Heft 3/2018 - Institut "Kunst"


Zwischen Grau und Silber

Dimensionen privater und öffentlicher Kunstfinanzierung

Pierre Bal-Blanc


Im November 2017 fand im Pariser Palais de Tokyo unter dem Titel Über die Finanzierung von Kunstzentren ein Stand-up der französischen Künstlerin Dominique Gilliot statt, das im Rahmen der Tage des französischen Netzwerks der Orte des Experimentierens im Bereich der bildenden Kunst präsentiert wurde. Darin wurden zwei Konzepte vorgestellt, die durch die Aussage der Künstlerin in ihrer Performance vor den Fachleuten dieser Institutionen auf den Punkt gebracht wurden, welche sich heute aufgrund der öffentlichen Finanzierung oft in einer prekären Lage befinden. Das erste Konzept besteht im Vorschlag eines Qualitätssiegels für zeitgenössisches Kulturerbe als Alternative zum materiellen und immateriellen Kulturerbe der Menschheit, wobei es darum geht, sich auf den Umgang mit der Gegenwart einzulassen. Das zweite Konzept besteht darin, die gemeinnützige Vereinigung (auf Englisch: non-profit space) durch einen „Debit-Raum“ oder auch „Defizit-Raum“ zu ersetzen, was in den Augen der Künstlerin besser der Beschreibung jenes Terrains entspricht, in dem zeitgenössische Kunst entsteht.
Wenn das symbolische Kapital der einzige Gewinn von öffentlichen Kulturinstitutionen oder gemeinnützigen Vereinigungen ist, den man der Bevölkerung anbieten kann, dann ist es mehr als schwierig, diese Einnahme in einer Zahlenbilanz auszudrücken, um sie den sehr wohl bezifferbaren Ausgaben gegenüberzustellen, die von diesen Kunstzentren, Museen oder Veranstaltungen verursacht werden. Diese Tatsache kommt ganz deutlich in den Klagen über das Defizit der documenta 14 in Deutschland zum Ausdruck. Nur die politische Behauptung der Notwendigkeit öffentlich finanzierter Kultur kann diese Lücke schließen, wobei zugleich deren Dauerhaftigkeit und die Unantastbarkeit ihrer Ressourcen betont werden sollte. Bei Privatstiftungen verhält es sich ganz anders, weil das Privatinteresse immer Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit hat, selbst wenn dieses zu den Aufgaben der Einrichtung gehören muss, wenn sie in den Genuss von Steuervorteilen kommen will. Während in den öffentlichen Institutionen nur das Interesse der Allgemeinheit vertreten wird, so haben wir es bei Privatstiftungen eher mit einer Grauzone zu tun, die je nach Proportion des öffentlichen und privaten Interesses variieren kann. Diese Zone geht vom Grau- in den Silberbereich über, wenn der Mäzen seine Stiftung zu Vorzeigezwecken verwendet. Der Silberton schlägt in Gold um, wenn Stiftungen von Unternehmen ihre Subventionsmittel in den Dienst des Businessmodells ihrer Industriemarke stellen. Der Farbton zwischen Schatten (grau) und Strass (funkelnd) zeigt bei Privatstiftungen den Grad des Interesses des Unternehmens im Hinblick auf den Vorteil an, den die Allgemeinheit daraus ziehen kann. Daher sollte es auch möglich sein, auf einer Werteskala zu messen, ob KünstlerInnen gebeten werden, abgesehen vom Nutzen für das Unternehmen auch der Allgemeinheit etwas zu bieten oder ob sie ausschließlich dem Vorteil des Unternehmens dienen. Ebenso sollte feststellbar sein, ob das Publikum entweder in die Kategorie BürgerInnen oder in jene von KonsumentInnen eingereiht wird.

Kunst als Werbemittel
Die Entstehung der Polis im alten Griechenland zeigt den Übergang vom ökonomischen Bereich, der die Privatinteressen regelt, zu jenem der gesellschaftlichen Institutionen, die das öffentliche Interesse vertreten, an. Diese Polis entwickelt sich entsprechend einer neuen räumlichen Struktur. Der Feuerplatz ist ab diesem Zeitpunkt der gemeinsame Nenner der Polis, wo kollektive Probleme diskutiert werden. Er wird in einem öffentlichen und offenen Raum errichtet und nicht mehr im Inneren von Privathäusern und Tempeln. In diesem Zentrum werden keine Kulthandlungen mehr vorgenommen, es ist willkürlich und kann auf der Basis von gemeinsamen Entscheidungen auch verlegt werden. Die auf diese Weise zu laizistischen Institutionen gewordenen Einrichtungen bringen so den Unterschied zwischen persönlichen und gemeinsamen Interessen zum Ausdruck. Wenn man seine Meinung in einer politischen Versammlung ausdrückt, dann stellt man sich in die Mitte; wenn man sich aus dieser Mitte zurückzieht, wird man wieder PrivatbürgerIn. Dieses Prinzip ist eine Einladung für alle, eine für die Polis wichtige Meinung in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn wir dieses Prinzip auf Stiftungen umlegen, wird deutlicher, was ein Beitrag zum Nutzen aller oder ein langfristiges Engagement ist und was im Gegensatz dazu in den Bereich einer Werbestrategie, wenn nicht gar des Opportunismus fällt.
In Bezug auf Lafayette Anticipations, ein Zentrum, das gerade in Paris eröffnet wurde, könnte man fragen, was die fast zeitgleiche Schließung des Maison rouge der Stiftung Antoine de Galbert bedeutet bzw. antizipiert. Es könnte gut sein, dass es sich hierbei um ein Zeichen für den Übergang vom klassischen Liberalismus nach Adam Smith zum Neoliberalismus nach Friedrich Hayek handelt. Ersterer legte noch Wert auf die Unterscheidung zwischen einer politischen Rationalität, die dem Staat zugeordnet ist, und einem Wirtschaftsdenken, das in den Bereich des Markts fällt, während der Neoliberalismus den Markt für den einzig gültigen Regulationsmechanismus hält. Zwar heuchelt man in Paris Trauer über das baldige Verschwinden des Maison rouge, einer anerkannten, gemeinnützigen Stiftung ohne irgendeine direkte Verbindung zu einer Marke oder einem Unternehmen. Allerdings gibt es auch lautstarke Freudenbekundungen über das Auftauchen neuer Privatinitiativen in Form von Firmenstiftungen. Wie ist diesbezüglich die Entscheidung Francesca von Habsburgs zu interpretieren, die Stiftung TBA21 aus Wien abzuziehen, weil sie der Meinung war, die österreichische Hauptstadt sei zu „statisch“? Laut Habsburg sei es für die Stadt Wien nicht möglich gewesen, die Errichtungskosten eines neuen Gebäudes zu übernehmen, welche die Megasammlerin im Gegenzug zum Zugang zu ihrem Schatz verlangte. In Paris, heißt es, wäre die Stadtgemeinde von selbst gekommen und hätte François Pinault gegen eine lächerliche Miete angeboten, sich im Zentrum der französischen Hauptstadt in einem historischen Gebäude niederzulassen, das auf Kosten der Stadt restauriert worden war. Das sei ja wohl das Mindeste, das man im Gegenzug für einen Mietvertrag von 50 Jahren machen kann, also einer Zeitspanne bis zum Pensionsantrittsalter seines Enkelsohns François Junior, der Mitglied der Familienholding ist. Die Kosten für die Arbeiten an der Bourse du Commerce – Sammlung Pinault Paris werden laut der Zeitung Les Échos übrigens auf 108 Millionen Euro geschätzt. 7,5 Millionen Euro der Einkünfte erhält die Stadt Paris in den ersten beiden Jahren, dann während eines Zeitraumes von 48 Jahren 60.000 Euro pro Jahr. Das entspricht einer Monatsmiete von 200.000 Euro für die Sammlung Pinault Paris über einen Zeitraum von 50 Jahren. Das ist, in Anbetracht der prestigeträchtigen Lokalität und der Quadratmeteranzahl, sehr günstig. Was sicherlich auch der Grund ist, weswegen François Pinault verlauten ließ, dass er keinerlei Steuernachlass verlangt habe – im Unterschied zur Stiftung Vuitton, die auf diese Weise mehr als die Hälfte ihrer Projektkosten, die auf rund 800 Millionen Euro geschätzt wurden, wieder hereinbekam. Die Sammlung Pinault Paris ist keine Stiftung, sondern eine „vereinfachte“ Aktiengesellschaft mit einem Alleinaktionär. Sie hat daher keinerlei Verpflichtung in Bezug auf öffentliche Interessen. Dennoch gelang François Pinault das fast Unmögliche, nämlich von der Stadt Paris Ausnahmeregelungen für sein französisches Privatunternehmen zu erwirken, indem er die Unklarheiten in Bezug auf seine Stiftung in Italien in den Medien auszunutzen verstand. Die Zeitung Libération geht sogar so weit, die Geste François Pinaults als ein „Geschenk des kapitalistischen Himmels“1 zu bezeichnen, und vergisst dabei vollkommen, dass echte Gallier immer Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte.
Ich werde im Folgenden einige Ansätze zur Einschätzung des Anteils von öffentlichem Interesse an den Strategien von Privatstiftungen vorgeschlagen, die von Familien oder Einzelpersonen geleitet werden (z. B. Maison rouge, Kadist, Luma, Pinault, Sandretto, TBA21), im Vergleich zu jenen, die von der Industrie verwaltet werden (z. B. Cartier, Lafayette Anticipations, Ricard, Prada, Vuitton, Erste Bank). Bei Ersteren, die oft untrennbar mit der Person ihres Gründers verbunden sind, kann man zumeist feststellen, wie die Rolle des passiven Sammlers sich in wenigen Jahrzehnten zu jener einer einflussreichen Person im Kunstbereich weiterentwickelt hat, die heute sogar eine Vorreiterrolle übernimmt, manchmal sogar in Konkurrenz zu den Galerien. Außerdem müssen zur Wertsteigerung einer Sammlung die Werke ständig von KuratorInnen im Rahmen von Ausstellungen validiert werden, die von den SammlerInnenn selbst oder einem Dritten veranstaltet werden, und nicht nur anlässlich von Leihgaben an öffentliche Institutionen.
Man darf sich darüber freuen, dass heutzutage eine soziale Dimension, ohne die eine Präsenz in der künstlerischen Szene nicht möglich wäre, für jede Sammlerin und jeden Sammler unumgänglich ist. Dies ist das Verdienst einer Kritik an Institutionen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren von KünstlerInnen und AusstellungskuratorInnen geübt wurde und welche die emanzipatorische Funktion der zeitgenössischen Kunst im Bereich von Bildung und bei der Entstehung des Bewusstseins mündiger BürgerInnen hervorhob. Diese pädagogische Tätigkeit und soziale Rolle verleihen den Stiftungen von vornherein entweder eine gewisse Komplementarität oder bringen sie in Konkurrenz zu den öffentlichen Einrichtungen, insbesondere jenen Kunstzentren und Museen, die sich an die Allgemeinheit wenden. In Zeiten, in denen die Staaten sich dem Neoliberalismus verschreiben, entsteht hierbei jedoch das gleiche Risiko wie für eine öffentliche Schule. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich dieser Stiftungen bedient, um die öffentlichen Gelder im Bereich der Kultur mit Verweis auf die Notwendigkeit von Einsparungen einzuschränken, ist hoch. Außerdem ziehen sich Privatfonds, die Museen oder seltener auch Kunstzentren unterstützten, auf ihre eigenen Aktivitäten zurück und gefährden damit den öffentlichen Bereich noch mehr. Ist das bei Privatinstitutionen, die behaupten, kritische Inhalte zu behandeln, ein Thema? Eher selten, ja, man kann sogar sagen, dass ihre Art und Weise, das breite Feld der Bildung oder des Zusammenlebens zu beackern, eher auf dem beruht, was allgemein anerkannt, wenn nicht sogar konventionell ist. Im Bereich der Unterstützung der Produktion von Kunst ist die Vorgangsweise eine sehr schematische und von Marktwerten geprägte, was garantieren soll, dass das Werk als „Kunstwerk“ und dessen SchöpferIn als „KünstlerIn“ anerkannt wird. Daher darf man sich mit Fug und Recht die Frage stellen, ob diese Investition in das öffentliche Interesse nicht letzten Endes eine Form der Förderung des Privatinteresses ist und als Möglichkeit dient, das in die zeitgenössische Kunstsammlung investierte Geld gewinnbringend zu veranlagen. Schon im alten Griechenland verfolgte die Choregie, jenes System, mit dem der Unterhalt antiker Chöre von Privatpersonen sichergestellt wurde, wohingegen der Staat die Kosten für die Autoren von Tragödien übernahm, unter anderem das Ziel, das Prestige der Aristokraten durch die Zurschaustellung ihres Reichtums zu festigen; sie als Erste im Wettbewerb bzw. ihre Namen zusammen mit jenen der Dichter aufscheinen zu lassen, die siegreich aus dem Wettbewerb hervorgegangen waren. Die Situation hat sich somit nicht wirklich verändert. Es scheint sogar, als ob neofeudale Zeichen – etwa in Form des Turms der Stiftung Luma in Arles oder jenes von Katharina von Medici, der bald im Rahmen der Sammlung Pinault in Paris renoviert werden wird – mehr oder weniger beabsichtigt als Embleme einer neuen Macht auftauchen, was an das Monument des Lysikrates (334 vor Christus) in Athen erinnert, das dem Gedenken an diesen Choregen gewidmet ist.
Was neue Stiftungen von Unternehmen im Luxusbereich betrifft, so haben sie ein gesteigertes Interesse daran, für die Gewinne der Gruppen, aus denen sie hervorgingen, keine Steuern zu zahlen. Sie investieren massiv in zeitgenössische Kunst aufgrund des sicheren Mehrwerts in Form von Werbung für ihre Produkte. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist durchaus begrüßenswert, wenn es neue soziale Kräfte gibt, die in hohem Maße zu künstlerischen Experimenten beitragen. Aber dennoch sollte auch für sie das gleiche Erfordernis in Bezug auf Transparenz gelten wie für öffentliche Institutionen. Eine Firmenstiftung ist vor allem ein Werbeunternehmen im Dienste des Wirtschaftsmodells seiner Marke. Man sollte daher auch wieder verstärkt eine Kritik an Institutionen fördern, die die Entwicklung von ritualähnlichen Vorgängen thematisiert, wie sie in der internationalen Kunstszene vonstattengehen. Wenn ein Künstler oder Kunstkritiker in Paris praktisch seinen Mund nicht mehr aufmachen kann, ohne dass sein Atem nach Ricard riecht oder seine Kleidung nach einem Must von Cartier, einem Dior Addict (LVMH) oder bald einem Gucci Guilty (Pinault Kering) aussieht, dann ist das ein deutliches Anzeichen für eine Zeit, die gewaltig unter der Knute steht, selbst wenn diese den Schriftzug von Hermès trägt. Finden diese Industriemagnaten keine subtilere Art, sich in der Gesellschaft darzustellen und KünstlerInnen zu unterstützen, als sie zu zwingen, eine Markenbezeichnung an ihre Namen anzuhängen, wenn schon nicht auf ihre Körper zu kleben? Umso mehr, wenn man wie Pernod Ricard Einrichtungen wie Bétonsalon oder La Villa Vassilief unterstützt, die in ihrem Programm eine Kritik am Kolonialismus formulieren! Würden sie diese Unterstützung auch dann leisten, wenn sie neutral oder anonym erfolgen würde?
Man kann an den von den Marken transportieren Stereotypen sehr gut den Prozess einer Verdichtung und die Herstellung einer Verbindung zur nationalen Identität ablesen: Mode und Spirituosen werden Frankreich, Autos und Banken Deutschland zugeschrieben. Was bedeutet die Tatsache, dass all die Firmenstiftungen aus dem Bereich von Luxusartikeln in zeitgenössische Kunst investieren, letztlich für unseren Körper? Marktstudien und ein offensives Marketing zerstückeln unseren Körper permanent in seine einzelnen Bestandteile. Was sagt das über den Status der BürgerInnen aus? Offensichtlich muss man den Rahmen der Behauptungen von Unternehmen im Zeitalter der Biopolitik dekonstruieren, wie Foucault dies für die Disziplinarinstitutionen tat. Man sollte ihre Politik im Detail erläutern und nicht nur deren Eigenartigkeit unterstreichen, wie Daniel Buren dies kürzlich mit seiner Intervention an der Außenhülle des von Frank Gehry im Bois de Boulogne errichteten Vuitton-Gebäudes tat. Die mehr oder weniger philanthropischen Stiftungen von Unternehmen des CAC 40 oder des DAX sind Orte, wo man sieht und gesehen wird. Diese Orte der Zurschaustellung bringen eine bestimmte Art und Weise mit sich, Kunst zu einem bestimmten Zeitpunkt zu betrachten, so wie Irrenanstalten oder Krankenhäuser seinerzeit den Wahnsinn zur Schau stellten, indem sie Verrückte, aber auch Landstreicher, Bettler, Arbeitslose und Personen mit lockeren Sitten in einer Gruppe zusammenfassten. Man sollte mit der Blickführung dieser Stiftungen und den damit einhergehenden Ritualen befassen. Und vor allem sollte man sich fragen, warum diese Stiftungen, anstatt vollkommen neue Perspektiven zu eröffnen, die gleichen Modelle verfolgen wie die öffentlichen Institutionen. Wollen sie sich an ihnen messen? Wollen sie ihnen Konkurrenz machen? Oder wollen sie sie diskreditieren und ersetzen?

Kunst und Kapital
Bei einem Gespräch auf Initiative der Stiftung Banco Santander nahm ich 2017 an einer Diskussion über neue Modelle von künstlerischen Institutionen zusammen mit Patrizia Sandretto Re Rebaudengo und Susie Guzmán und Alice Workman, den Leiterinnen der Galerie Hauser & Wirth Somerset, teil. Ich stellte dort das Projet Phalanstère2 vor, das sich an Charles Fouriers Die neue Welt der Industrie und Vergesellschaftung (1829) orientiert und im CAC Brétigny, einer öffentlichen Institution in einem Vorort von Paris, entwickelt wurde. Diesbezüglich war es erstaunlich festzustellen, dass weder das Projekt der Stiftung Sandretto Re Rebaudengo noch jenes der Galerie Somerset trotz der hohen Qualität ihres Ausstellungsprogramms innovative Perspektiven eröffneten, die sich von jenen unterschieden hätten, welche öffentliche Institutionen im letzten Jahrzehnt initiiert hatten. Ihr Projekt machte das Gleiche, allerdings mit mehr Mitteln.
Man hätte von diesen unabhängigen Einrichtungen eine Originalität, Alternativen oder die Durchführung von Experimenten erwarten können, die den öffentlichen Institutionen nicht möglich sind. Doch das passiert nicht. Sie machten nur eine Neuauflage nach dem Vorbild der existierenden Institutionen und verstärkten manchmal sogar noch deren disziplinären Konformismus: Es wurden Kunstwerke nach Art von Produkten hergestellt, die Ausstellungs- und Vermittlungsstätigkeit voneinander getrennt und die verschiedenen Rollen noch verstärkt (KünstlerIn, KuratorIn, KunsterzieherIn), die ihnen zugeteilten Räume abgeschottet und das Publikum auf eine einzige Rolle festgelegt. Hingegen verdoppeln diese Stiftungen ihre Initiativen und Innovationen im Bereich der Steueroptimierung, auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings oder um das symbolische Kapital ihrer Marke und ihrer Sammlung aufzuwerten, indem sie Seite an Seite mit den öffentlichen Institutionen auftreten. (Preisnachlässe, Koproduktionen zugunsten großer Institutionen, die das groß bewerben können, wobei bescheidenere Institutionen ignoriert werden.)
Es gibt jedoch auch Stiftungen, die versuchen, die Dinge anders zu machen; Ricard hat im Gegenzug zur Verbindung des Künstlernamens mit der Markenbezeichnung („Pernod Ricard Fellow“) auch kleinere Institutionen unterstützt – wenn auch in viel zu geringem Maße. Dies ist natürlich eine fragwürdige Vorgangsweise. Lafayette Anticipations, das mit einem radikalen neuen Gebäude, das von Rem Koolhaas konzipiert und brillant von der Amerikanerin Lutz Bacher in Besitz bespielt wurde, auf sich aufmerksam machte, ist ein vielversprechendes Projekt einer Stiftung, die die Trennung zwischen Atelier und mobilem Schauraum, den man KünstlerInnen zur Verfügung stellt, aufbricht. Wie aber steht es um das Verhältnis zwischen den KundInnen des großen Kaufhauses und den BesucherInnen des Kunstprogramms? Das von der öffentlichen Institution geliehene Konzept des „Vermittlers“ wirkt in dieser Umgebung, die versucht, mit dem Korporatismus zu brechen, sehr veraltet. Die Meeresexpeditionen der Akademie TBA21, an denen KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und KuratorInnen beteiligt sind, eröffnen ein interessantes, neues Feld, indem sie feste Systeme durch mobile Anordnungen ersetzen. De facto ist das Produktive nicht sesshaft, sondern nomadisierend. Aber wird den BetrachterInnen dieser Abenteuer die gleiche emanzipatorische Erfahrung ermöglicht? Wie sieht es für das Wiener Publikum aus, die nun keinen Zugang mehr zum Programm dieser Stiftung hat, nachdem auch die Ausstellungsräume der Bawag Foundation und Generali Foundation geschlossen haben? Die Ausstellung General Rehearsal, bei der die Sammlungen der Stiftungen Kadist und V-A-C zusammen mit jener des nationalen Museums für moderne Kunst Moskau gezeigt werden, scheint eine Ära der Erneuerung künstlerischen Sprechens und des Status der Sprechenden einzuläuten. Gilt das auch für das Publikum? Das muss man erst sehen.
Um den Standpunkt meiner Analyse klarzumachen, der im Spannungsfeld zwischen Öffentlichem und Privatem angesiedelt ist, in das auch ich aktiv involviert bin (was einen kritischen Blick aber hoffentlich nicht verunmöglicht), möchte ich über eine persönliche Erfahrung sprechen. Vor Kurzem realisierte ich zusammen mit Kathrin Rhomberg, die für die Sammlung Kontakt (initiiert und finanziert von der Erste Group und der ERSTE Stiftung) verantwortlich zeichnet, ein Projekt, im Rahmen dessen permanente Auftragswerke für den Sitz der Bank in Wien geschaffen wurden. Dabei problematisierten die KünstlerInnen das Verhältnis zwischen Kunst und Kapital und bearbeiteten die aufgrund der unterschiedlichen, konvergierenden und widersprüchlichen Standpunkte der NutzerInnen, Bankiers und Angestellten notwendigen Kompromisse. Das Projekt Der Canaletto Blick 3 bezieht sich auf den idealen Blick auf Wien, den Bellotto (genannt Canaletto) Mitte des 18. Jahrhunderts vom Belvedere aus malte und der zu einer Vorgabe für die Höhe der neu gebauten Häuser – die Erste Bank inbegriffen – wurde. Die daraus hervorgegangenen Werke stellen das Prinzip der Normierung und die ökonomische Struktur infrage, die für jene entsteht, die kein Bankkonto haben (Olga Chernysheva), die nicht sichtbar sind (Sanja Iveković) oder nicht der Norm entsprechen (Ashley Hans Scheirl), um nur einige wenige zu nennen. Jede Initiative im privatem Raum hat ihre blinden Flecken, und dieses Projekt einer wichtigen Stiftung ist in dieser Hinsicht sicherlich keine Ausnahme. Doch ein Vorteil besteht darin, dass es das Fehlen von Idealismus und existierende Widersprüche in diesem Bereich aufzeigt.
Wendy Brown zeigt in ihrem Essay „American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democratization“, welch untrennbares Paar der Neoliberalismus und der Neokonservatismus bilden.4 Sicherlich sollte man noch viel weiter gehen und die Grundüberzeugungen der öffentlichen und privaten Institutionen einander gegenüberstellen und dabei der Art und Weise, wie Kunst den vielfältigen Interessen dient, besonderes Augenmerk schenken. Dabei sollte die Verwendung von Kunst aber nicht eingeschränkt werden, indem man sie auf eine spekulative Blase oder eine Museumsvitrine beschränkt. Vielmehr sollte man im Gegenteil ihre vielfältige Verwendung fördern, wobei die eine (öffentliche) sich der anderen (privaten) bedient und umgekehrt. Die Frage stellt sich in den demokratischen Gesellschaften sowohl für die öffentlichen als auch für die privaten Institutionen, und das umso mehr, wenn, wie in Österreich, der Neokonservativismus mit der Rechtsaußen-Bewegung in Verbindung steht: Wie sehr ermöglichen oder behindern sie die Verwendung von bestimmten Zeiten, Orten, Mitteln, Studien, der Erinnerung, Fantasievorstellungen, der Sitten und der Geschichte? Man muss den Mut von KünstlerInnen wie Sol Calero, Iman Issa, Jumana Manna und Agnieszka Polska begrüßen, die, als sie für den Preis der Nationalgalerie Berlin, der von BMW gesponsert wurde, nominiert wurden, in ihrer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Bedingungen protestierten, die ihnen auferlegt worden waren. Die Umkehrung des Zwecks, die sie anlässlich der Zeremonie vornahmen, und die Genauigkeit ihrer Stellungnahme sind ein Anzeichen für eine erneuerte Institutionskritik.5 Um die Tatsache zu bestätigen, dass die Besonderheit dieser Kritik im Feminismus und den Queer-Bewegungen wurzelt, kann man auch den Akt der Künstlerin Candice Breitz anführen. Diese benannte vorübergehend ihr in der National Gallery von Victoria in Australien ausgestelltes Werk mit dem Protesttitel Wilson Must Go und ermutigte andere KünstlerInnen, es ihr gleich zu tun. Der Slogan war ein Seitenhieb auf die gleichnamige Sicherheitsfirma, die für die Ausstellungen verantwortlich war und der man vorwarf, Flüchtlinge und AsylwerberInnen, die auf den Inseln Manus (Papua-Neuguinea) und Nauru festgehalten wurden, schlecht zu behandeln. Diese Handlungen, die sich in der Realität fortsetzen, haben eine plastische und konzeptuelle Tragweite, die vielen zeitgenössischen Kunstwerken fehlt. Sie bringen eine Praxis zum Ausdruck, die uns Gilles Deleuze in seinem Postskriptum über die Kontrollgesellschaften ans Herz legte: „Es ist an uns zu entdecken, wozu man uns einsetzt.“6

 

Übersetzt von Isolde Schmitt

 

[1] Sibylle Vincendon, Avec son musée, François Pinault offre l’affaire du siècle à Paris et Anne Hidalgo, in: Libération, 27. April 2016 („Mit seinem Museum bietet François Pinault Paris und Anne Hidalgo das Geschäft des Jahrhunderts an“).
[2] Vgl. die Projet Phalanstère au CAC Brétigny ou „De l’orgie de musée ou omnigamie mixte en ordre composé et harmonique“ . Sternberg Press/CAC Brétigny 2017.
[3] Der Canaletto Blick, mit Olga Chernysheva, Franz Erhard Walther, Marcus Geiger, Tomislav Gotovac, Sanja Iveković, Edward Krasiński, Roman Ondak, Florian Pumhösl, Ashley Hans Scheirl, Slaven Tolj, Clemens von Wedemeyer und Lois Weinberger; KuratorInnen: Kathrin Rhomberg und Pierre Bal-Blanc, Erste Campus, Wien,
[4] Vgl. Wendy Brown, American Nightmare: Neoliberalism, Neoconservatism, and De-Democratization, in: Political Theory, Vol. 34, No. 6 (Dezember 2006), S. 690–714.
[5] Vgl. https://artreview.com/news/news_10_nov_17_open_letter_in_criticism_of_preis_der_nationalgalerie/.
[6] Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: L’Autre Journal, n°1, mai 1990.