Heft 3/2018 - Institut "Kunst"


Gut im Schießen, schlecht im Malen

Bildbeitrag

Khaled Jarrar


„Alle Versuche, Politik zu Ästhetik zu machen, enden im Krieg.“ (Walter Benjamin)

Das Geschoss fliegt auf den Horizont zu, seine Spitze dringt durch die Luft und erreicht das Ziel in Millisekunden. Es entsteht eine poetische Szenerie der Zerstörung, die zu Kunst werden wird. Das Geschoss zerstört nämlich farbgefüllte Phiolen. Die Farbe zerstäubt auf eine Leinwand so wie Blutflecken und erzeugt ein Chaos der Gewalt in Form von abstrakten Farbformen. Ein neues Bildvokabular entsteht auf der rohen Leinwand. Das fertige Gemälde belegt, dass man mit einem Gewehr Kunst machen kann. Das Ultraschallgeschoss lässt nur das Summen der Stille und als Bild chaotische Spritzer zurück.
Beginnend in den 1950er-Jahren förderte die CIA 20 Jahre lang im Geheimen den Abstrakten Expressionismus weltweit als proamerikanisches Propagandamittel. Die Vereinigten Staaten standen für das Ideal der individuellen Freiheit, und auch KünstlerInnen sollen sich in ihren Werken ohne jede Einschränkung ausdrücken dürfen. Der Abstrakte Expressionismus galt seinerzeit als revolutionär. In der historischen Rückschau erkennt man indes, dass KünstlerInnen auch wirkungsvoll für die Propaganda des Kapitalismus benutzt wurden.
„Im Propagandakrieg mit der Sowjetunion konnte man diese neue Kunstbewegung als Beweis für Kreativität, intellektuelle Freiheit und die kulturelle Macht der USA positionieren. Die russische Kunst, die in der Zwangsjacke der kommunistischen Ideologie feststeckte, konnte dabei nicht mithalten.“1
Leider folgte der Abstrakte Expressionismus nicht den Erwartungen und dem Kunstgeschmack, der den politischen Führern der USA so lieb war. Präsident Harry S. Truman feindete die neuen modernistischen Schöpfungen sogar hitzig an: „Wenn das Kunst ist, dann bin ich ein Hottentotte.“ Die neue amerikanische Kunst wurde gemäß einer Strategie gefördert, die man auch „lange Leine“ nannte, an der KünstlerInnen als Waffen im Kalten Krieg eingesetzt wurden.
Ich verwende die Waffe zum Malen. Die Farbe wird zur Stellvertreterin für Blut. Meine Kunst stellt ein Echo auf die Gemengelage aus Kaltem Krieg und künstlerischer Produktion dar – Kunst, Chaos, Gewalt. Als Schütze kontrolliere ich das Chaos, wobei auch ein wenig Platz für Zufälle bleibt. Ich bin der Scharfschütze. Ich schieße gut. Ich treffe das Ziel so genau, dass ich das Schicksal der getroffenen Körper (Farbphiolen) ziemlich unter Kontrolle habe. So entsteht eine neue gestische Malerei auf roher Leinwand. Jackson Pollock sagte einmal: „Ich lasse keinen Raum für Zufall.“ Auch ich, der ehemalige Soldat und Künstler, kontrolliere die Waffe während eines Schaffensakts, der eine Geschichte der Gewalt enthüllen soll. Wie machtlos sind doch diese Körper gegenüber dieser Produktionsweise.
Meine Waffe kreiert eine neue Propaganda – eine Propaganda, die das Chaos des Kriegs auf eine Weise ästhetisiert, dass man dessen sorgsam aufgebautes ideologisches Gerüst zu erkennen vermag.

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

[1] Frances Stonor Saunders, Modern art was CIA „weapon“. Revealed: how the spy agency used unwitting artists such as Pollock and de Kooning in a cultural Cold War, in: <
/i>The Independent, 22. Oktober 1995.