Heft 3/2018 - Netzteil


Was die Bildschirme zum Leuchten bringt

Lisa Raves Film Europium und die nächste ökologische Katastrophe, das Deep Sea Mining

Dietrich Heißenbüttel


Ein Flachbildschirm, ausgeschaltet, in einer mondänen Wohnung. Dann beginnt das Bild zu wackeln. Es stellt sich heraus: Die erste Einstellung in Lisa Raves 20-minütigem Film Europium (2014) zeigt nicht das Heimkino selbst, sondern das Bild des Fernsehers in einem Katalog. So thematisiert sich das Medium selbst: auf dem Umweg über ein anderes Medium. Beim Umblättern: lachende Gesichter, die gebannt in große und handliche Monitore starren; gestochen scharfe, scheinbar aus dem Bildschirm heraustretende Tiere, Berge, Wolken, tropische Strände. Eine Stimme spricht über Animismus. Dann geht es – der Ton greift dem Bild einen Augenblick voraus – weit zurück in die Kolonialgeschichte.
2013 fiel Rave ein Artikel über Tiefseebergbau in die Hände. Sie recherchierte und stieß auf Europium, ein Mineral, das ihre Aufmerksamkeit aus zwei Gründen fesselte: Die fluoreszierende Substanz, eine der im Moment sehr gefragten seltenen Erden, bringt die Farben auf Bildschirmen zum Leuchten. Wie andere seltene Erden kommt es nur in Promillekonzentration in anderen Mineralien vor. Bisher wird es an Land gewonnen, vor allem in China und den USA. Doch China bremst, und die Nachfrage hat sich vervielfacht. Als Filmemacherin fühlte sich Rave direkt angesprochen, aber auch, weil das Mineral nach Europa benannt ist und in der Bismarck-See vor Papua-Neuguinea, die auch heute noch so heißt, abgebaut werden soll. Über Muscheln, die ihr Urgroßonkel August Rave als Marinekapitän um 1910 aus der Südsee mitgebracht hatte, hat sie zu dieser Geschichte auch einen tangiblen persönlichen Bezug.
Um Muscheln und Schalen anderer Meerestiere geht es auch in Raves Film. Mit James Cook führt sie den Begriff Tabu ein, der nicht nur das Heilige, Verbotene bezeichnet, sondern auch eine Art Währung, die aus aufgeschnürten Muschelschalen bestand. Aus einer Ökonomie des Gebens, wie sie Karl Polanyi in The Great Transformation1 beschreibt, wurde in der deutschen Kolonialzeit eine Ökonomie des Nehmens. Eine zerstoßen Muschelschale, im Labor analysiert, enthält Europium, das der Organismus vom Meeresboden aufgenommen hat. Zentrales Motiv des Films ist die Nautilusschale, eigentlich keine Muschel, sondern ein Kopffüßler, mit Ammoniten und Tintenfischen verwandt. Ihr Wachstum in Form einer logarithmischen Spirale ist Sinnbild der Harmonie, aber auch der Zusammenhänge zwischen kleinen Eingriffen und dem großen Ganzen.
Nautilus ist aber auch der Name des kanadischen Unternehmens, das sich anschickt, auf dem Meeresboden Mineralien abzubauen. AnlegerInnen wittern eine Goldgrube. „Seltene Erden zählen heute zu den begehrtesten Rohstoffen der Welt, sind sie doch für viele Schlüsseltechnologien essenziell“, wirbt ein Händler, der am Finanzplatz Frankfurt einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg erworben hat. Wie zu einer konspirativen Versammlung schleichen sich die InteressentInnen hinein. In Fässern, auf Paletten, mit Folie umwickelt, sind dort Europium und andere Mineralien gelagert. Europium, um zum Thema Währung zurückzukehren, findet aber auch in Euro-Banknoten Verwendung, um sie fälschungssicher zu machen.
In einer Simulation pflügt ein Roboterfahrzeug den Meeresboden um. 6.000 Tonnen täglich sollen abgebaut werden, sagt die Stimme eines deutschen Ingenieurs: „Auf dem Schiff werden Australier tätig sein, aber auch ‚Locals‘ von Papua-New Guinea, wir werden ‚local content‘ mit reinbringen und dort auch der Bevölkerung helfen und die Leute unterstützen.“ Der Film endet, wie er begann: mit Bildschirmen. In bunten Farben ist zuerst ganz aus der Nähe das Pixelraster zu sehen. Dann folgen plastische Farbexplosionen, die sich bei weiterem Herauszoomen als Bildschirmbilder der Präsentation von „The world’s first curved OLED TV“ in einem Saturn-Markt entpuppt – der Buchstabe O bezeichnet das organische Material, aus dem die Leuchtdioden (LED) bestehen. „It’s all possible“ lautet die Werbebotschaft, während sich Bilder von Ozeaninseln, Sternennebeln und kleinen Lebewesen auf nicht enden wollenden Reihen von Bildschirmen vervielfältigen.
Was die Simulation nicht zeigt: Der Meeresboden, den das Unternehmen Nautilus in 1.600 Meter Tiefe umpflügen will, ist in Wirklichkeit keine graue Masse, sondern ein äußerst lebendiges Biotop. Wie Nabil Ahmed, Künstler-Forscher aus Bangladesch, in einem Vortrag ausgeführt hat,2 ist ein Ring geologischer Verwerfungen rund um den Pazifik, wo die begehrten Mineralien zu finden sind, zugleich der Ort der höchsten Biodiversität der Welt. Ahmed hat 2016 auf Einladung von Ute Meta Bauer an einer von drei Expeditionen in den Pazifikraum teilgenommen, in Vorbereitung der Ausstellung The Oceanic im Kunstraum NTU CCA der Nanyang Technological University von Singapur.3 Das Projekt kam zustande auf Einladung der TBA21-Academy der Thyssen-Bornemisza Kunstsammlung. Francesca von Habsburg, die Begründerin der TBA21-Sammlung, hatte 2015 beschlossen, die Stiftung zu einem Agenten des Wandels in Bezug auf drängende globale Probleme wie den Klimawandel zu machen.
Lisa Rave nahm 2017 an der dritten Expedition teil, zusammen mit der französischen Anthropologin Guigone Camus, Kristy H. A. Kang von der Nanyang University und dem Fotografen Armin Linke, der alle drei Expeditionen begleitet hat. Es war Raves zweiter Aufenthalt in der Region. Den Film Europium hat sie ausschließlich in Deutschland produziert. Ihr Material fand sie unter anderem im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem, dem Ozeanforschungsinstitut Marum der Universität Bremen, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, einer Bremer Werft sowie in einem Ingenieurbüro, das Tiefseeroboter für Nautilus entwickelt. 2014 wurde der Film auf der Konferenz Ein anderes Meer ist möglich! in Bremen gezeigt.4 Die Organisatoren, ein breites Bündnis von Greenpeace über BUND bis Brot für die Welt, suchten nach Wegen, das schwierige, abgelegene Thema publik zu machen.5 Zwei Teilnehmerinnen, Rosa Koian aus Papua-Neuguinea und Maureen Penjueli aus Fidschi, luden Rave daraufhin zu einer Versammlung des Pacific Network on Globalisation (Pang)6 nach Suva, der Hauptstadt der Fidschiinseln, ein.
Das Netzwerk gibt sich nicht mit ein paar schlecht bezahlten Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung zufrieden, wie sie der Ingenieur in Raves Video verspricht. Pang verlangt ökonomische Selbstbestimmung. Dies schließt auch die Option ein, sich der Ausbeutung der Ressourcen zu verweigern. Mit dem Begriff Tabu operiert das Netzwerk in einer Kampagne gegen das Freihandelsabkommen Pacer-Plus. Unter dem Titel Tabu/Tapu – Who Owns the Ocean stand auch eine Zusammenkunft am NTU CCA im Januar, zu der auch Aktivistinnen aus Fidschi eingeladen waren. Das Bremer Universitätsinstitut Marum, wo Rave gedreht hat – ausgeschrieben Zentrum für Marine Umweltwissenschaften –, nennt als seine Tätigkeit an erster Stelle die „Forschung zur umweltverträglichen Nutzung des Meeres“. Umweltverträglich klingt gut, doch mit Nutzung ist eben auch die Ausbeutung der Ressourcen gemeint. Diese Geschichte, die in der Kolonialzeit begann, ist lange noch nicht zu Ende.
Lisa Raves nächster, fast fertiger Film Americium knüpft an Europium an. Das Problem ist darin ein anderes: Americium ist ein hochgiftiges Spaltprodukt der Atomindustrie. Auf dem Gebiet der Shoshone in Nevada, das bereits durch Atombombentests der 1960er-Jahre verseucht ist, sollte ein Endlager eingerichtet werden. Unter Obama gestoppt, ist die Drohung immer noch nicht aus der Welt.7
Zur Pazifikregion plant Lisa Rave nun mit Linke, Camus und Cresantia Frances Koya-Vaka’uta, der Direktorin des Oceania Centre for Arts, Culture & Pacific Studies (OCAC)8, in Suva ein neues Projekt. Dabei geht es um drei Inselgruppen, die aktuell vom Ansteigen des Meeresspiegels bedroht sind: Tuvalu, Kiribati und die Marshallinseln. Darum, ob und wie die BewohnerInnen ihr kulturelles Erbe bewahren und ihre Angelegenheiten selbst vertreten können.

 

 

[1] Karl Polanyi, The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Übers. v. H. Jelinek. Frankfurt am Main 1973.
[2] Auf der Konferenz New Narratives. Ökonomien anders denken, Kunstgebäude Stuttgart, 31. März 2017; https://www.facebook.com/Kunstgebaeude/videos/1965520120337842/.
[3] http://ntu.ccasingapore.org/exhibitions/the-oceanic/
[4] https://www.slowfood.de/aktuelles/2014/ein_anderes_meer_ist_moeglich/
[5] Vgl. www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0144.html.
[6] http://pang.org.fj/
[7] Siehe http://wholewallfilms.com/americium/.
[8] https://www.usp.ac.fj/index.php?id=8708