Heft 3/2018 - Netzteil


Digitale Herzensbildung

Die amerikanisch-belgische Künstlerin Cécile B. Evans erzählt in ihren Videoarbeiten vom Leben, Lieben – und Sterben im Netzzeitalter

Christa Benzer


„Body parts are supposed to be big winners this year!“, heißt es an einer Stelle der Arbeit What the heart wants (2016) von Cécile B. Evans. Zu sehen sind Ohren, die über einer pinken, toxischen Sumpflandschaft schweben. Sie befürchten, erzählt eine Art Anführer der Kolonie, als „natural resources“ ausgenutzt zu werden – deswegen haben sie sich zu einem „Workers Collective“ zusammengetan.
Es sind solche surreal-fantastischen Albtraumbilder mit kritischen politischen Inhalten, entlang derer Cécile B. Evans die technologischen und wissenschaftlichen Veränderungen unserer Tage verhandelt: Stammzellenforschung, Klimawandel, Künstliche Intelligenz, Drohnenkriege, Überwachungstechnologien oder etwa auch den konkreten Fall des US-amerikanischen Schauspielers Philip Seymour Hoffman. Nach seinem Suizid vermeldeten US-Medien, dass man für eine mit ihm damals laufende Serie eine digitale Kopie herstellen wolle. Später hörte man nichts mehr davon. Cécile B. Evans vermutet, dass nicht rechtliche oder ethische Vorbehalte, sondern technisches Unvermögen verhinderte, dass er als Avatar weiterlebt.
Um ausgehend von seiner Geschichte danach zu fragen, wie sich die Menschheit ihr digitales Nachleben vorstellt, hat Evans den Schauspieler zum Erzähler ihrer Arbeit Hyperlink or it didn’t happen (2014) gemacht: „I’m not magic. Please don’t call me uncanny“, bittet er eingangs, „I’m just a bad copy made too perfectly, too soon.“ Die Super-High-Resolution-Render-Version von ihm hat recht: Die Synchronisation von Stimme und Mund klappt noch nicht wirklich, das Blinzeln der Augen wirkt maschinell, und die Haut ist trotz einer Fieberblase keineswegs täuschend echt.
In der szenischen Videocollage, für die Cécile B. Evans thematisch und ästhetisch aus dem Vollen des Internets (von Mangafiguren über Newsmeldungen und Werbebilder bis zu alten Hollywoodfilmen) schöpft, teilt auch ein junger Mann seine Erfahrung mit dem Nachleben im Netz: Noch falle es ihm schwer, den Facebook-Account seiner verstorbenen Freundin zu löschen. Ihre Mutter habe nun auch Zugang, und er sei mit einem Online-Leben von ihr konfrontiert, das sie mit ihm nie geteilt habe.
Für die Künstlerin sind es genau solche, unter Umständen sehr schmerzhafte Auswirkungen des Digitalen, weswegen sie das Wort „virtuell“ für obsolet erklärt: „Ich betrachte das Digitale nicht als eine gesonderte Sphäre, sondern als Expansion der realen, physischen Welt“, erklärt die 1983 geborene Künstlerin. „Wenn ich den ganzen Tag am Computer sitze, habe ich am Abend Rückenschmerzen. Wenn ich mit meinen Großeltern chatte, ist das sehr echt“ – die Beispiele klingen simpel, und doch holt Evans genau so die Verantwortlichkeit für das Digitale von einer scheinbar nicht mehr kontrollierbaren Sphäre wieder auf den Boden zurück.
Was passiert, wenn das System übernimmt, hat sie in What the heart wants aufgezeigt: In der visuell überbordenden Dystopie befinden wir uns bereits „after k“ – einer Nuklear- oder auch Naturkatastrophe. Die Gewässer sind in einem Ausmaß verschmutzt, dass Schmetterlinge die Tränen von Schildkröten trinken und Haifische durch eine überflutete Shopping Mall schwimmen: „The mall is great. These places became great again“, sagt eine animierte Frauenfigur, deren dunkelhäutiger, rastagelockter Geliebter zwar nicht mehr an Philip Seymour Hoffman erinnert, der sich allerdings selbst als „schlechte Kopie eines der besten Schauspielers aller Zeiten“ ausweist.
„This is a future“, sagt „Hyper“, das personifizierte System, über diese mögliche Zukunft, die Evans mit ComputerexpertInnen, aber auch mit ForscherInnen des Future of Humanity Institute an der Oxford University erarbeitet hat: „Existenzielle Risiken, astronomische Verschwendung, Nanotechnologie, der Große Filter, Prognosemärkte, Analyse von Superintelligenzen, Transhumanismus“1 sind dort die Schlagworte, entlang derer man sich nicht etwa mit den nächsten zehn, sondern den nächsten 10.000 Jahren der Menschheit befasst.
Noch ist Artificial Intelligence aber kein unaufhaltsamer Selbstläufer, wie das medial gerne dargestellt wird. In ihrer jüngsten Arbeit macht Evans deswegen auch einmal mehr die für die Gestaltung dieser Welt Verantwortlichen aus: Amos, der Protagonist, ist Architekt. Seine klassischen Gesichtszüge hat ein Computer berechnet. Er trägt einen schwarzen Rollkragenpullover und denkt darüber nach, wie er die Welt verbessern kann. Die Figur, halb animiert, halb real, ist angelehnt an bedeutende Architekten wie Le Corbusier und Amos’ World an deren soziale Wohnbauprojekte, bei denen der Masterplan und die tatsächliche Nutzung bekanntlich weit auseinanderklafften.2 Für Cécile B. Evans sind diese gescheiterten Utopien eines gemeinsamen, verdichteten Wohnens vergleichbar mit den Vorstellungen, die heute die „männlichen, weißen Genies in den Tech-Industries“ formulieren. Auch sie sind davon überzeugt, die Gesellschaft zu optimieren, wenn sie selbstfahrende, angeblich unfallsichere Autos bauen oder einfühlsame Roboter für die Altenpflege kreieren. Dort, im Silicon Valley, wie hier in Amos’ World, geht einiges nicht plangemäß: Im ersten Teil der als Trilogie geplanten Serie stellt Evans die BewohnerInnen des brutalistisch anmutenden Wohnsilos vor. Neben Amos ist da eine „Sekretärin“ – eine Künstliche Intelligenz, die mit der renitenten Bitte „Would you mind leaving the room, please?“ ihren Chef brüskiert. Zu ihren Mitbewohnerinnen zählen drei Narzissen, die – so die Vorausschau am Ende – im Laufe der Serie noch politisch aktiv werden. Eingeführt werden im ersten Teil auch „Gloria und ihre Mutter“, ein „Time Traveller“ und das „Wetter“. Letzteres unterhält sich regelmäßig mit Amos und klärt ihn über Fehlentwicklungen seines Konzepts auf: Ein kaputtes Gerät hat im Fitnessraum bereits einen Bewohner zerdrückt, und die Gemeinschaftsräume sind – diversen Internetplattformen vergleichbar – längst unbrauchbar, weil zugemüllt. An der Vereinzelung der BewohnerInnen ist das alleine aber nicht schuld: „Der Shop hat in den letzten zehn Jahren die Bestellungen der Haushalte jede Woche automatisch wiederholt“, sagt eine Stimme, die damit nicht zufällig an Bots erinnert – jene Computerprogramme, die automatisch sich wiederholende Handlungen ausführen und repetitive menschliche Tätigkeiten ersetzen.
In der Präsentation der Arbeit im Wiener mumok schloss die Künstlerin die BetrachterInnen in dieses auf Vereinzelung abzielende System mit ein: Um das Video zu sehen, musste man sich in eines von fünf kleinen Modulen in einer gefakten Betonstruktur setzen. Evans war daran interessiert, was es bedeutet, die Arbeit zwar einzeln, jedoch mit dem Wissen um die anderen ZuschauerInnen zu sehen.
Diese Vereinzelung war zwar durchaus irritierend, mit dem bloßen Zurückwerfen auf das Physische wird die Installation den Inhalten ihrer Videoarbeiten allerdings nicht gerecht. Zeichnen sich diese
doch gerade dadurch aus, dass sie nicht der binären Logik real versus digital, nicht dem üblichen Schwarz-Weiß-Denken verhaftet bleiben. Die Dinge sind längst viel zu sehr ineinander verwachsen, und außerdem liegt offenbar weder den Körperteilen, die auf Farmen nachwachsen, noch den Avataren, die in der Shopping Mall leben, allzu Menschliches fern: „We are lovers“, sagt etwa die Freundin der schlechten, aber dafür fast wieder originären Hoffman-Kopie in What the heart wants: „Not because of sexual orientation. The system doesn’t see us. We love freely.“

 

 

1 https://www.fhi.ox.ac.uk/about-fhi/
2 Cécile B. Evans – Amos’ World: Episode One, mumok Wien, 23. März bis 1. Juli 2018.