Heft 1/2018 - Artscribe


VALIE EXPORT. Das Archiv als Ort künstlerischer Forschung

10. November 2017 bis 28. Januar 2018
LENTOS / Linz

Text: Bettina Brunner


Linz. Die Ausstellung VALIE EXPORT. Das Archiv als Ort künstlerischer Forschung und deren Kuratorin Sabine Folie hatten sich einer sehr konkreten Herausforderung zu stellen. Anlässlich der Eröffnung des wissenschaftlich ausgerichteten VALIE EXPORT Center Linz als zukünftiger Standort des Archivs von EXPORT, das 2015 für die Sammlung des LENTOS erworben worden war, sollte die Ausstellung einen ersten Einblick in die archivarischen Materialien liefern. Hatte die Kuratorin die gewagte Entscheidung getroffen, den Einblick überblicksartig anzulegen, so war es nachvollziehbar, dass der Frage des Ausstellungsdisplays sowie der medialen Repräsentation und diskursiven Verortung archivarischer Objekte besondere Bedeutung beigemessen wurde.
Deutlich wurde dies bereits beim Betreten der Ausstellung, wo ein von Folie konzipiertes, wandfüllendes Diagramm das Archiv als künstlerisch-theoretischen Diskurs der Avantgarden – vor allem des 20. Jahrhunderts – markieren sollte, der von Walter Benjamin bis Sol LeWitt und Hal Foster reichte. Unterlegt mit ausführlichen Zitaten der Künstlerin – darunter die prägnant-provokante Formulierung „Die Archivstruktur war von mir nicht als Archivstruktur gedacht“ – wurde EXPORTs eigene archivarische Praxis darin ebenso eingebettet wie die Ausstellung des LENTOS selbst, indem die verschiedenen Ebenen des Displays, von klassischen Ausstellungsvitrinen bis zu Videos und Plakaten, klar verortet und benannt wurden. Die textuell-grafische und diskursive Struktur des Diagramms war auch insofern als programmatisch zu verstehen, als darin bereits der dezidierte Versuch der Ausstellung sichtbar wurde, der Faszination archivarischer Objekte als authentische Zeitzeugen und materielle Spuren einer Künstlerinnenbiografie entgegenzuwirken und stattdessen deren Relevanz als Akteure in der Formierung von Wissensdispositiven herauszustreichen.
Diese Strategie durchzog die gesamte Personale EXPORTs. So wurde die etwa mehrere Tausend Bestände fassende Bibliothek der Künstlerin durch eine wandfüllende Textinstallation repräsentiert, in der eine Auswahl der Buchtitel gelistet war. Plakate zu Einzel- und Gruppenausstellungen EXPORTs waren in Form einer Art Fototapete digital reproduziert worden. Die in der Ausstellung dominant platzierten Wanddisplays sollten als „vertikale Präsentationsform“, wie es in der ausstellungsbegleitenden Broschüre hieß, den zahlreichen Vitrinen mit Archivmaterial als „horizontale Achse“ entgegenstehen und so zwei einander verschränkende Informationsebenen definieren. In den Ausstellungsvitrinen legte die Kuratorin einerseits den Schwerpunkt auf jenes Material, das abseits der künstlerischen Produktion anzusiedeln wäre und EXPORT im gesellschaftlichen Kontext in den Blick nahm. Auf ihren politischen Aktivismus verwiesen etwa diverse Schriften und Korrespondenzen über EXPORTs Weigerung im Jahr 2000, den Oskar-Kokoschka-Preis von einem Mitglied der schwarz-blauen Bundesregierung entgegenzunehmen. Andererseits rückte die Ausstellung künstlerische Projektentwürfe und Skizzen in den Vordergrund, so etwa Studien zur bekannten Fotoserie Körperkonfigurationen (1972–82), bei der EXPORT den Körper in Relation zu diversen architektonischen Strukturen setzte. Waren aus Letzteren von der Künstlerin annotierte Kontaktbögen zu sehen, so eröffnete die Ausstellung gerade dort neue Perspektiven auf das Werk EXPORTs, wo ihre präzise Arbeitsweise augenscheinlich wurde, insofern sie Entscheidungsfindungsprozesse akribisch dokumentierte und archivierte. Dies wurde nicht nur im Hinblick auf die künstlerische Praxis sichtbar, sondern betraf auch alltäglichere Angelegenheiten. So war etwa eine mit grammatikalischen und inhaltlichen Korrekturen versehene Briefkorrespondenz mit dem ORF zu sehen, bei der EXPORT Beschwerde eingelegt hatte über die Produktionsbedingungen der von ihr konzipierten Fernsehdokumentation Das bewaffnete Auge (1984).
Wurde ebenjene dreiteilige, über jeweils 45 Minuten laufende Serie über die Filmavantgarde auf einem Monitor gezeigt und war diese in ihrer Gesamtdauer nur schwer zu konsumieren, so galt Letzteres prinzipiell für die in der Ausstellung präsentierten Film- und Videoarbeiten EXPORTs. Die drei Spielfilme Unsichtbare Gegner (1976), Menschenfrauen (1978) und Die Praxis der Liebe (1984) mit einer Gesamtlänge von über fünf Stunden liefen auf einem einzigen Monitor. Diese Form der Präsentation war zweifellos Teil der kuratorischen Strategie und deutete darauf hin, dass EXPORTs „fertige“ Arbeiten in einer Archivausstellung nicht als eigentlicher Ausstellungsgegenstand, sondern als weiterführendes Referenzsystem – ähnlich des eingangs erwähnten Diagramms – verstanden werden sollten. Führte ein sich schlüssiges und konsequent durchgeführtes kuratorisches Konzept EXPORTs Archiv eindrücklich als unabgeschlossenes Wissenssystem vor, so wirkte die Ausstellung mit ihrer bewussten Überfülle an diskursiven Verweisen gelegentlich ungewollt didaktisch. Durch die inhaltlich breit gefächerte Auswahl an archivarischen Materialien gelang es der Kuratorin jedoch, zweifellos Unbekanntes im Werk der Künstlerin ausfindig zu machen – wie etwa EXPORTs Teilnahme an einem in Vergessenheit geratenen Ausstellungsprojekt von 1999 zur Rolle der Mutter in der Kunst, organisiert vom Evangelischen Stadtkirchenverband Köln, oder ein nicht realisiertes Filmprojekt aus den 1980er-Jahren zur Entstehungsgeschichte des bewegten Bilds.