Wien. Mit der Ausstellung Film und mehr bot das mumok Einblicke in die schriftlichen Nachlässe zweier österreichischer Avantgardefilmer der Nachkriegszeit, deren unterschiedliches Werk erstmals im musealen Kontext in Relation zueinander gesetzt wurde. An der Schnittstelle zwischen avantgardistischer Filmpraxis und bildender Kunst agierend erreichte Kurt Kren (1929–98) sowohl als Dokumentarist des Wiener Aktionismus als auch im Umfeld des strukturellen Films eine weitere Öffentlichkeit. Ernst Schmidt jr. (1938–88) war hingegen vordergründig in einschlägigen Experimentalfilmkreisen ein Begriff, vor allem aufgrund seines zweibändigen Lexikons Eine Subgeschichte des Films. Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms, das er 1974 gemeinsam mit Hans Scheugl herausgegeben hatte.
Film und mehr beruhte zunächst auf der Überlegung, kürzlich in die Sammlung aufgenommene Nachlässe miteinander in Dialog zu bringen. Schmidt jrs. Nachlass kam 2015 ins mumok. Bei jenem Krens handelte es sich um eine Dauerleihgabe der Republik Österreich, die erst im Mai diesen Jahres an das Museum gegangen war. Mittels der Auswahl des gezeigten Materials gelang es den vier KuratorInnen jedoch, darüber hinaus die konkreten Schnittstellen zweier Positionen der österreichischen Nachkriegsavantgarde herauszuarbeiten. Die Ausstellung zeigte etwa Dokumente zur Austrian Filmmakers Cooperative, an deren Gründung 1968 beide Filmemacher beteiligt gewesen waren. Darunter befand sich ein manifestartiger Brief von 1969. „An Alle“ adressiert, richtete sich dieser dezidiert polemisch gegen das als undemokratisch empfundene Österreichische Filmmuseum, vor allem dessen international umtriebigen Gründer Peter Kubelka. Ebenso zu sehen war Schmidt jrs. Materialsammlung zu Krens filmischen Arbeiten, ein winziger Ausschnitt von Schmidt jrs. lexikalisch organisierten Notizen und Artikel zur Filmgeschichte, die vor allem Zeitungen und Zeitschriften entnommen worden waren. Der Filmemacher erwies sich dabei als akribischer Sammler, der auf ein umfassendes Wissen setzte: von Informationen zu internationalen FilmemacherInnen bis hin zu vorfilmischen Techniken, wie etwa der Verweis auf „Abblätt-Bücher“ – auch als Flipbooks bekannt – deutlich machte.
Die Ausstellung rückte jedoch dezidiert davon ab, die Überfülle archivarischen Materials ins Zentrum zu setzen. Eine inhaltliche Präzisierung forderte nicht zuletzt die minimalistische Ästhetik des Ausstellungsdisplays, das der Künstler Josef Dabernig entwickelt hatte. Publikationen und auf Monitoren zu sehende Arbeiten der beiden Filmemacher wurden auf vier Tischen gezeigt, die gewollt an Studienräume von Museen und Filmarchiven denken ließen. In an der Wand montierten Glasschaukästen waren Auszüge aus Krens Tagebüchern und „Partituren“ – eine Art Storyboard für seine Filme – ebenso zu sehen wie eine Auswahl von Sammlerboxen, mittels derer in den 1970er-Jahren der Versuch unternommen worden war, Krens Filme im Super-8-Format zusammen mit Arbeitsmaterialien und Filmstills kommerziell zu vermarkten.
Gegenüber Kren stach Schmidt jr. in der Ausstellung als jener hervor, der dem Diskurs über den Film und der Vernetzung der eigenen filmischen Praxis ebenso viel Bedeutung beigemessen hatte wie der Filmproduktion selbst. Neben Auszügen aus Schmidt jrs. bereits erwähnter Materialsammlung zur Filmgeschichte lag der Schwerpunkt auf dem Schriftverkehr und der Publikationstätigkeit des Filmemachers. Ein undatierter Brief Elfriede Jelineks, in dem sie Schmidt jr. die Zusammenarbeit bei der Verfilmung eines Stücks über „den Wessely-Hörbiger-Clan in der Nazizeit“ vorschlug, machte dessen Kontakte im Literatenkreis deutlich. Die nach zwei Ausgaben eingestellte Filmzeitschrift Caligari, die Schmidt jr. 1964 herausgegeben hatte, zeigte die Ambitionen des Filmemachers, den internationalen Diskurs in der Wiener Filmszene anzuregen.
Über die Nachlassbestände hinaus präsentierte die Ausstellung zudem eine Auswahl an Filmbeispielen, darunter Schmidt jrs. 16-mm-Film P.R.A.T.E.R (1963–66) in digitalisierter Fassung: eine Bild- und Tonmontage bestehend aus Material über den Wiener Wurstelprater, teils unterlegt mit der Lautpoesie des Dichters Ernst Jandl. Krens 2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test (1960) – eine Bezugnahme auf den nach Léopold Szondi benannten Test aus der experimentellen Psychologie – war in einer 16-mm-Kopie zu sehen. Lagen die medialen Spezifika des Analogfilms den Arbeiten beider Filmemacher zugrunde, so war die Ausstellung bemüht, diesem auch in seiner Materialität Raum zu geben. Film und mehr sah jedoch davon ab, die Schriftstücke der Nachlässe als bloßes Beiwerk einer filmischen Praxis zu betrachten, sondern positionierte stattdessen Film bei Kren und Schmidt jr. an der Schnittstelle zwischen medialer künstlerischer Ausdrucksform und diskursiver Praxis.
Den KuratorInnen ging es durchaus auch darum, die Qualität der Archivbestände des mumoks mit der Aufforderung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung sichtbar zu machen. Film und mehr lieferte dafür eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten, die nicht zuletzt die internationalen Ambitionen und die weitverzweigte Vernetzung der österreichischen Filmavantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre abseits des Österreichischen Filmmuseums in den Blick nahmen. Eine Hassliebe zur österreichischen Kulturpolitik und der Wiener Kunstszene vereinte in jedem Fall das Schaffen beider Filmemacher. „wieder in wien. scheiß wien!!!!!“, schrieb Kren in seinem Tagebuch im Februar 1968.