Heft 2/2018 - Artscribe


Löcher in der Wand: Anachronistische Annäherungen an die Gegenwart

8. Februar 2018 bis 24. März 2018
Kunsthalle Exnergasse / Wien

Text: Yuki Higashino


Wien. Wenn man die zeitgenössische Kunst auf einen Merksatz bringen könnte, dann wäre das wohl der berühmte Satz von Donald Judd „Eine Arbeit braucht nur interessant zu sein“. Dieses Motto, erstmals 1965 im Aufsatz Spezifische Objekte veröffentlicht, kündete vom Beginn der Postmoderne. Das Ende des modernistischen Essentialismus war gekommen, und die Kunst konnte von nun an auch erzählerische, recherchierte oder explizit politische Elemente verwenden. Es war auch der Ausgangspunkt von neuen Kunstformen, die sich auf historische Recherchen stützten. In ihrer besten Form formuliert eine dergestalt geschichtsbewusste Kunst Elemente aus der Vergangenheit mit ihrer eigenen Bildsprache, um unvollendete historische Projekte für die Gegenwart interessant zu machen. In ihrer schlechtesten und leider weitaus häufigeren Form benützt die geschichtsbewusste Kunst hingegen eine spannende Geschichte bloß als Anekdote, mit der sie die Hohlheit des Kunstwerks kaschiert, und letzteres damit legitimiert. Außerdem verwechseln KünstlerInnen dieses Trends oft die Qualität der Recherche mit der Qualität der Kunst. Recherche allein ist indessen noch keine Kunst, sondern nur eine Materialsammlung, und auch das beste Material mit der höchsten Qualität garantiert nicht, dass daraus ein gelungenes Kunstwerk wird. In einer ironische Abwandlung könnte man den Kern dieser Kunst mit Donald Judd also persiflierend unter das Motto stellen: „Eine Arbeit braucht nur eine interessante Hintergrundgeschichte zu haben“.

Schlimmer noch ist, dass diese Art der Kunst Im Moment zum neuen Akademismus avanciert. Da man sie sehr leicht unterrichten und bewerten kann, weil jede Schule ihre akademischen Qualitätskriterien schlicht von anderen importieren kann und nur ein bisschen anpassen muss, breitet sie sich mehr und mehr in den Kunstakademien aus. Stellt man jedoch die Recherche derart in den Vordergrund, vergisst man schnell den Studierenden zu vermitteln, dass diese ja ein Mittel und kein Zweck ist, und dass das Kunstmachen immer eine Synthese von Intellekt, ästhetischem Gefühl und materieller Produktion darstellt. Führt der alleinige Fokus auf das Gefühl oder die Produktion zum Formalismus, so resultiert der Akzent auf die Recherche in einem Akademismus, der so leblos ist wie die akademische Malerei im 19. Jahrhundert, gegen die sich der Impressionismus so auflehnte.

Diese Problematik der geschichtsbewussten Kunst steht im Hintergrund, wenn man die Ausstellung Löcher in der Wand betritt. Sie hat sich nämlich vorgenommen, die Umdeutbarkeit der Geschichte zu untersuchen und mit einem frischen Blick auf die Vergangenheit die Gegenwart besser zu verstehen. Die ausgestellten Arbeiten verfolgen dieses Ziel allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

Jene von Kathi Hofer ragt mit ihrer Lockerheit heraus. The State of Long-term Expectation restated aus 2014 besteht aus neutralen, mit Zitaten des Ökonomen John Maynard Keynes bedruckten Kaffeetassen, in Geschenkpapier verpackten Schachteln, Plexiglasbehältern und Geschenkbändern auf nüchternen Bürotischen. Damit illustriert die Installation die Mechanismen von Warenform und Tauschwert sowie deren Bezug zur Kunst, und das auf eine erfrischend trivialisierende Art, die der so oft deprimierend faden Bildsprache geschichts- und theorielastiger Kunst entgegensteht.

Das Video The Dead Weight of a Quarrel Hangs von Walid Raad aus 1999 ist für dieses Genre so etwas wie ein Klassiker. Es zeigt kurze Vignetten aus den libanesischen Bürgerkriegen, allerdings basierend auf einem imaginären Archiv des Künstlers. Raad versuchte hier, Fiktion und Dokumentation möglichst engzuführen und damit eine Trope aus der Literatur auf die bildende Kunst zu übertragen.

Im Gegensatz dazu ist das Video The Ship of Fools – A Recuperation von Miklós Erhardt und Little Warsaw auffällig schwach. Die Künstler baten eine Gruppe italienischer Anarchisten, eine Fabrikbesetzung im norditalienischen Rovereto in einem Budapester Theater nachzuspielen. Dadurch, dass die Künstler dabei als Autoritätsfiguren fungierten, soll wohl der Anschein erweckt werden, dass ihre eigene Position in Frage gestellt wird. Ein umstrittenes politisches Ereignis wird also benützt, um selbstreflexiv die Bedeutung des Kunstmachens überhaupt zu hinterfragen. Unklar bleibt allerdings, welches Ziel mit dieser Nachstellung eigentlich verfolgt wird. Rechtfertigt das Auftreten der tatsächlichen historischen Akteure das Kunstwerk bloß für einen internationalen Kunstevent? Immerhin wurde es ursprünglich für die Manifesta 7 produziert und genau in der einst besetzten Fabrik gezeigt. Stellt allein die Tatsache, dass sich hier Amateure als Schauspieler betätigen, das Video schon in die illustre Tradition des Brechtschen Theaters und Films? Mir scheint eher, dass die Selbstreflexivität hier als Deckmantel dient, solche peinlichen Fragen zu umgehen.

Überhaupt strahlt die ganze Ausstellung das ängstliche Ringen der KünstlerInnen um die politische Wirkung ihrer Kunst aus. Im Angesicht einer immer schlimmeren Politik und Umwelt versteht man ja, dass sie die Vergangenheit aufarbeiten wollen, um durch eine neue Interpretation und Darstellung geschichtlicher Ereignisse festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Doch eine neue Lesart der Geschichte erfordert zu ihrer Darstellung eben auch ein neues ästhetisches Vokabular. Leider lassen viele der hier ausgestellten KünstlerInnen ein solches vermissen und übernehmen allzu unkritisch die Methoden der Aneignung und Institutionskritik, die sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert haben. Klar ist jedoch, dass eine Neuinterpretation der Geschichte ohne neue künstlerische Form wirkungslos bleibt.

 

Übersetzt von Thomas Raab