Heft 3/2018 - Institut "Kunst"


Die Kunst wird uns nicht retten

Wenn der Widerstand der Kunstwelt von der Aufmerksamkeitsökonomie „gehackt“ wird

Anna Khachiyan


1. Nach dem erstaunlichen Ergebnis der US-Wahl 2016 machten sich die liberalen Medien auf die Suche nach den positiven Aspekten des Geschehens — und fanden diese, ausgerechnet, in der Kunstwelt. In The Cut erklärte der Hausexperte Jerry Saltz den zu erwartenden Niedergang nach der Wahl zu einer „entscheidenden Möglichkeit“ und einem „Aufruf, aktiv zu werden“, ja, er ging sogar so weit, ein filmreifes Szenario zu entwerfen, in dem „KünstlerInnen mit MechanikerInnen daran arbeiten, Deportationsbusse in der Nacht außer Kraft zu setzen“.1 In der Zwischenzeit meldete sich auf Twitter die literarische Wortführerin Joyce Carol Oates mit der Äußerung, „KünstlerInnen leben von Umbrüchen & und der Entfremdung vom Establishment/den Autoritäten – in diesem Sinn ist die T***p-Präsidentschaft für einige sicher kein völliges Desaster.“2 Dieser Tweet brachte Oates schnell die Auszeichnung ein, „die weißeste Auslegung der gesamten Wahl zu sein“3.

2. Zoomen wir im Schnellvorlauf in das Jahr 2018 und zur Theorie, dass der Sieg Trumps für eine kreative Klasse, die die Obama-Jahre durchschlafen hatte, einen Motivationsschub darstellen würde. Diese These hat sich nicht ganz bewahrheitet. Statt der künstlerischen Renaissance, die von Leuten wie Saltz und Oates vorhergesagt worden war, bekamen wir bereits Bekanntes präsentiert: den standardisierten kleistertriefenden Straßenkunstschwachsinn4; den Aufschwung der spirituellen Erben des Selfie-Feminismus5; die Schwärmerei liberaler Überkorrektheit und Selbstbezichtigung neu verpackt als upgedatete Version von Institutionskritik. Dies alles, und Tafeln – eine Menge Tafeln –, die endlos die Rolle der Kunst im Zeitalter Trumps beschwören.

3. Der Aufstieg Trumps hat eine tapfere neue Protestkunstgarde hervorgebracht, die – neben allem Hype – fast ausschließlich auf abgeschmackte Wortspiele und nichtssagende Slogans hinausläuft: Marilyn Minters „PUSSY GRABS BACK“-Protestfahne am New Yorker Puck Building, das sich im Besitz Jared Kushners befindet;6 Barbara Krugers „PRUMP/TUTIN“-Cover für das New York Magazine;7 und Martha Rosler, eine weitere hochgeschätzte feministische Künstlerin und Veteranin der Spitzenzeit radikaler Transparenz der Vietnamzeit postete ein „PRESIDEBT TRUMPF“-Kampagnenschild auf ihrer Facebook-Seite. Und dann gibt es da noch den Verfechter der Theorie von den positiven Seiten des Trump-Siegs, Saltz selbst, der in einem selbstfabrizierten „NOT MY PRESIDENT“-T-Shirt auf Instagram herumtingelt.

4. Gelegentlich waren diese Ansätze dann auch taktischer orientiert und übernahmen pauschal die Sprache und Bilderwelt realer Protestbewegungen und Streiks aus den 1960er-Jahren. Hier ist an die „Dear Ivanka“-Kampagne zu denken, die KünstlerInnen dazu einlud, sich direkt an die Präsidententochter zu wenden, eine begeisterte Sammlerin zeitgenössischer Kunst, deren Politik dem Anschein nach gemäßigter ist als jene ihres Vaters. Einige KünstlerInnen gingen sogar so weit, öffentlich Kunstwerke, die von Ivanka und ihrem Ehemann Jared Kushner erworben worden waren, zu verleugnen in der Hoffnung, dass diese im Wert fallen würden. Diese Form des Widerstands erscheint etwas eigenartig, angesichts der Tatsache, dass viele der gleichen institutionellen Interessenträger zufällig mit den Nachkommen von Oligarchen und Waffendealern gemeinsame Sache machen. Oder denken wir an den Künstlerstreik J20, der als Aufruf an Kunstinstitutionen gedacht war, sich gegen Präsident Trump aufzulehnen, indem sie ihre Tätigkeit am Tag des Amtsantritts einstellten. Wie jeder, der jemals in einer Fabrik gearbeitet hat, bestätigen wird, ist ein Streik nur so nützlich wie die Kosten, die er durch die gestoppte Arbeit verursacht. Warum aber sollte uns die von GaleristInnen, KuratorInnen und ManagerInnen von sozialen Medien niedergelegte Arbeit in einer Industrie kümmern, die für ihre ausbeuterischen Arbeitspraktiken regelmäßig unter Beschuss gerät?

5. Vielleicht ist nichts von alldem angesichts der regellosen Immunität der New Yorker Kunstwelt gegenüber politischen Fluktuationen sonderlich überraschend. Es macht schließlich Sinn, dass die Menschen, die bei einem Sieg Trumps am wenigsten zu verlieren hatten, sich am meisten leisten konnten, sich über seine administrativen Schwächen und moralischen Exzesse zu äußern. Für all jene, die ihren Aktivismus lieber von der sicheren Position eines alkoholbefeuerten Galeriedinners und mit WIFI ausgestatteter Flughafen-Lounges aus ausüben, stellt eine politisch andere Meinung weniger ein unverzichtbares Recht als einen gewissen Lifestyle-Anreiz dar.

6. KünstlerInnen haben sich selbstredend immer gerne als RebellInnen gesehen. Die Wahrheit allerdings ist, dass die Kunst, solange sie ein prestigeträchtiger Wirtschaftszweig des freien Markts bleibt – eine schillernde Klette aufseiten der globalen Finanz –, kein effektives Werkzeug für politische Veränderung sein kann. Das Beste, auf das sie hoffen kann, besteht darin, die politische Situation auf Basis der Tatsachen zu kommentieren, zu „thematisieren“, wie sie sich entwickelt, oder in seltenen, puren Zufällen die Situation vorwegzunehmen. Aber die Kunst kann noch auf eine andere Weise politische Einstellungen zumindest theoretisch beeinflussen, und zwar auf der Ebene des kulturellen Bewusstseins, im Geist von Andrew Breitbarts düster prophetischem Mantra: „Die Politik ist der Kultur nachgeschaltet.“

7. Damit Kunst als politische Kraft an Schwung gewinnt, muss sie die Massen ansprechen können. Die Beziehung zwischen der Kunstwelt und der allgemeinen Öffentlichkeit ist jedoch seit jeher von Misstrauen geprägt. Noch immer haben wir es mit den Nachwehen von Rudy Giulianis faustkämpferischem Kreuzzug zu tun, mit dem er 1999 die Ausstellung der Young British Artists im Brooklyn Museum verhindern wollte – ein kulturelles Scharmützel, in dem die Wahrnehmung der Öffentlichkeit von KünstlerInnen als AbweichlerInnen gegen die künstlerische Sicht der Öffentlichkeit als SpießbürgerInnen ausgespielt wurde. Mit anderen Worten, die Kunst ist in ihrer gegenwärtigen Form weitgehend inkompatibel mit Populismen jeglicher Form, ob es sich nun um die traditionalistische oder die progressive Variante handelt, denn sie erhält ihr Gütesiegel genau durch ihren Elitismus und ihre Exklusivität. Wenn es um diese Problembereiche geht, begehen sowohl die Rechte wie die Linke gleichermaßen den Fehler, kulturelle Repräsentation mit realer sozialer Teilhabe zu verwechseln, wenn auch aus radikal unterschiedlichen Gründen. (Hier kommt uns Fran Lebowitz’ berühmtes Bonmot in den Sinn: „Es gibt zu viel Demokratie in der Kultur, aber nicht genügend Demokratie in der Gesellschaft.“)

8. Auf jeden Fall bedeutet die bequeme Verbindung der Kunst mit dem Kapital, dass ihre potenzielle Rolle als politische Akteurin schon beschädigt war, lange bevor solche grundlegenden Fragen der Übertragung und Zirkulation überhaupt aufkommen konnten. Immerhin, wenn wir über die Kunstwelt sprechen, dann sprechen wir auch immer implizit über den Kunstmarkt – oder über jene Randästhetik und Basisgemeinschaften, die außerhalb ihres primären Wertindexes agieren und daher innerhalb ihres diskursiven organisatorischen Rahmens obsolet sind. Die widerstreitenden Sichtweisen, die dieser Diskurs hervorbringt, sind heutzutage jene, die wahrscheinlich am wenigsten von der bürgerlichen politischen Meinung abweichen.

9. Es versteht sich von selbst – oder sollte es so sein –, dass Trump ein besonders triebgelenktes, unmittelbar agierendes Beispiel für all das ist, was in einer Gesellschaft schiefläuft, in der Politik primär als Unterhaltung erlebt wird. Das Problem mit der gängigen liberalen Kritik an Trump ist jedoch genau dieses Flair für performative Empörung, die Zusammenstöße der Empfindsamkeit über Fragen der Politik stellt. Da die Kunstwelt nunmehr eine seltsame Muse in Person eines weithin verachteten Twitter-Abhängigen gefunden hat, können die KünstlerInnen weiterhin Insider-Kunst ausstoßen und dabei ihre moralischen Alibis und Outsider-Gutgläubigkeit intakt halten.

10. Trotzdem ist dies alles irgendwie nebensächlich angesichts der Tatsache, wie fachmännisch sich Trumps Basis die Ästhetik des Neoliberalismus gegen ihre wichtigsten Ideologen im liberalen Establishment zunutze gemacht hat. Mit dem Triumph des Trumpismus, so könnte man argumentieren, sind wir an eine Wand in der kollektiven Vorstellungskraft gestoßen, oder wie es der exzellente, leider schon verstorbene Kulturtheoretiker Mark Fisher nannte, im „kapitalistischen Realismus“: jenem ästhetisch-ideologischen Komplex, der nicht nur den Kapitalismus als einzig maßgebliches politisch-wirtschaftliches System normativ verankert, sondern in der Tat jegliche Bemühungen verhindert, sich eine alternative Ordnung vorzustellen.

11. Tatsächlich hat die Trump-Regierung das konzeptuelle Problem gelöst, das ursprünglich von der russischen Avantgarde und später vom Sozialistischen Realismus vertreten wurde: nämlich die Orchestrierung einer nahtlosen Integration des Vorstellbaren und des Materiellen oder, worauf sich Kunstgeschichtelehrbücher häufig in freundlicheren Worten beziehen, die Bewerkstelligung der „totalen Synthese von Kunst und Leben“. Noch dazu hat sie dies in einem zutiefst kapitalistischen System getan. Aber wenn die Sowjetära von einer zynischen Maskierung in Form eines zwanghaften Optimismus gekennzeichnet war, so wird in unserer neoliberalen Epoche die ultimative Langeweile offen gefeiert, ob in durch den flachen Affekt von Memen und Internetslang oder messbarer in der Balkanisierung des Internets selbst zu klagebasierten identitären Faktionen.

12. Um die russische Analogie zu ihrem logischen Schluss zu führen, könnten wir die Trump’sche Wende auch vom Blickwinkel des althergebrachten sowjetischen Parodiestils „Stiob“ aus betrachten, der eine so extreme Überidentifikation darstellt, dass es unmöglich ist zu sagen, ob die eingenommene Position eine wirkliche Unterstützung oder eine durchdachte Provokation ist. Sind Trumps diplomatische Fehler, drakonische Anordnungen und nächtliche Twitter-Schmelzen das strategische Design einer neuen Art des Autoritarianismus, der sich an Verwirrung statt an Repression nährt oder einfach nur ein Nebenprodukt seiner Verachtung der Regeln des guten Benehmens? Ist sein sich ständig drehendes Kabinettkarussell, bestehend aus Komikübeltätern und Popstore-Kadavern, ein stilisiertes Stück politisches Theater oder bloß der klassische Fall eines professionellen Nepotismus? Ist hier ein Verrückter oder ein Mastermind am Werk? Auf jeden Fall inszeniert Trump seine eigene Inkompetenz so gekonnt, dass jeder Versuch einer Parodie bis zur Absurdität überdeterminiert erscheint. Auf diese Weise exponiert er die Unfähigkeit und Doppelbödigkeit seiner liberalen KritikerInnen und demaskiert ihre Anstandspolitik als nicht mehr denn ein kompensatorisches Posieren.

13. In diesem nihilistischen Klima wird jeder Akt von Dissens, ob dieser nun aufrichtig oder kalkuliert ist, automatisch so sehr ästhetisiert, dass genau diese Unterscheidung irrelevant wird. Nehmen wir zum Beispiel die Kontroverse um die goldene Toilette des Guggenheim-Museums. Die leitende Kuratorin Nancy Spector lehnte die Anfrage des Weißen Hauses nach der Entlehnung eines Van Goghs ab und bot stattdessen Maurizio Cattelans goldbesetztes Tiefspül-WC America an, angeblich wegen seiner formalen Resonanzen mit Trumps persönlichem Geschmack. Der verborgene Gag ließ zweifelsohne einen augenblicklichen Anfall von Katharsis und Solidarität unter KunstkennerInnen aufflammen. Aber mit der Zeit spielen Stunts wie diese nur in die Hände von Trumps populistischen Botschaften: Eliten sorgen sich mehr um symbolischen Fortschritt als um bedeutsame Reformen.8

14. Bis jetzt haben die „aristokratischen Bohemians“ der Kunstwelt, wie Saltz sie nennt, wenig getan, um diesem Stereotyp entgegenzuwirken. Das Problem hat auch mit den verschiedenen Klassen zu tun. Der Rückgang der öffentlichen Leistungen und der Kunstförderung, zusammen mit dem Nach-Oben-Schießen der Grundstückswerte, welche den ideologischen Triumph des neoliberalen Konsenses in den letzten Jahrzehnten anzeigte, lasten besonders schwer auf der künstlerischen Produktion. Trotz all ihrer aufgeklärten Rhetorik und „aufgewachten“ Befürwortung von sozialer Gerechtigkeit steckt die heutige Kunstszene tief in einem kulturellen Konservatismus fest. Es leuchtet ein, dass jedes soziale Milieu mit einem proprietären Einsatz, was die eigene Existenz anbelangt, naturgemäß eher konservativ ist, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, trotz seiner sonst zur Schau getragenen toleranten Einstellungen und Engagements.

15. Zum Teil ist dies generationenbedingt. Es ist kein Zufall, dass viele der Frontlinien des sogenannten „Widerstands“ der Kunstwelt (Saltz, Rosler, Minter und Kruger eingeschlossen) zu einer Generation gehören, die noch immer an die Reinheit der transgressiven Geste glaubt. Trotzdem ist das ererbte Medienmodell, mit dem sie aufwuchsen und gegen das sie rebellierten, wenig geeignet, um mit den aufkommenden digitalen Plattformen mitzuhalten, die derzeit politische Affinitäten auf eine zunehmend verwirrende, nicht lineare Weise kommunizieren. Wie Angela Nagle in Kill All Normies argumentiert,9 ihrem Abriss der Online-Kulturkriege, hat die Alt-Right-Bewegung erfolgreich die frechen, postmodernen Strategien der Neuen Linken an einem Schnittpunkt vereinnahmt, an dem politische Binaritäten nicht mehr anwendbar sind und eine liberale Gegenkultur zum Mainstream geworden ist.

16. Nachdem sich die Möchtegern-RevolutionärInnen der Kunstwelt selbst davon überzeugt hatten, dass der Faschismus zurück ist und überall versteckte russische Absprachen lauern, geben sie sich nunmehr damit zufrieden, die systemischeren Gefahren zu ignorieren, die in den digitalen Netzen zum Vorschein kommen und zunehmend unsere Alltagserfahrung steuern. Die viralen Fußabdrücke von Initiativen wie „Dear Ivanka“ oder J20 ziehen ihre Energie aus den Daten, die wir Facebook, Instagram und Twitter übergeben, wodurch eine algorithmische Machtstruktur aktiviert wird, die virtuelles Eigentum gemäß seiner Monetisierbarkeit aussondert. Während klar ist, dass Trump ein Monster des gegenwärtigen Augenblicks ist,10 repräsentiert seine Persona einen Rückfall in eine einfachere Zeit, als Königreiche sich in persönlichen Wettbewerben maßen und starke Männer die Weltbühne dominierten. Jedem wirklich ernsthaften politischen Projekt, das die Kunstwelt hervorbringt, würde es guttun, bei dieser unbequemen Realität anzusetzen und einen ausgiebigen, ernsthaften Blick auf die eigene Teilhabe am Plattformkapitalismus zu werfen, anstatt Trost in der Aufbereitung der Auseinandersetzung der Vergangenheit zu suchen.

Dieser Essay wurde im englischen Original auf https://openspace.sfmoma.org/ (19. März 2018) publiziert.

 

Übersetzt von Dörte Eliass

 

[1] Jerry Saltz, This Post-Election Pain Is Good, At Least for Art, Vulture, 13. November 2016; http://www.vulture.com/2016/11/post-election-pain-is-good-for-art.html.
[2] https://twitter.com/JoyceCarolOates/status/793816434073739264
[3] https://twitter.com/KiskaAvery/status/793925375810093056
[4] Edward Helmore, Munira Ahmed: the woman who became the face of the Trump resistance, in: The Guardian, 23. Januar 2017.
[5] Angela Brown, Nasty Women: An Exhibition in Queens Takes on Trump, ArtNews, 18. Januar 2017; www.artnews.com/2017/01/18/nasty-women-an-exhibition-in-queens-takes-on-trump/.
[6] Anna Heyward, „Dear Ivanka“: New York City’s artists appeal to Ivanka Trump, peer to peer, in: The New Yorker, 30. November 2016.
[7] Sarah Cascone, 50 Top Artists Team Up With New York Magazine for a Yearlong Public Art Show, artnet, 22. Januar 2018; https://news.artnet.com/exhibitions/new-york-magazine-art-cover-exhibition-1203125.
[8] Michelle Chen, The Guggenheim Doesn’t Want Labor Activists Interfering With Its Luxurious Abu Dhabi Outpost, in: The Nation, 25. April 2016.
[9] Angela Nagle, Kill All Normies. Online Culture Wars from 4Chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right. Zero Books 2017.
[10] Ilya Budraitskis, What Can We Learn from Vampires and Idiots?, e-flux, #76, Oktober 2016; https://www.e-flux.com/journal/76/72878/what-can-we-learn-from-vampires-and-idiots/.