Heft 3/2018 - Institut "Kunst"


Georg Kargl 1955–2018

Georg Schöllhammer


Ich habe Georg 1987 genauer kennengelernt. Ich hatte damals in Peter Pakeschs Publikation Malerei – Wandmalerei einen kleinen Text über die Flächengeometrie als konstitutives Element des Wiener Jugendstils geschrieben und Georg, der mit Christian Meyer, den späteren Antipoden der Wiener Galerienszene, die Jugendstilgalerie Ambiente in der Dorotheergasse gegründet hatte, hatte das Material und die Evidenz dort. Die Metropol war sozusagen das händlerische Qualitätsportal für jene Euphorie über das Wien der Jahrhundertwende in den 1980er-Jahren, welche Karl Schorske sowie William Johnston mit ihren Büchern, Ronald Lauder durch seine Sammlung und Hans Hollein mit der Ausstellung Traum und Wirklichkeit international zu Echo verhalfen.
Selbst in einer Baumeisterfamilie aufgewachsen und vom Vater zu einer Handwerksausbildung angeregt, die er später mit einem Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst erweiterte, konnte er die technische Kunstfertigkeit von Objekten ebenso erkennen wie ihren Rang innerhalb der europäischen Kunstgeschichte. Und seine archivalische Obsession sowie sein insistierendes Nachfragen und Aufspüren erlaubte es der Galerie, ihre Trouvaillen selbst in einer Expositur auf der Madison Avenue in Uptown New York zu präsentieren (die er mit Christian Meyer und einem weiteren Partner aufbaute).
Diese New Yorker Erfahrung führte Georg immer mehr an die Gegenwartskunst heran. Als noch niemand von Keith Haring sprach, hatte Georg schon vom Baustellenschutt auf der 1st Avenue dessen Graffiti mit in seine Wohnung gebracht. Er fand sie interessant.
Die Galerie Metropol begann sich zu transformieren und initiierte 1988 die erste substanzielle Aktion von Kunst im öffentlichem Raum in Wien in der Dorotheergasse, mit Interventionen, die bis vor Kurzem manches Portal der Geschäfte dieser im Grunde stockkonservativen Antiquitätenhändlerstraße in der Wiener Innenstadt zieren. Georg Kargl überzeugte die konservativsten von ihnen, dass sie sich öffnen und damit den Raum der Stadt freigeben müssten. Es war keine Stadtmarketinginitiative, wie sie die späten 1980er-Jahre anderswo sahen, es war Georg Kargls und Christian Meyers Wunsch nach Modernität, der das Projekt antrieb und Georg umtrieb.
Als das Modell Metropol zu bröckeln begann und sich die Wege der Gründer trennten, suchte Georg neue Herausforderungen, es war die Stadt, auf die er zielte, und die internationale Gegenwartskunst. Er war längst ein geschätzter Gesprächspartner von KollegInnen in der ganzen Kunstwelt geworden, dessen Expertise in Konversationen gefragt war. Er war aber auch ein Partner von KünstlerInnen geworden, die er begleitete.
Die Stadt, das meinte auch die Stadtpolitik, deren Entscheidungen er öffentlich kommentierte und dekonstruierte. Die Stadt, die er liebte. Er kannte sie. War man gerade umgezogen, konnte er die Häuser von genialen und unkanonisierten Nebenfiguren wie Arthur Baron oder Karl Maria Kerndle, einem der begabtesten und dann zum Prager Kubismus konvertierten Otto-Wagner-Schüler, in der Nähe mit ihren Besonderheiten, bis in die jüdischen und später arisierten Besitzverhältnisse, nachzeichnen und zum Besuch empfehlen – und war man auf Urlaub am Attersee ging das dort auch.
Die Stadt, das meinte aber auch seine Projekte.
Das Freihausviertel zum Beispiel, eine etwas abgewohnte Gegend zwischen der in jenen Jahren zentralen Generali Foundation von Sabine Breitwieser mit ihrer konzisen Sammlungspolitik und dem KünstlerInnentreff Café Anzengruber (wo Georg bis zuletzt leger Hof hielt). Als er dort 1998 seine Galerie gründete, tat er das mit einer Initiative zur Wiederbelebung des Areals, das später zum blühenden Hotspot der Wiener Stadtlandschaft geworden war. Und er mischte sich weiter ein. Die Wiener Kunstmesse war ihm ein Anliegen, obwohl er wusste, dass Markt und Wien zwei schwierige Felder waren. Dennoch versuchte er, seine KollegInnen in Basel, Miami, Turin, auf der Frieze usw. zu überzeugen, dass hier Potenzial wäre. Ein Potenzial, das er zum Beispiel mit KollegInnen in der Sammlungspolitik eines hiesigen Energiekonzerns zeigen konnte. Und er löcherte und löcherte die Wiener Stadtpolitik für ihre Zaghaftigkeit und Kleinmütigkeit (wie auch seine KollegInnen).
Noch 2017 gründete er (schwer gezeichnet von einer tückischen Krankheit, die er dann durch eine radikale Therapie leider nur kurz hinter sich lassen konnte), als evident geworden war, dass das Modell Galerie als Kartell zwischen SammlerInnen, KünstlerInnen und Großdealern und Museen, also die Lifestyle-Industrie Gegenwartskunst von heute, die alte Idee der Galerie als Koproduzent von Inhalt und Form aufgefressen hatte, die Gesellschaft für projektive Ästhetik. Der Vektor, der dem Wort Projekt hier angehängt war, wollte wieder eine Möglichkeitsform öffnen, einen Denkraum.
Georg war nicht einfach, wie das fast alle seine NachruferInnen richtig angemerkt haben. Er war ein Stachel im Aussitzfleisch der Kunstszene Wiens. Er insistierte und er war respektlos gegenüber allen, die ihm modeläufig oder mit Halbwissen daherkamen: mit Nachfragen und Wissen. Er konnte einen dann – sein fotografisches Gedächtnis half da sicher ebenso wie seine Datierungssicherheit – gnadenlos korrigieren, wenn man etwa von einer damals marginalen, aber später wichtigen Ausstellung erzählte und sie im Kopf zusammenbaute. Er wusste, was wo in welcher Konstellation hing und was eben nicht gut hing oder stand.
Georg ist im Mai mit 62 gestorben. Unverschämt früh. Er war ein komplizierter Freund. Was kann man sich Besseres wünschen?