Heft 4/2018 - #Fortschritt
Die Zeiten sind für viele Menschen an unterschiedlichsten Orten der Welt hart. Politische und wirtschaftliche Veränderungen haben verheerende Folgen für viele Einzelpersonen, Gesellschaftsgruppen und Nationen und große Auswirkungen auf ihren Alltag. Selbst jene, die nicht unmittelbar bedroht sind oder deren privilegierte Situation sie bisher weitgehend vor derartigen Umwälzungen geschützt hat, empfinden diese Zeiten als schwierig – gesellschaftlich, emotional und kulturell. Und es scheint nicht so, als würden die Dinge in vorhersehbarer Zukunft besser werden. Viele sind aus ihrer Gleichgültigkeit aufgerüttelt worden und haben Mühe, mit der komplexen Gefühlsmischung zurechtzukommen, die der aktuelle Kontext auslöst: Wut, Depression, Frustration, Verzweiflung und Entsetzen. Andere hingegen, die nie im Luxus der Gleichgültigkeit gelebt haben, betrachten die Situation mit Gefühlen, die von Angst bis zu gequälter Erheiterung reichen. Optimismus ist Mangelware. Zu viele Weltuntergangsszenarien – ob real oder imaginiert, unmittelbar bevorstehend oder in weiter Zukunft – tauchen auf unseren Bildschirmen auf; und einige haben sich vielleicht schon zu sehr daran gewöhnt, dass immer nur ein Weltuntergang nach dem anderen bevorsteht (zum Beispiel Kalter Krieg/nukleare Vernichtung). Manchmal scheint es, als würde Chaos herrschen und als hätten wir nur wenig Spielraum: entweder das Chaos annehmen oder dagegen ankämpfen, es mit jeder sich bietenden Ordnung zurückdrängen.
Die Zeiten sind auch für politische Intellektuelle hart. Ich möchte hier von meiner eigenen Krise als politischer Intellektueller erzählen, weil ich hoffe, damit ein größeres Problem bzw. andere anzusprechen, die trotz unterschiedlicher Kontexte und Überzeugungen ähnliche Geschichten, Fragen und Zweifel haben. Ich möchte mich der schwierigen, aber notwendigen Aufgabe widmen, jene Kraft zu erfassen, die unsere Arbeit antreibt, die uns sagt, dass das, was wir tun, wichtig ist, selbst angesichts der vielen Faktoren, die gegen uns wirken. Wie können wir in einer Welt Inspiration finden, in der Wissen und Ideen nicht mehr auf die Art und Weise von Bedeutung zu sein scheinen, wie wir dies einmal angenommen haben? Es geht also um die Suche nach Optimismus in einem Moment, in dem der Wert von kritischer intellektueller Arbeit vom Lärm unserer Umgebung negiert wird.
Meine Krise beginnt mit einem fast unüberwindlichen Pessimismus des Willens. Trotz all der Opposition und des Aktivismus, die über die letzten Jahrzehnte entstanden und sichtbar geworden sind, liegt in den gegenwärtigen Kämpfen zu wenig echter Optimismus und zu viel Verzweiflung. Manchmal scheint unser kollektiver Wille besiegt oder zumindest geknickt bzw. entstellt zu sein. Wenn ich die gegenwärtigen Widerstandsbewegungen betrachte, sehe ich eher Wut und verhärtete Positionen als ein wie immer geartetes Gefühl eines möglichen Auswegs. Optimismus wird gewöhnlich (meiner Meinung nach fälschlicherweise) mit einem Gefühlszustand oder punktuellen Augenblicken der Erfahrung (wie bei Hoffnung) gleichgesetzt. Ich denke jedoch, dass Optimismus ganz einfach die Bereitschaft ist weiterzumachen, den nächsten – taktischen – Schritt zu tun, einen nach dem anderen, „wissend“, dass das, was man tut, eine Wirkung haben wird, weswegen man den nächsten macht, dann den nächsten, und so weiter. Das bedeutet aber, dass Optimismus nicht von Wissen zu trennen ist. Optimismus des Verstands ist die Möglichkeitsbedingung von Handlungsfähigkeit und Veränderung. Optimismus gehört zum Verstand. Wir müssen einen Optimismus des Verstands gegenüber unserem Pessimismus des Willens retten.
Meine Geschichte ist von der Tatsache geprägt, dass ich in den Vereinigten Staaten lebe, mit all ihren unverwechselbaren Historien und Institutionen. In anderen Kontexten mögen meine Überlegungen andere Resonanzen haben, ich kann jedoch die Frage des Optimismus nur für die Vereinigten Staaten stellen, da wir uns fragen müssen, was hier notwendig ist und wo genau es zu finden sein könnte. Ich entschuldige mich nicht für die Beschränkungen, die das mit sich bringt, aber das Umfeld der Vereinigten Staaten ist mir einfach am vertrautesten; meine Erfahrung eröffnet mir einen Weg in diesen Kontext, und fast 50 Jahre der Forschung, des Versuchs zu verstehen, was vor sich geht, verleihen – hoffe ich – meinen Einsichten eine gewisse Tiefe. Ich präsentiere die USA hier nicht als privilegierten Fall oder als Schlüssel dafür, was anderswo geschieht, oder als ein verallgemeinerbares Modell.
Allzu leicht gleitet man von dem in den Cultural Studies vertretenen Kontextualismus in Formen der Engstirnigkeit, und ich möchte die Form der Engstirnigkeit vermeiden, die für angloamerikanische und europäische Diskurse so typisch ist. Derartige Tendenzen werden von der wachsenden globalen Macht der angloamerikanischen Hochschullandschaft und ihren immer normativeren Verbreitungs- und Disseminationseinrichtungen, besonders dem Verlagswesen, noch verstärkt. Während US-amerikanische WissenschaftlerInnen unter akademischer Globalisierung die Verbreitung von Satellitenuniversitäten und die Bemühung verstehen, (vor allem aus wirtschaftlichen Gründen) „ausländische“ Studierende anzuziehen, ist ihnen gänzlich unbekannt, auf welch unterschiedliche Weise das Modell einer industriellen höheren Bildung in anderen Kontexten aufgegriffen und benutzt und häufig auch übertrieben wird. Während amerikanische WissenschaftlerInnen beklagen, was nur allzu unbedacht als „Neoliberalisierung“ der Universität bezeichnet wird, ignorieren sie die einfache Wahrheit, dass viele dieser Veränderungen in anderen Kontexten schon früher und viel schonungsloser umgesetzt wurden, und dass in vielen Ländern im Zuge dessen, dass akademische Bildung zum Schauplatz eines beträchtlichen wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs geworden ist, die Macht der angloamerikanischen akademischen Einrichtungen Grund zu ernster Besorgnis ist.
Eine gewisse Engstirnigkeit kann ich jedoch nicht umgehen, ich möchte mir allerdings an Meaghan Morris’ Ansatz ein Beispiel nehmen, Engstirnigkeit als eine Form von Handlungsfähigkeit zu denken, als eine „tragbare Behausungsart“.1 Morris zufolge bietet Engstirnigkeit eine andere Art, den Raum zwischen Lokalem und Transnationalem zu denken, eine Art, die „Geschichten (zu erzählen), die wir noch nicht zu schreiben wissen“. Sie ist untrennbar mit Bildungspraktiken verbunden und benennt „Formen der Involvierung in Denk- und Praxisnachbarschaften“, die „unsere Fähigkeit verbessern, Verbindungen herzustellen und Affinitäten zu imaginieren“. Sie ist keine Art der Isolation und Abgrenzung, sondern vielmehr eine Einladung, neue Formen zu finden, sich auf „kulturelle Fremde“ zu beziehen. Kein Gegenpol zum Kosmopolitismus, sondern das, was ihn durch Vielfältigkeit und Ortsgebundenheit überhaupt erst ermöglicht.
Ich weiß, dass viel von dem, was gerade in den USA geschieht, Ähnlichkeiten damit aufweist, was in anderen Ländern vor sich geht, und das schon seit einiger Zeit. Es ist jedoch wichtig, die unterschiedlichen Formen zu erkennen, in denen das realisiert wird und funktioniert, mal direkt, manchmal im Verborgenen. In den Vereinigten Staaten (und anderen westlichen, liberalen Demokratien) vergessen wir leicht, dass viele Nationen dieser Welt schon länger unter autoritären Regimen, populistischen Diktaturen und selbst Totalitarismen leben und/oder diesen zunehmend ausgesetzt sind. Und leicht glaubt man, dass das, was uns wichtig oder für uns offensichtlich ist, überall und von allen geteilt wird. Nichtsdestotrotz gilt es anzuerkennen, dass es erhebliche Veränderungen und Probleme gibt, die in den USA ebenso wie an diesen anderen Orten zu finden sind, ob man nun die Legitimierung von neuen Formen des Autoritarismus, das Feiern von illiberalen Strömungen, die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Kombination von Nationalismus (gegen den Globalismus) und wiederauflebenden Formen von Hass und „Tribalismus“ (gegen den Multikulturalismus) oder das Eintreten für eine populistische Souveränität (gegen das Versagen des von politischen und kulturellen Eliten dominierten „Establishments“) in den Vordergrund stellt.2 Die Ähnlichkeiten verweisen auf Krisen und Kämpfe um die Art, wie wir mit Unterschieden, Pluralität, Vielfältigkeit und sogar Chaos umgehen bzw. uns dagegen verwehren, und wie diese wiederum durch vielfältige Machtformen konstituiert werden. Ich möchte damit allerdings keine simplen Vergleiche nahelegen, die die Bedeutung von unterschiedlichen Geschichten und Kontexten ignorieren würden.
Ich denke jedoch auch nicht, dass wir den Fragen ausweichen können, die sich aufgrund der rasanten Veränderung der globalen Beziehungen, Kraftverhältnisse und Kontexte stellen. Schließlich ist das, was in den USA gerade geschieht, ein – wenn auch komplexer – Puzzlestein innerhalb der größeren Neuordnung der geopolitischen Beziehungen, ohne dass ein überzeugender „Weltnomos“ in Sicht wäre. Das Dreiweltenmodell wurde durch eine komplexe Neuverteilung von Machtkonzentration und -formen ersetzt, die vom Aufstieg der drei führenden Regionalmächte (Vereinigte Staaten, China/Asien und Russland/Europa3) und ihren kontinentalen Auseinandersetzungen nur teilweise erfasst wird. Jedenfalls zeigen meine Gespräche mit KollegInnen und FreundInnen auf der ganzen Welt, dass viele politische Intellektuelle an verschiedenen Orten, auch wenn die Kräfte sich unterscheiden mögen, viel von meinem Pessimismus teilen, nicht nur politisch, sondern auch intellektuell. Viele leben unter Bedingungen, in denen sie zunehmend zum Schweigen gebracht und eingeschüchtert werden bzw. unter einer drohenden ökonomischen Prekarität und sogar physischen Gefahr zu leiden haben. Vielleicht sind diese Bedingungen besonders außerhalb des „Westens“ für einige nicht neu, aber gerade Veränderungen in Wesen und Möglichkeit von Opposition scheinen heute bedeutende reale Auswirkungen zu haben.
Grade des Pessimismus
Inwiefern bin ich also pessimistisch? Politisch wird mein Pessimismus sicherlich von vielen anderen geteilt, obwohl ich mehr als andere zögere, Donald Trump als absolute Ursache und Zentrum der aktuellen Krise zu identifizieren. Ein derartig ausschließlicher Fokus resultiert häufig in einer Rhetorik der apokalyptischen Monstrosität – Trump als Teufel oder Irrer, und eine Opposition, die sich oft auf einfachere und naivere Geschichten bzw. Analysen der aktuellen politischen Auseinandersetzungen beschränkt, und das auf eine Art und Weise, die zumindest formal den grob vereinfachenden Narrativen von reaktionären Konservativen mit ihren nahezu vormodernen Bildern von einem goldenen Zeitalter der Vereinigten Staaten ähnelt. Wir bilden uns ein, wir seien auf dem Weg in den Faschismus/Nationalsozialismus (eine Angst, die jede konservative Regierung seit Nixon begleitet hat). Damit klammert man jedoch die Komplexität und Besonderheiten der aktuellen Konstellation und die Geschichten aus, die zum gegenwärtigen Zustand geführt haben. Es ist gut möglich, dass wir in eine dystopische Zukunft (von mehreren möglichen) abgleiten, es steht allerdings noch offen, wie sie genau aussehen bzw. ob sie tatsächlich zustande kommen wird. Solche apokalyptischen Gefühle führen oft zu Ohnmacht: So sehr die Ereignisse manche Menschen ängstigen und entsetzen, beschränken derartige Narrative unsere Reaktionen häufig auf einen vorübergehenden explosiven Protest, auf obsessive Aufzählungen von Trumps täglichen Verrücktheiten, gefolgt von einem fatalistischen Rückzug in die alltägliche Banalität des Lebens, in dem wir uns wieder auf unsere Lieblingsserien und die Lebensqualität unserer Haustiere konzentrieren. Ich will damit nicht die ernsthaften Versuche ignorieren, Wahlkämpfe und politische Auseinandersetzungen zu führen, die in der unmittelbaren Gegenwart notwendig sind; was ich aber nicht sehe, sind Analysen und Strategieentwürfe, die für eine langsame Sammlung und Organisation von oppositionellen Kräften notwendig sind.4
Mein politischer Pessimismus bezieht sich nicht so sehr auf Trump (so verstörend seine Präsidentschaft auch sein mag), sondern darauf, wie schwierig es ist, einen Ausweg zu sehen – was wiederum zum Teil davon abhängt, die Spezifizität dessen zu verstehen, was im gegenwärtigen historischen Kontext gerade geschieht. Man vergisst nur allzu leicht, dass die USA schon früher mit verschiedenen Formen von repressiven, konservativen und sogar revolutionär-reaktionären Regimen konfrontiert waren. Wir standen Situationen gegenüber, die von tiefgreifenden Auseinandersetzungen um Werte und Weltsichten geprägt waren, Situationen, die sich anfühlten, als stünde die Nation am Rand eines weiteren Bürgerkriegs. Und fast immer kämpften die progressiven Kräfte ebenso sehr miteinander wie gegen die Kräfte der Unmenschlichkeit, wobei es jedes Mal zu neuen Formen von Sektierertum, Forderungen nach politischem Anstand, Reinheit und Loyalität sowie zu Streitereien um die Notwendigkeit und korrekte Form der Organisation kam. Die Geschichte wiederholt sich allerdings nicht nur, weil wir zum Vergessen neigen, sondern auch, weil wir uns nicht die Mühe machen, die Unterschiede auszumachen – zu sehen, dass sie sich nicht wirklich wiederholt.
Die gegenwärtige „Konstellation“5 ist das Ergebnis von konzertierten Anstrengungen einer Reihe von konservativ-kapitalistischen Koalitionen (die ich im Folgenden „die Rechte“ nenne), die zunehmend an Macht gewonnen haben – zugegeben, die derzeitige Koalition, die von einer reaktionären Allianz dominiert wird, ist besonders beängstigend; demgegenüber haben die Kräfte, die sich gegen diese langfristigen Machtverschiebungen stellen, an Macht verloren. Trotz der vielen scheinbaren und tatsächlichen Siege (zum Beispiel Frauenrechte, Schwulenehe, die Wahl von Obama) bewegen sich die Gezeiten der Geschichte langsam und fast zwangsläufig in Richtungen, die progressive Wünsche nach einer menschlicheren, gerechteren und gleichberechtigteren Welt untergraben. Tatsächlich vertrete ich (so wie andere auch) schon seit 25 Jahren den Standpunkt, dass, obwohl die USA lange im Schatten der wunderbar kreativen, unbändig chaotischen und minimal organisierten „Bewegung der Bewegungen“6 der 1960er-Jahre gelebt haben, ihre Politik und Kultur in den vergangenen 60 Jahren viel tiefgreifender vom Aufstieg und der sich ausbreitenden Macht zweier miteinander verknüpfter großer und langfristiger Projekte geprägt waren: einem neuen Konservativismus und einer Neuorganisation von Kapitalismus und kapitalistischer Macht, darunter die Ausweitung der Konzernsouveränität. Das Ergebnis sind einerseits weitreichende Veränderungen in den Strukturen von gesellschaftlichen Beziehungen und Werten, andererseits eine erzwungene Umverteilung unserer Zeit und Energie unter neuen Kapital- und Moralregimen. Die Beziehungen innerhalb und zwischen diesen beiden Projekten waren komplex, unvorhersehbar und änderten sich ständig, dennoch waren das genau jene Vermittler, die dynamisch auf den Druck und die Kräfte der Veränderung und auf progressive Herausforderungen reagierten – darauf, was der Thinktank der sogenannten Trilateralen Kommission 1975 als „Übermaß an Demokratie“ beschrieben hat.
Die Rechte in den USA ging höchst strategisch vor – in ihrer Wahl der Kämpfe, Taktiken (die immer im Namen von Prinzipien dargestellt wurden) und Allianzen, die auf drei grundlegenden Erkenntnissen aus den 1960er-Jahren aufbauten (die sich sowohl gegen den Nachkriegsliberalismus als auch gegen die Gegenkulturen richteten): Erstens erfordert ernsthafter politischer Wandel langfristiges pragmatisches Denken, eine enorme Investition in Aufbau und Bereitstellung einer ausgeklügelten institutionellen Infrastruktur und häufig auch taktische Kompromisse. Zweitens beruht ernsthafter politischer Wandel darauf, die kulturellen Grundlagen für Ersteres zu schaffen. Wie Andrew Breitbart es formulierte: „Politik ist der Kultur nachgeschaltet“. Und drittens können starke Emotionen die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen ihre eigenen Überzeugungen und Interessen auslegen bzw. danach handeln. Dabei waren häufig konsequente, manchmal auch indirekte Appelle an Ängste vor dem Anderen im Spiel (Rassismus in der „Südstaatenstrategie“, Fremdenfeindlichkeit und Forderungen nach „Recht und Ordnung“) und jüngst das Ressentiment gegen die „Eliten“, die für die schlechten Lebensbedingungen der Menschen verantwortlich seien (wobei die Bedeutung von „Elite“ auf eine sich ständig ändernde Gruppe verweist – zum Beispiel Liberale, KosmopolitInnen, GlobalistInnen, KüstenbewohnerInnen, Stadtmenschen, das Establishment, MeritokratInnen, die Gebildeten/ExpertInnen oder manchmal sogar die Konzerne – aber im Allgemeinen nicht die Reichen – im Gegensatz zu den „einfachen Leute“, der schweigenden Mehrheit, den DurchschnittsamerikanerInnen usw.). Und der Kapitalismus – trotz seiner Widersprüche, Brüche und Vielfältigkeit – unterstützte diese Bemühungen oft, zweifellos ergänzt um seine eigenen Agenden, Strategien und Konzernaktivitäten. Die Mischung bzw. relative Bedeutung dieser drei Faktoren hat sich in Bezug auf sich verändernde Koalitionen verschoben: Zum Beispiel gaben die Reaktionäre der Tea Parties und später Trump die erste Einsicht zugunsten der letzten auf, indem sie verstärkt auf populistische Aufrufe setzten, Forderungen nach der Zerstörung der Institutionen des „Staats im Staate“ und der Normen des Establishments erhoben und ihre Politik der verbrannten Erde gegen alle etwaig bestehenden liberalen Werte und Institutionen inszenierten. Dabei mobilisierten sie häufig das Gefühl einer verdienten Rache für das Versagen des Establishments, sein Versprechen eines zumindest stabilen Wohlstands für „uns“ und einer sich ständig verbessernden Zukunft für „unsere“ Kinder einzulösen. Verstehen wir die Besonderheit dieses offenkundigen Triumphs, seine einzigartige Kombination aus Politik und Chaos bzw. die Art und Weise, wie er sowohl Zustimmung als auch den Sieg errungen konnte?
Mehr als 25 Jahre lang habe ich dahingehend argumentiert, dass viele progressive Intellektuelle und oppositionelle AktivistInnen nicht ausreichend verstanden haben, was da genau vor sich ging, und zwar weil sie nicht bereit waren, ihre eigenen theoretischen und/oder politischen Gewissheiten ernsthaft infrage zu stellen – und dass wir keine wirksame Strategie entwickeln können, gegen den Strom anzukämpfen, ohne zuvor die Rechte verstanden zu haben.7 Noch pessimistischer macht mich allerdings, dass so viele oppositionelle Intellektuelle und AktivistInnen weiterhin keine Verantwortung für den Zustand des Landes übernehmen. Obgleich der Erfolg der Rechten über die letzten 60 Jahre hinweg nicht der Opposition angekreidet werden kann, weigern sich die meisten oppositionellen Kräfte anzuerkennen, dass ihre eigenen Misserfolge – und in einigen Fällen auch Erfolge – die Übermacht der Rechten, wie unbeabsichtigt auch immer, überhaupt erst ermöglicht haben.8
Oppositionelle Intellektuelle und AktivistInnen rühmen sich nur allzu oft ihrer kulturellen – akademischen und moralischen – Überlegenheit und pochen auf den intrinsischen Wert bestimmter Lebensweisen, und wiederholen dabei die immer gleichen alten Weisheiten und Diagnosen. Sie versäumen dabei nur mitunter, sich mit der Wirkung ihrer Argumente bzw. damit auseinanderzusetzen, wie sie vereinnahmt werden können. Dabei legte eine Reihe von kritischen Argumenten den Keim für eine Neukonfiguration des Common Sense durch die Rechte; schließlich nehmen viele Angriffe der Rechten auf den Staat und „das Establishment“ Kritikpunkte auf, die zunächst von unterschiedlichen Oppositionsbewegungen geäußert wurden, und richten sie dabei neu aus. Manche Intellektuelle und AktivistInnen übertreiben es mit der Praxis der Kritik völlig und haben dazu beigetragen, dass Kritik „eine zu schwere Last wurde, wodurch jeder, der den Leuten die Möglichkeit bietet, sie abzuwerfen, ihre Unterstützung gewinnt, unabhängig davon, was er sonst noch tut“ (Cary Hardin, persönliche Mitteilung). Ebenso haben es Oppositionskräfte versäumt, ihre Differenzen hintanzustellen, um sich strategisch zu organisieren und beispielsweise die Regierungspolitik neu zu erfinden; viele bekräftigen selbstgefällig immer wieder ihre moralischen Gewissheiten und scheinen nicht willens, sich mit Widersprüchen zu konfrontieren oder mit den Grundüberzeugungen und moralischen Richtschnüren anderer Menschen; viele stellen sich auch gegenüber dem Bedürfnis taub, dass überhaupt erst artikuliert werden muss, welche Gefühle Menschen in Bezug auf politische Möglichkeiten aufbringen. Während Teile der Opposition das Versagen des Establishments behaupten und damit der populistischen Rechten zustimmen, bieten sie im Allgemeinen keine neuen Visionen oder Prinzipien an, sondern begnügen sich entweder mit weiteren Versprechen einer „besseren Politik“ oder mit antietatistischen Entwürfen eines partizipatorischen Kommunalismus. Inzwischen verändert die Rechte seit Jahrzehnten strategisch und bewusst die Politik der Gefühle, die oft auf Taktiken basiert, die von verschiedenen oppositionellen/linken Gruppen entliehen sind. Und, was noch wichtiger ist, sie haben eine echte, tief empfundene Skepsis bezüglich der Möglichkeiten der Regierungsgewalt im Rahmen der bestehenden Institutionen und Normensysteme hervorgerufen.
Verschlimmert wird mein politischer Pessimismus noch durch das subjektive, vielleicht „westzentrierte“ und meinem Alter geschuldete Gefühl, dass ein guter Teil der kritischen Arbeit der vergangenen 50 Jahre (auch meine eigene) irrelevant geworden ist. Ganz sicher ist sie weitgehend wirkungslos geworden. Jedenfalls hat sie wenig dazu beigetragen, um die größeren Ströme der Geschichte umzuleiten bzw. zu gewährleisten, dass die Art von progressiven „Träumen“, die wir einmal hatten, verwirklicht wird. Obgleich ich nie gedacht habe, dass diese Ideen unmittelbare oder dramatische Konsequenzen haben würden, so hätte ich doch gehofft, dass sie den steigenden Einfluss der verschiedenen Formen von Demagogie, Antiliberalismus und Autoritarismus zumindest hemmen würden. Ich hätte gehofft, dass sie den politischen Common Sense oder zumindest die Auseinandersetzung darüber, wenigstens innerhalb der progressiven Opposition, langsam verändern würden. Zu viele gegenwärtige politische Kämpfe – die Prämissen, auf denen sie basieren, die Geschichten, die sie letztendlich erzählen – scheinen zu vergessen, dass die Prämissen, die Logik und die Diskurse des politischen Denkens (unter anderem über das Wesen von Wahrheit, Identität, Macht, Kapitalismus) im Lauf der vergangenen 50 Jahre heftig umstritten waren, infrage gestellt und immer wieder neu konfiguriert wurden. Noch schlimmer ist, dass mich manchmal das Gefühl beschleicht, meine Arbeit habe einen größeren Einfluss auf die Kräfte ausgeübt, die wir eigentlich ablehnen, als auf jene, die wir unterstützen wollen. So wie viele meiner intellektuellen MitstreiterInnen lähmt mich ein Gefühl der Vergeblichkeit – auch wenn es mich sicher nicht zum Schweigen bringt, und das ist vielleicht ein letzter verbliebener, aber schwindender Luxus der sogenannten liberalen Demokratien, selbst wenn die Universitäten immer mehr zur Zielscheibe der Rechten werden.
Wo können wir also Grund zu Optimismus finden? Vor Kurzem las ich Hannah Arendt, eine der tiefgründigsten TheoretikerInnen des Totalitarismus, wobei mich ein Satz besonders beeindruckt hat: „Unter der Herrschaft eines Tyrannen ist es leichter zu handeln als zu denken.“ Und eben das ist mein Anliegen: Wir müssen – mehr und besser denn je – denken. Wir müssen einen Optimismus des Verstands finden. Es geht nicht darum, dass noch mehr Wissen nötig ist, sondern wir brauchen die richtige Art von Wissen – ein Wissen, das untrennbar mit unserem Veränderungswillen verbunden ist. Wir müssen daran glauben, dass Wissen einen Unterschied macht. Und dazu müssen wir herausfinden, welches Wissen in einem bestimmten Kontext am besten funktioniert.
Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den Lawrence Grossberg am 26. Juni 2018 anlässlich der Pensionierung von Roman Horak an der Universität für angewandte Kunst gehalten hat. Der gesamte Text erscheint im Frühjahr 2019 bei Turia & Kant.
Lawrence Grossbergs jüngstes Buch Under the Cover of Chaos: Trump and the Battle for the American Right ist 2018 bei Pluto London erschienen.
Übersetzt von Brita Pohl
[1] Meaghan Morris, The Man from Hong Kong in Sydney, in: Judith Ryan/Chris Wallace-Crabbe (Hg.), Imagining Australia; Literature and Culture in the New, New World. Cambridge 2004, S. 235–66.
[2] Beng Huat Chua legt auf brillante Weise dar, wie unterschiedlich diese Elemente in radikal verschiedenen gesellschaftlichen Formationen kombiniert und ausgedrückt werden können – in seinem Fall im autoritären Kommunitarismus von Singapur; vgl. Beng Huat Chua, Liberalism Disavowed. Ithaca 2018.
[3] Zu multipolarer Weltordnung und Neoeurasianismus vgl. Alexander Dugin, Die vierte politische Theorie. Arktos 2013 und ders., Eurasian Mission. Arktos 2014.
[4] Es gibt keinen einheitlichen Begriff für die Beschreibung dieser Kräfte, und es ist möglicherweise symptomatisch, dass schon die Frage der Benennung gelegentlich zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen führt. Die Begriffe, die Widerstands- und Oppositionsformationen benennen, sind heute schwierig und verworren. Manche meinen, dass der Bezug auf „die Linke“ bloß einen nostalgischen Appell an eine nicht mehr existierende Einheit und einen Feind heraufbeschwört, der sich grundlegend verändert hat. Während ich bezweifle, dass eine solche Einheit je existiert hat, ist klar, dass das, was man heute als die Linke bezeichnen könnte, zwangsläufig fragmentiert, streitsüchtig und oft verbittert ist (was dazu führt, dass die Linke ihre eigenen „inneren Feinde“ konstruiert). Selbst eine plurale Vorstellung von „den Linken“ scheint nicht akzeptabel, da damit ebenfalls eine klare Aufteilung von Themen und Positionen impliziert wird, die sich sauber trennen und in räumlichen Metaphern erfassen lassen. Einige ziehen den Begriff „progressiv“ vor, der allerdings ebenso problematisch erscheint, teilweise, weil es nicht klar ist, wie er sich auf Liberale und Zentristen oder auf „Demokraten“ des Establishments beziehen lässt. Tatsächlich standen die Liberalen vor dem Aufstieg des reaktionären Populismus im letzten Jahrzehnt eindeutig außerhalb des oppositionellen Spektrums, hauptsächlich wegen ihrer Wirtschaftspolitik (Neoliberalismus, Globalismus, Konzernsouveränität) und ihres eher zögerlichen Ansatzes in Bezug auf soziale Gerechtigkeit. Heute sind Liberale – und sogar einige kapitalistische Fraktionen oder zumindest einzelne KapitalistInnen – meist in diesem Spektrum inkludiert. Begriffe wie „die Linke“ oder „Fortschrittlichkeit“ können enorme Unterschiede in Bezug auf Werte, Prinzipien, Themen, Taktiken usw. übertünchen, ebenso wie unterschiedliche Strategien, um die Beziehung zwischen Einheit und Vielfalt auszuhandeln.
[5] Der englische Originalbegriff „conjuncture“ (Konjunktur, Sachlage, Zusammentreffen bestimmter Umstände) wird hier, wie in den deutschsprachigen Cultural Studies üblich, mit „Konstellation“ wiedergegeben; vgl. dazu auch Lawrence Grossberg, We all want to change the world: The paradox of the U.S. left (A Polemic), 2015; https://www.lwbooks.co.uk/sites/default/files/free-book/we_all_want_to_change_the_world.pdf.
[6] Hierzu zähle ich unter anderem die Auseinandersetzungen um Bürgerrechte und Black Power, das Mitspracherecht von Studierenden, die Antikriegsbewegung, Arbeiterorganisationen und -proteste, Gegenkulturen, den Feminismus und die Umweltbewegung.
[7] Ich weiß, dass ich wegen des Gebrauchs von „wir“ Ärger bekommen werde, ich weigere mich jedoch, dieses Wort aufzugeben. „Wir“ ist ein indexikalisches Wort, dessen Referenzpunkt sich je nach Kontext verschiebt und dessen Funktion – manchmal beschreibend, manchmal einladend – ein unverzichtbares rhetorisches Werkzeug ist, das die Rechte zu ihrem Vorteil einsetzt, während die Opposition über die als für seinen Gebrauch inhärent vorausgesetzten Repräsentationsformen streitet.
[8] Vgl. Grossberg, We all want to change the world.