Heft 4/2018 - Artscribe


Eco-Visionaries. Kunst, neue Medien und Ökologie nach dem Anthropozän

30. August 2018 bis 11. November 2018
Haus der elektronischen Künste (HeK) / Basel

Text: Sabine Maria Schmidt


Basel. Vielleicht ist es nicht fair, einen Ausstellungsbericht mit aktuellen Ereignissen einzuleiten. Doch während dieser Text entsteht, zieht ein börsennotierter, global agierender Energieversorgungskonzern einen tiefen Graben um sich und den Rest der Welt, um ein kleines Reststück eines jahrhundertealten Waldes mitten in Nordrhein-Westfalen (D) zu roden. Der Hambacher Forst, seit Jahren nicht nur Symbol für den Kampf gegen Kohle, steht auch für die Visionslosigkeit von führenden Konzernen und PolitikerInnen, die (noch) nicht fähig sind, die Grundprinzipien von Ökonomie radikal neu zu denken und zu verändern; sprich: sie nicht mehr abgetrennt von Ökologie zu denken.
Bereits vor zehn Jahren hatten die Kuratorinnen Sabine Himmelsbach, Karin Ohlenschläger und Yvonne Volkart schon einmal eine Ausstellung realisiert, die Projekte und progressive Vorstellungen von Ökologie vorstellte. Ökomedien. Ökologische Strategien in der Kunst heute hieß die damalige Gruppenausstellung (2007, Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg), an die ihr ambitioniertes aktuelles Projekt mit einer gänzlich neuen Künstlerliste ansetzt. Parallel finden nun an vier Orten in Europa (Umeå, Gijón, Lissabon und Basel) Ausstellungen statt, die erneut die zukünftige Bedeutung der Künste und Medien für die Wahrnehmung und das Bewusstsein des Ökologischen im Zeitalter des Anthropozän befragen.
Bilder hierzu gibt es viele. Meist sind es intensiv recherchierte, anklagende, aufrüttelnde und sichtbarmachende Bilder, die letztlich einen kollaborativen Aktivismus, eine „ökokommunistische“ Solidarität (Timothy Morton) einfordern, angesichts der drastischen Verschärfung der Probleme wie Erderwärmung, Artensterben, wachsende Müllberge oder die Zerstörung bisheriger ökologischer Systeme. Und die Bilder zeigen zunehmend Wirkung, trotz aktuell gescheiterter Klimapolitik.
Die Basler Ausstellung konzentriert sich dennoch auf etwas anderes. Es ist grün in den Räumen, es wuchert und quillt, es säuselt und atmet. Gleich zu Beginn stößt man auf eine gläserne, sargartige Skulptur von Terike Haapoja (FI), die das Phänomen der Bodenatmung spürbar macht. Mikroben zersetzen Blätter und produzieren dabei nicht nur Sauerstoff, sondern stoßen auch Kohlendioxid ab, der durch sich öffnende Klappen herausströmt. Auf einer Leinwand, auf der die Künstlerin zuvor ihr Gesicht abdrückte, wachsen Bakterienkolonien – ein ungewöhnliches Porträt einer gern gesehenen Wirtin. Vanessa Lorenzo entwickelte ein „Moostelefon“, das als interaktives Interface menschliche Berührung mit der Aktivität von Pflanzen zu verbinden sucht. Je nachdem, wie und wo man Moos berührt, erklingen Sensoren. Die robuste Pionierpflanze ist wegen ihres Gedächtnisses bekannt, sie ist Speicher und Datencenter für Luftverschmutzung oder Schwermetalle aus den Böden und gibt damit Auskunft über den Zustand der Umgebung. Die Belgierin AnneMaria Maes hingegen hat einen Guerilla-Bienenstock entwickelt, verfertigt aus mikrobieller Haut, die auf Umwelteinflüsse reagiert und als eine Art Bunker gefährdeten Bienenschwärmen Unterschlupf bietet. Ausgangspunkt war eine Zusammenarbeit mit WissenschaftlerInnen; auch wenn der Bienenstock am Ende doch nicht ganz funktionieren mag, fasziniert das hochästhetische Ergebnis. Wie würden sich Pflanzen bewegen, wenn sie laufen könnten? (Könnten Bäume doch wandern!) In Zusammenarbeit mit der ETH Zürich stellt Aline Veillat eine interaktive Medieninstallation vor, bei der Pflanzen robotische Prothesen und damit reaktive Mobilität erhalten. Dem Schweizer Duo Heidy Baggenstos und Andreas Rudolf haben es vor allem Wasserlinsen angetan, die sie als Superfood der Zukunft propagieren. Als Düngemittel nützt auch der eigene Urin, die Zubereitungsmöglichkeiten nach der Ernte erscheinen endlos.
Es sind vor allem diese zahlreichen symbiotischen Modelle, die der Ausstellung eine ganz eigene und besondere Qualität geben, sie in ein Labor neuer sozialer Lebens- und Kommunikationsmöglichkeiten verwandeln. Es ist eine Haltung spürbar, die sich der minimalen Bedeutung der eigenen (humanen) Rolle bewusst ist, dennoch ein radikales Umdenken einer neuen Solidarität repräsentiert. Nicht mehr menschlich gelenkte Verbesserungsalternativen sind gefragt, sondern neue symbiotische Konstellationen.
Doch lenkt die Ausstellung auch von den gravierenden Missverhältnissen nicht ab. Die Mediengruppe knowbotiq präsentiert eine eigene Genesis-Maschine, ein amorphes Biotech-Ungetüm. Das gefräßige, selbstleuchtende Monster mit Plastiktentakeln setzt auf synthetische Biologie. Chris Jordan studierte über zehn Jahre die auf einer Militärbasis und in der Nähe eines gigantischen Garbage Patch lebenden Albatrosse. Mit hochästhetischen Filmaufnahmen hält er akribisch das gnadenlose Sterben der majestätischen und liebevollen Vögel fest, die durch verschluckten Plastikmüll, den sie für farbige Fische halten, elendig krepieren. Sein Film versucht nichts anderes, als die Sicht auf Plastik endgültig zu verändern, was ihm gelingt. Im afrikanischen Science-Fiction Film Pumzi (2009) von Wanuri Kahiu opfert sich die in einer künstlichen Überwachungswelt lebende Protagonistin für eine neue Zukunftsvision. In einer dystopischen Wüstenlandschaft pflanzt sie mit ihrem letzten Körperschweiß einen neuen Mutterbaum und legt sich sterbend (als Humus) zu ihm nieder.
Es sind zahlreiche Bilder aus der Ausstellung, die berühren und sich mit eigenen vermischen. Vielleicht muss „ein Freund der Erde“ doch nicht zugleich ein Feind des Menschen sein, wie es in T. C. Boyles gleichnamigem Roman heißt, der ins nahende Jahr 2025 vorverlegt wurde.