München. Sauber strahlen die Straßen Münchens all jenen entgegen, die sich in der Sommersonne durchs Zentrum der Stadt bewegen. Saturierte Verhältnisse sind Teil einer Atmosphäre, die zwischen städtischen Wahrzeichen wie dem Café Dallmayr und internationalen Playern wie Starbucks nie ganz aus dem Gleichgewicht zu geraten scheint. Vielleicht ist es diese Idee eines unumstößlichen Selbstbilds, das die Zurschaustellung traditioneller Eigenheiten wie ein realistisches Spiel wirken lässt, in dem MünchnerInnen wie TouristInnen gemeinsam nach Bier und Brezeln verlangen – unter klar festgeschriebenen Regeln. Es sind die darunter liegenden historischen Verläufe und impliziten sozialen Spannungsverhältnisse, die Public Art Munich (PAM) in den Blick nimmt: Unter dem Titel Game Changers durchkreuzt und erweitert das von Joanna Warsza kuratierte Programm drei Monate lang den Münchner Stadtraum mit performativen Interventionen. Im Vordergrund steht die Flüchtigkeit all dessen, was als vermeintlich abgeschlossener Zustand ins historische Narrativ der Stadt aufgenommen wurde – und damit seine situative Offenheit.
Mit dem Fokus aufs Performative grenzt sich Joanna Warsza zunächst klar vom vorhergehenden PAM-Programm ab, das 2013 vom Künstlerduo Elmgreen und Dragset kuratiert wurde. Im Gegensatz zu deren eher skulptural verstandener Form der Gesamtinstallation eröffnet Warsza eine stark politische, sozialhistorische Dimension. Die 20 künstlerischen Auftragsarbeiten stellen zusammen mit dem Diskursprogramm so die Frage, was Öffentlichkeit überhaupt ist, wie sie sich aus Vergangenem, Gegenwärtigem und Hypothetischem zusammensetzt und was mit ihr bewirkt werden kann. Dafür werden die Abläufe und Konventionen spezifischer öffentlicher Räume aufgegriffen und künstlerisch neu besetzt. Einzige Konstante ist der von Flaka Haliti und Markus Miessen entworfene PAM Pavillon auf dem Viktualienmarkt, wo sich zwischen Brotzeitstüberl und Honighäusl vor allem im Sommer TouristInnen und Stammkundschaft mischen. Dementsprechend inszenieren Haliti und Miessen die Öffentlichkeit des Pavillons als fluides, durchlässiges Konstrukt, das auf dem Markt genauso kurzzeitig zu Gast ist, wie es ebenso Gäste beherbergt; die Säulen sind aus steingrauem Schaumgummi, der Boden simuliert eine Wasseroberfläche, die Wände sind dank Plastikplanen zur Durchsicht freigegeben.
Ähnlich wie die Belebung des nahezu leeren Pavillons durch die MarktgängerInnen leben auch die Veranstaltungen des Programms erst durch ihr Publikum. Michaela Melián lässt Gäste des Amerikahauseses im Rahmen einer 24-stündigen Performance zu DJs des Schallplattenarchivs werden, das nach Kriegsende von den USA zur ideologischen Erziehung aufgebaut und eingesetzt wurde – und nun zu deren Echo verkehrt wird. Olaf Nicolai gibt im Luxushotel Bayrischer Hof einen Cocktailempfang zum Black-Swan-Phänomen – einem unvorhersehbaren, konsequenzenreichen Ereignis in der Wirtschaft. Ebenso halten Julieta Aranda und Mareike Dittmer in der Bayrischen Volkssternwarte einen futurologischen Kongress ab, in dem die zu vermeidende Kolonisierung der Zukunft zu Musik von Thomas Meinecke besprochen wird. Unterirdisch und mehr am realpolitischen Geschehen orientiert bedeckt Dan Perjovschi die Glasfassaden des Kunstraums MaximiliansForum, eine ehemalige U-Bahn-Passage, mit seinen humoristischen Graffiti. In Live-Painting-Events reagiert Perjovschi spontan auf Themen, die ihm vom Publikum vorgeschlagen werden und mit „no end for high end“ oder „Mayday Mayday“ unterhalb der Luxusgeschäfte der Maximilianstraße lesbar werden. Die Performances von PAM bestechen so durch die Resonanzräume, die sie schaffen und neue Tonlagen hervorbringen. Besonders spektakulär sind die Performances in den beiden großen Sportstadien Münchens. Im Olympiastadion reinszeniert Massimo Furlan das Länderspiel DDR gegen BRD von 1974 zum Festivalauftakt, Alexandra Pirici und Jonas Lund lassen in N Football die Jugendteams des FC Bayerns in dessen Heimspielstätte, der Allianz Arena, hinter veränderten Vorzeichen gegeneinander antreten. Das Motto Game Changers kommt hier wohl am beispielhaftesten zur Geltung: Das Spiel, das zunächst den Regeln des Fußballs folgt, wird mit einem Computersystem gleichgeschaltet, das live ins Geschehen eingreift und nach anderen Regeln funktioniert. So wird das Spiel etwa – via Großbildleinwand – unterbrochen, um über die Rolle der Medienübertragung zu reflektieren; später wird ein Torschütze von der gegnerischen Mannschaft wegen erhöhter Investitionen gekauft, die Trennung nach Geschlecht wurde aufgehoben. So sind das Offenlegen und direkte Einwirken von Beziehungen – zum Finanzmarkt, zu den Medien, zur Politik – Teil des Spiels. Die Performance umfasst damit nicht nur die dramatische Handlung vor Ort, sondern die globale Performance der Wirtschaft.
PAM gelingt es auf diese Weise, Performance vom Image des Flüchtigen und Inszenierten zu befreien und stattdessen innerhalb historischer, politischer und medialer Prozesse zu situieren. München als urbane Fallstudie zu nutzen scheint hier besonders fruchtbar, regieren hier doch Kapital und Tradition über die Herausforderungen des sozialen Wandels. Dass das Programm teils recht hintergründig und nur punktuell sichtbar wird, macht seine Gesamtwirkung oft schwer greifbar – wird aber seiner Intention gerecht, Öffentlichkeit als Moment jenseits allgemeiner Zugänglichkeit zu verstehen.