Heft 4/2018 - Artscribe


20 Propositions

21. Juli 2018 bis 23. September 2018
Salzburger Kunstverein / Salzburg

Text: Christoph Chwatal


Salzburg. Teile der Ausstellung von Carl Johan Högberg im Hauptraum des Kunstvereins – bewegliche, hölzerne Displays mit Stoff- und Ölbildern und ein beiseitegeräumter Baumwollteppich – machen Platz für den Performancekünstler Ei Arakawa, den Musiker Christian Naujoks und die Klasse der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst. Högbergs Installation She Who Speaks (2018) ist Teil der zweiten Ausstellungswelle in der von Séamus Kealy kuratierten Reihe 20 Propositions. In drei Durchgängen, in denen die Räumlichkeiten jeweils neu eröffnet und bespielt werden, zeigt der Kunstverein insgesamt elf Einzelausstellungen, sieben Filme und eine Vielzahl an Performances, 18 allein am Eröffnungsabend Arakawas. Der in New York lebende Künstler ist der Relational Art zuzuordnen, kollaborative Praktiken, die das Zusammenkommen – die Integration und „Aktivierung“ des Publikums – als Produkt ihrer Arbeit sehen. 20 Propositions kann kaum als Ganzes erfahren werden und so gliedert sich die Ausstellung allzu nahtlos in den dichten Salzburger Kultursommer ein. Auffällig ist etwa, dass die Salzburger Festspiele (20. Juli bis 30. August) fast exakt mit den Kernzeiten der Eventreihe des Kunstvereins korrespondieren. Die letzte Ausstellung ist zwar bis zum Herbstbeginn geöffnet, das performative und diskursive Begleitprogramm lichtet sich dann jedoch.
In seinem Konzept bezieht sich der Kurator explizit auf Hildegund Amanshausers 40 Tage 20 Ausstellungen, die vor genau 20 Jahren im Kunstverein stattfand. 20 Propositions versteht sich nicht als getreues Reenactment, sondern als Remake und zeitgemäße Fortführung von Amanshausers „Performancefestival mit allen Mitteln der bildenden Kunst“. Gezeigt wurden eintägige Ausstellungen, die hauptsächlich am Eröffnungsabend frequentiert wurden. Ausschließlich KünstlerInnen, die in Salzburg lebten und arbeiteten, waren vertreten. Unter ihnen Ulrike Lienbacher, die am Eröffnungsabend ihre Werke anhand eines nachfragegebundenen Preisschemas verkaufte, ortsspezifische Arbeiten von Maria E. Prigge, ein Fototagebuch von Regina Öschlberger, ein Video, das die geschlechtsangleichende Operation der Künstlerin Sina Moser dokumentiert, oder ein performativ-heiteres Opening des Künstlertrios Büro Joseph Böhm. Amanshauser habe damit auch, wie sie in einem Ausstellungsgespräch rekapituliert, auf die veränderten Rezeptionsvorlieben und Anforderungen der BesucherInnen und die Notwendigkeit, soziale Orte zu schaffen, reagiert.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmend ephemerer Kunstproduktion und der Festivalisierung von Ausstellungsformaten erscheint 40 Tage 20 Ausstellungen heute als historische Fantasie, die den Eventcharakter noch als Subversion zelebrieren konnte. Die Sensibilität für Amanshausers Ausstellung ist deutlich spürbar, dennoch werden in der Neuauflage die soziopolitischen Veränderungen der letzten 20 Jahre nur am Rande berührt. Was Claire Bishop als „laboratory paradigm“ – eine experimentelle, prozessuale Form des Ausstellungsmachens – bezeichnet und kritisiert hatte, schlägt sich heute deutlich in einer Fetischisierung des Offenen und Unabgeschlossenen nieder. Im Jahresbericht des Salzburger Kunstvereins von 1998 wurden im Zuge von 40 Tage 20 Ausstellungen die „Tendenz des Disziplinübergreifenden“ – es wurden neben bildender Kunst auch Musik, Design, Performance und Theater gezeigt – und der performative Aspekt der Ausstellung hervorgehoben. Es scheint, dass 20 Jahre später das Format des „Festivals“ im zeitgenössischen Ausstellungskontext wenig kritisch auf ihre mögliche Komplizenschaft mit vorherrschenden Modi kultureller Produktion hin überprüft wurde.
Ein „Dokumentationsraum“, der im linken Teil des Hauptraums hinter einem Mauervorsprung installiert ist, sperrt sich der einfachen Gerinnung in eine stabile Form. Hier werden anonyme, teils sehr kurze und fragmentarische Tagebucheintragungen und Zeichnungen, die dem jeweiligen Eröffnungsdatum im Jahr 1998 zugeordnet sind, gezeigt. Auf der gegenüberliegenden Wand baut sich langsam eine Präsenz des Vergangenen-Gegenwärtigen auf. Nach dem Abbau der jeweils laufenden Ausstellung wird hier ein Dokumentationsblatt hinzugefügt. So treten die beiden Ausstellungen in eine Diskussion, die Zeit rafft sich zusammen.
Das Filmprogramm im Außenraum bietet etwa die ersten fünf Episoden von Jan Bonnys und Alex Wissels Rheingold (2018), eine Produktion für die Berliner Volksbühne. Das als zehnteilige Serie konzipierte, gefilmte Bühnenstück dreht sich um den Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach und dessen betrügerische Machenschaften. Bonny und Wissel thematisieren dabei die bewusste Verdrehung von Joseph Beuys’ Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Kreativitätsdispositive erscheint Beuys geradezu als naiver Vorbote der heute augenfälligen „gesellschaftlichen Ästhetisierung“1. Wie Beuys vielfach appropriiertes Motto haben das zeitlich Beschränkte, das Ephemere und Relationale in der Kunstproduktion seit den 1990ern eine wichtige Rolle eingenommen.
Vor diesem Hintergrund erscheint Amanshausers Performancefestival umso deutlicher als historischer Vektor. Die Sensibilität von 20 Propositions für diesen Moment in der Geschichte des Kunstvereins ist ein zentraler Beitrag, der Ausstellungen als Ressourcen, als Materialisierungen von gesellschaftlichen Vorgängen versteht.

 

 

1 Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Frankfurt am Main 2012.