Heft 2/2018 - Netzteil


Eine Frage schwarzer Liquidität

Critical Race Media Theory @ Transmediale

Sumugan Sivanesan


„Face value“ lautete das Motto der diesjährigen Transmediale, und das Programm widmete sich schwerpunktmäßig der Frage, inwiefern Klassen-, Gender- und ethnische Vorurteile in Medien- und Computersystemen inhärent sind. Dies markiert für Berlins wichtigstes Medienkunst- und Digitalkulturfestival eine echte Trendwende.
Schon im ersten Grundsatzreferat thematisierte die feministische und postkolonialistische Denkerin Françoise Vergès das „Kapitalozän der Rassen“1, wobei sie sich auf das Werk des einflussreichen schwarzen Denkers Cedric J. Robinson bezog. Dessen Kritik daran, wie sich der Kapitalismus die Arbeitskraft von Schwarzen als „permanentes Kapital“ aneignet,2 wurde tags darauf auch von Jonathan Beller in seinem Vortrag über „derivatives Leben“ aufgegriffen. Gemeinsam mit Lisa Nakamura, einer weiteren Grundsatzrednerin auf dem diesjährigen Festival, und Wendy Hui Kyong Chun, die letztes Jahr dabei gewesen war, bilden diese DenkerInnen die wichtigsten VertreterInnen im Feld der kritischen Medientheorie des Rassismus.
Bellers weitgehend pessimistische Analyse des Lebens unter dem Regime des „rassistischen Computerkapitalismus“ gemahnte an Cedric Robinsons Erkenntnis, wonach der Kapitalismus im feudalen Europa unter rassistischen Vorbedingungen entstand. Diese ethnischen Unterscheidungen wurden mit dem Kolonialismus der europäischen Staaten noch verstärkt, was „zwangsweise“ zur Versklavung von Schwarzen führte, deren Arbeitskraft für die wachsende Weltwirtschaft unbedingt notwendig war.
Dieser rassistische Charakter der Arbeit sei bis heute geblieben. Am deutlichsten zeige er sich als strukturelle Ungleichheiten zwischen den Erdteilen, die das Gefälle zwischen den Arbeitsmärkten immer weiter verstärken und in den ehemaligen Kolonien „billige Arbeitskräfte“ erzeugen. Im Zuge der Entwicklung der sozialen Medien wucherten zudem in letzter Zeit Formen der immateriellen Arbeit und des Kommunikationskapitalismus, die nunmehr unsere Repräsentationsmodi beherrschten. Beller betonte, dass Plattformen wie Facebook zu einer Verteilung der Produktionsmittel geführt hätten, auf denen unsere Gefühls-, Aufmerksamkeits- und Stoffwechselkapazitäten gleichsam in „ortlosen Fabriken“ ausgebeutet werden. Er blieb daher gegenüber Prozessen der „Digitalisierung“, die oft hinter dem Euphemismus der „digitalen Kultur“ verborgen werden, kritisch.
Jede Art der Bürokratie ist historisch gesehen rassistisch, genderungerecht und klassenverstärkend. Menschen werden darin als Quantitäten, Ressourcen, Anlagen oder statistische Größen betrachtet. Weder ist Information je wertneutral, noch sind die Medientechnologien, mit denen sie analysiert, in Umlauf gebracht und kopiert wird, frei von Ideologie. „Der Kolonialismus wurde bloß durch einen Computerkolonialismus ersetzt“ – so beschrieb Beller den parallelen Prozess der „Informationalisierung, Computerisierung und Finanzialisierung“, der von übernationalen Medientechnologiekonzernen wie Google und Facebook durch ihre Zentralisierung von Information sowie von Banken und Staaten durch deren Kapitalkonzentration betrieben wird. Im Anschluss an Robinson behauptete er, dass wir alle vom totalisierenden System des Computerkapitalismus zu Anlagekapital gemacht werden.
Überraschend war indes, dass Beller in den jüngsten Experimenten mit genau diesen Prozessen, insbesondere mit den Aktionen der Economic Space Agency (ESCA), eine Emanzipationschance ausmachte.3 Diese Art Start-up entwickelt alternative Finanzprodukte auf der Blockchain-Plattform Ethereum.4 Die Blockchain ist eine Innovation der ersten Kryptowährung Bitcoin und gilt als „vertrauensunabhängige“ Methode, um Transaktionen durch öffentlich sichtbare Buchführung zu validieren und abzusichern. Diese Buchführung geschieht verteilt über ein Netzwerk aus Rechnern, wodurch zentralisierte Autoritäten wie Banken überflüssig werden. Ethereum ist quasi das erste verteilte Betriebssystem auf Blockchain-Basis, das ProgrammiererInnen ermöglicht, über sogenannte Smart Contracts Applikationen zu entwickeln. Smart Contracts sind digitale Protokolle, die vereinbarte Tasks ausführen und abarbeiten und dabei bei der Absicherung der Transaktionen angeblich sicherer sind als Methoden, bei denen Menschen Fehler machen können. Ohne zusätzliche Kontrollinstanz bietet Ethereum also die Möglichkeit von „Open-Source-Finanzdienstleistungen“. Das „Space Program“ von ECSA will genau das, indem es die „Vereinigung vieler Mikroökonomien“ zu einem neuen Wirtschaftsraum propagiert. Die teilnehmenden „ÖkonautInnen“ dürfen selbst entscheiden, welche Art der Wertschöpfung sie bevorzugen. Sie setzen eigene Währungen oder Kryptowährungen in Umlauf, um ihren Profit zu steigern, und handeln mit oder unterstützen andere gleichgesinnte Plattformen. Kurzum: „Normale Menschen“ können mithilfe von normalen Computern ihre Finanzen ohne Banken verwalten, und damit wird, wie die ECSA sagt, „der Wirtschaftsraum zu einem Mittel eines gemeinsamen Willens“5.
„Nimm nichts für bare Münze“, warnte der künstlerische Leiter der Transmediale Kristoffer Gansing bei der Presseführung vor dem Festival. Es wäre also schlau, sich zu überlegen, wer denn von den Entwicklungen der spekulativen Computerfinanz profitiert. Der Jurist Robert Herian mahnte, dass diejenigen, die die technischen Fortschritte als Erste nutzen, oft andere Motive haben, als sie vorgeben.6 Für UnternehmerInnen liegt die Attraktivität „subversiver“ Technologien wie der Blockchain darin, dass sie neue Märkte erschließen und den Wettbewerb fördern. Jede technische Neuerung sei daher immer ein Mittel, um KonkurrentInnen auszustechen. Ganz im Gegensatz zum Traum der Dezentralisierung und der Vielfalt tendiert der Markt jedoch dazu, die herrschenden Mächte und ökonomischen Monopole zu stärken. Daher, so Herian, seien derartige Eingriffe in Märkte oft nicht subversiv, sondern vielmehr „radikal konservativ“.
Cedric Robinson hat überzeugend dargelegt, dass das kapitalistische Weltsystem nicht auf ArbeiterInnen, sondern auf SklavInnen basiert. Das Profitmotiv impliziert, dass viele, die an Liquidität und Handel teilhaben, schlicht und einfach reich werden wollen. Würden also nicht diejenigen, die in alternativen Wirtschaftssystemen an die Macht kämen, dieselbe Gewalt reproduzieren, die den Kapitalismus prägt? Würden die autonomen Finanzierungsmodelle der sozialen AktivistInnen, wie sie Jonathan Beller anhand von Black Lives Matter vorstellte, die Dynamik der prekären Ökonomie womöglich noch verstärken, weil sie die Marktdifferenzierung als Selbstverwirklichung verkaufen und daher zu mehr Konkurrenz und letztendlich Unfreiheit führen? Wie brachte es jemand aus dem Publikum mit einer Frage so schön auf den Punkt: „Und welche Rolle spielen Schwarze bei Kryptowährungen außer die von Knastbrüdern?“7
Solche Ängste schwangen auf der Transmediale bei mehreren Diskussionen mit, die thematisierten, wer überhaupt sprechen und wer zuhören darf. Kein Zweifel, dass diese Fragen alle „Nicht-Schwarzen“, die sich mit schwarzem Denken auseinandersetzen, quälen. Mich überzeugte diesbezüglich eine andere Vortragende auf dem Festival, nämlich Aria Dean, die in ihren „Notes on Blacceleration“ einen Strang radikalen schwarzen Denkens herausarbeitete, der die lange Geschichte der Schwarzen als Lebendkapital und Spekulationsmasse begreift und weiter zu beschleunigen versucht.8 Schwarze, die in der Geschichte als „Untermenschen“ gebrandmarkt wurden, reproduzieren, wenn sie auf die kapitalistische Unterdrückung und Entfremdung reagieren, sich selbst als unmenschlich und antimenschlich. Wenn man von ihren Geschichten lernen will, darf man, so man die Kontrolle über unser „derivatives Leben“ erlangen möchte, das soziale Leben nicht als Wettbewerb begreifen. Wenn doch, dann führt dies unweigerlich zu einem Wettbewerb nach unten.

transmediale – face value, 31. Januar bis 4. Februar 2018; https://2018.transmediale.de/

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

[1] Françiose Vergès, Racial Capitalocene: Is the Anthropocene Racial?, auf dem Blog von Verso (30. August 2017); https://www.versobooks.com/blogs/3376-racial-capitalocene.
[2] Vgl. Cedric J. Robinson, Black Marxism: The Making of the Black Radical Tradition. London 1983.
[3] https://economicspace.agency/
[4] https://www.ethereum.org/
[5] Engl.: „the design of economic space becomes a means of collective self-expression“; vgl. Economic Space Agency (ECSA), On Intensive Self-Issuance: Economic Space Agency and the Space Platform, in: Inte Gloerich/Geert Lovink/Patricia de Vries (Hg.), MoneyLab Reader 2: Overcoming the Hype. Amsterdam 2018, S. 232–242.
[6] Vgl. Robert Herian, Blockchain and the Distributed Reproduction of Capitalist Class Power, in: MoneyLab Reader 2, S. 43–51.
[7] Eine Tonaufnahme von Bellers Vortrag ist auf der Website der Transmediale archiviert; https://2018.transmediale.de/program/event/derivative-living.
[8] Aria Dean, Notes on Blacceleration, in: e-flux journal, 87 (Dezember 2017); www.e-flux.com/journal/87/169402/notes-on-blacceleration/.