partisan Café und The City Seminar on Infrastructure sowie eine Ausstellung, die in sechs Teile gegliedert war: Shipping and the Shipped, End of Oil, Spirit Labour, Infrastructure of Feeling, Archives of Substance und The Museum of Burning Questions.
Archives of Substance enthält etwa Retracing a Utopian Stage von Vali Mahlouji, ein Archiv, in dem das iranische Shiraz-Festival dokumentiert ist, das mit seinem beeindruckenden transnationalen Programm in den Jahren 1967 bis 1977 provinzielle Vorstellungen von Avantgarde und Folklore, Ost und West in jeder Hinsicht durchkreuzte. Ein weiterer Archivraum ist dem Partisan Coffee House in London im Zeitraum 1958 bis 1962 gewidmet. Als infrastruktureller Raum der Debatte und für die Imagination einer neuen Linken rund um die Zeitschrift New Left Review steht das Lokal Pate für die Einrichtung eines Partisan Café im Rahmen der Assembly: In der Garage einer von pensionierten Bergener Feuerwehrleuten besetzten ehemaligen Feuerwehrzentrale richteten Nora Sternfeld und Isa Rosenberger gemeinsam mit den Besetzern ein Partisan Cafe ein. Gemeinsam mit sechs Kulturschaffenden machten sie die Garage einen Monat lang zum Ort öffentlicher Diskussion (mit leistbaren bis gratis Getränken). Thema war unter anderem der Kampf der Exfeuerwehrmänner für ein Fire Museum in diesen Räumen – anstelle von deren Verwertung als profitable Immobilie. Die Besetzer setzten ihre Forderungen durch – vielleicht auch unterstützt durch die solidarische Einrichtung einer Diskursinfrastruktur.
Die Bergener Feuerwehrhistorie zeigt nicht zuletzt, wie infrastrukturelle Vorsorge gegen Feuerstürme in der Stadt deren Topografie mit formte – von Abständen zwischen Gebäuden bis zu den Straßenverläufen –, was eindrücklich festgehalten war im Video Brandstasjon von Isa Rosenberger in der Bergener Kunsthalle. Dort konnten BesucherInnen in der (feuerwehraffin benannten) Installation The Museum of Burning Questions – The Dancing Tables Archive an den brennendsten Fragen mitschreiben. Einer brennenden Frage galt auch der Beitrag Shipping and the Shipped, kuratiert von Stefano Harney, mit Bezug auf ein Kapitel über Schifffahrtslogistik ausgehend von transatlantischem Sklavenhandel in seinem und Fred Motens Buch The Undercommons (2013). Moten sprach als Ausstellungs- und Summit-Teilnehmer über Freundschaft als Infrastruktur, als Widerlager zu Konkurrenzerfahrung in Arbeitsverhältnissen, auch an Unis.
Kunstinfrastruktur gibt den Raum, den jene der Universität nicht mehr bietet, und sie gibt – als Triennale zumal – Zeit für Versammlung: Von Anfang 2015 bis Ende 2016 dauerten die öffentlichen Veranstaltungen der Assembly, der zweiten Triennale in Bergen. Neben freethought beauftragte deren Advisory Board auch das Berliner Kuratorinnenduo PRAXES und den in Paris lebenden Künstler Tarek Atoui. Die drei Positionen stellen sich dem Anspruch der Bergen Assembly, das Format Großausstellung neu zu denken, in sehr unterschiedlicher Weise. Das macht deren gleichzeitige Rezeption nicht leicht, bringt aber die Heterogenität heutiger Kunstpraktiken zum Vorschein. PRAXES nahm sich, gemäß ihrer Programmatik, ein Jahr lang Zeit, Ausstellungsformate zu den Positionen zweier Künstlerinnen zu entwickeln: Lynda Benglis und Marvin Gaye Chetwynd. Atoui wiederum erweiterte gemeinsam mit dem Bergen Deaf Center sein 2013 begonnenes Projekt WITHIN. Es geht ums Hören und Fühlen von Sound. Mit WITHIN/Infinite Ear entwickelten Atoui und sein Partnerteam Council neben einer Ausstellung über die Diversität des Hörens mit gehörlosen und schwerhörigen MusikerInnen an speziell für diesen Event gebauten Instrumenten mehrere Musikstücke. Diese Produktion ebenso wie deren Aufführung fand in einer weiteren un- und nun umgenutzten Infrastruktur statt – in Bergens ehemaliger kommunaler Schwimmhalle Sentralbadet. Deaf Architect Jeffrey Mansfield hatte sie für die Assembly zum Resonanzraum umgestaltet, in dem die Musikstücke Zuhörende unabhängig von der Kapazität ihres Gehörs im vollen Wortsinn berührten.