Heft 4/2018 - #Fortschritt
In der „Sechsten Erklärung aus dem Lacandonischen Urwald“ und einigen anderen Dokumenten legten die ZapatistInnen von Chiapas ihre Idee einer Botschaft dar, die zuerst in Mexiko und dann weltweit den zapatistischen Ansatz verbreiten sollte. Mithilfe von „encuentros“, das heißt niederschwelligen Treffen mit den Einheimischen, sollten Informationen über die zapatistische Bewegung unter das Volk gebracht und zudem Berichte über den globalen Kampf gegen den Neoliberalismus gesammelt werden. Wir wissen nicht genau, ob dieser Plan jemals umgesetzt wurde, trafen aber in Mexiko einige jener Leute, die sich an seiner Verwirklichung versucht haben.
Der Film # 17, The New Dead End Street – Summer School of Orientation in Zapatism versucht, die – noch nicht realisierte – Einrichtung einer solchen Botschaft in Russland zu antizipieren. Dazu organisierten wir eine längere Akademie, in der die zapatistischen Ideen in ihrer ganzen Tiefe erfasst werden sollten – mit einer Lesegruppe, einem zapatistischen Spanischkurs und Seminaren zur Gemeinschaftsbildung. Die Akademie kulminierte in einem zweiwöchigen Sommerlehrgang, in dem 17 junge Menschen gemeinsam als temporäre Kommune in einem Haus am Land lebten.
Der Film dokumentiert nicht nur dieses Zusammenleben, sondern auch wie ein zapatistisches Miteinander außerhalb der indigenen Kultur als lebendige Praxis umgesetzt werden könnte. Wie könnten wir als EuropäerInnen und RussInnen mit all unserem politischen und kulturellen Ballast unser Leben und unsere Gesellschaft dahingehend verändern? Im Bewusstsein der zapatistischen Tradition der „Antiklimax“ und mit der typisch zapatistischen Ironie, wie man sie aus den Texten des Subcomandante Marcos kennt, stürzten sich die Teilnehmenden auf die Frage, was denn eigentlich Fortschritt sei und wie man im Einklang mit unserem Planeten bzw. unserem Grund und Boden leben könnte. Was mag der Satz „Für alle alles, für uns nichts“ (Para todos todo, para nosotros nada) bedeuten? Wie könnte eine Theologie der Emanzipation im russischen Kontext aussehen? Welche Rolle spielt die Kultur im Befreiungsprozess? Und wie können wir in einer feindlichen Welt eine Autonomie „gerechter Menschen“ aufbauen?
Der Film kann auch als Aktualisierung des europäischen Genres der Idylle verstanden werden, geht er doch von der Enttäuschung der jungen Stadtbevölkerung aus, die angesichts des gesellschaftlichen und kapitalistischen Drucks einen Weg sucht, um nicht nur ihren Deadlines, sondern auch dem Zugriff der neuen Rechten zu entkommen. Die, angeregt von zapatistischen Ideen, ihrem Unglück zu entkommen und ein ganz neues Leben beginnen möchte.
Der Aufbau des Films suggeriert eine neue Form der Zeitlichkeit: die des langsamen Fortschreitens, das für sich allein ein Ziel darstellt. Daher wurden mehrere Schnittvarianten angefertigt, die unterschiedlich viele Abschnitte (oder Kapitel) enthalten. Diese Abschnitte ergeben zusammen eine mentale Landkarte, die den Realraum der Filmproduktion widerspiegelt.
Übersetzt von Thomas Raab