Heft 2/2019 - Artscribe


Gerard Byrne, Heidrun Holzfein, Klara Lidén

1. Februar 2019 bis 31. März 2019
Secession / Wien

Text: Milena Dimitrova


Wien. Die Formation tradierter Bildsprachen, mit denen sich eine Gesellschaft selbst repräsentiert, sowie Konditionen von Sichtbarkeit werden in Gerard Byrnes Arbeiten untersucht. Ein zentrales Narrativ liberalen Denkens ist jenes von einem stetigen, linearen gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt. Das narrative Kino und das Theater folgen analog dazu einer linear fortschreitenden Handlung. Auf den ersten Blick folgt Byrnes Ausstellung in der Secession selbst diesem linearen Narrativ. Die vier gezeigten Arbeiten zeichnen eine Bewegung nach von der Gegenwart über die 1970er- und 1980er-Jahre (der Zeitpunkt der „digitalen Revolution“, an dem analoge Medien begannen, an Bedeutung zu verlieren) hin zum Ende des 19. Jahrhunderts (der Zeitpunkt der „Zweiten industriellen Revolution“).
Die Arbeit A Visibility Matrix (2018), gemeinsam mit dem Künstler Sven Anderson realisiert, dreht sich um die Mechanismen des Selektierens und Sichtbarwerdens von Inhalten, die die Öffentlichkeit erreichen. Auf den in Gruppen angeordneten Bildschirmen laufen Videos ab, die auf Einladung beigesteuert wurden. Die Sequenzen, in denen sie abgespielt werden, werden mit gehackten und adaptierten Mediaplayern festgelegt, deren Technologie für Verkaufsräume entwickelt wurde. Auf kommerzielle Nutzung ausgerichtete Technologie zu verwenden, ist ein Teil von Byrnes Visualisierung davon, wie unsere gegenwärtige Realität konstruiert ist. Auch sind es die sehr präsent belassenen Kabel, die die Monitore mit dem Stromnetz und den Mediaplayern verbinden und in einer vertikalen hierarchischen Geste von oben in den Ausstellungsraum herabkommen. Gebrochen wird diese Geste jedoch durch die Form der gezeigten Videos: etwa experimentelle Filme, ein brennender Molotowcocktail – ein beinahe bewegungsloses Bild, sich wiederholende Abläufe einer Fabrikssituation. Die Momente in der Geschichte, an denen neue Medien alte ablösen, sind mit der Utopie und der Chance für neue Bild- und Ausdruckssprachen verbunden. Das Expanded Cinema der 1960/70er-Jahre etwa war an einem solchen Moment lokalisiert. Byrne interessiert sich dafür, solche Momente anachronistisch in der Gegenwart zusammenlaufen zu lassen.
Die Arbeiten Beasts (2018) und Jielemeguvvie guvvie sjisjnjeli – Film Inside an Image (2016) zeigen die Genese und Kontinuität tradierter Bildsprachen auf. Byrne hat das Diorama des Biologiska Museet in Stockholm filmisch aufgenommen – auch das Medium Ausstellung spielt eine Rolle in der Formation von Bildsprache. Beasts hatte der Künstler mit der Idee begonnen, Bilder von Bildern einzufangen, die seit der Entstehung des Dioramas 1983 dort formiert wurden. Die Arbeit entstand zu einem Zeitpunkt, an dem das Diorama obsolet geworden zu sein schien – das Museum wurde 2018 geschlossen – und mit einem veralteten Medium – einem analogen Kodakfilm. Werden Medien erst mal obsolet, können ihre Bildsprachen, aus ihrem jeweiligen geschichtlichen Kontext herausgerissen, als konstruiert erkannt werden.
Die Videoarbeit In our time (2017) ist von, zuerst unauffälligen, Brüchen in gewohnten Darstellungen gekennzeichnet. Publikumserwartungen an mediale Formate wie Kino, Fernsehen, Radio oder Theater wurden durch ebendiese Formate geprägt. Dadurch erscheinen ihre Inhalte und formalen Charakteristika als naturalisiert. In our time inszeniert eine Radiosendung. In den Raum, in dem die Arbeit gezeigt wird, tritt man von „Backstage“ ein und bekommt als BetrachterIn einen Platz auf einer „Bühne“ zugewiesen. Es steht ein Klavier im Betrachterraum, man könnte den beiden Tonspuren des Videos also eine weitere hinzufügen. Die Zeitansage des Moderators stimmt in jeder Wiederholung des Videos mit der aktuellen Zeit der BetrachterInnen überein. In den Tagesnachrichten spricht er von einem Treffen zwischen Brezhnev und Reagan – ein Ereignis, das in die Jahre vor 1982 fällt. Dann kündigt er das Lied an, mit dem Annie Lennox ihren Durchbruch schaffte – 1983 oder später. Das Lied, das man darauf tatsächlich hört, ist nicht von ihr. Dieses Vorgehen wurde in Texten zu Byrnes Arbeiten mit dem Brecht‘schen Verfremdungseffekt verglichen, Interpretationen sprechen auch von einer Übersetzung der Collagetechnik auf das filmische Medium. Es wird eine Gleichzeitigkeit erreicht, die lineare Erzählstrukturen aufbricht. Die Differenz-Maschine, eine der prominenten Alternativgeschichten, auch von Technik und Medien, bietet sich als weiterer Vergleich an.

Diese lineare zeitliche Bewegung und das Fortschrittsdenken aufzubrechen, ist im weitesten Sinne auch eine Frage nach den Möglichkeiten, vielfältige Kultur zu denken oder auch aktiv zu erschaffen, die nicht in tradierten Formen und Narrativen verhaftet ist.
Der Titel von Heidrun Holzfeinds gleichzeitig in der Secession laufender Ausstellung the time is now. verortet dieses Unterfangen in der Gegenwart. In modernen anarchistischen Diskursen wird das Verhältnis zur Gegenwartskultur als eine Notwendigkeit verstanden, selbst und in der Gegenwart eine Kultur zu schaffen und zu leben. Holzfeind leistet in ihrer Dokumentation über das schamanistische und anarchistische Improvisationsduo IRO eine ästhetische Übersetzung sowie Sichtbarmachung von deren bereits ästhetisierter Lebensweise.
Auch Klara Lidéns Secessionsausstellung Auf jeden Fall hat Anklänge einer DIY-Kultur, die sich aus den Objekten, Produkten, Abfällen und Überschüssen der Konsumgesellschaft speist, indem sie deren Gebrauch (künstlerisch, kreativ, ästhetisch) umfunktioniert. Dorthin führt jedoch erst die Wahrnehmung oder Erkenntnis darüber, dass ihre Produktion und Gebrauch bestimmten tradierten Logiken folgt, die obsolet werden können. Um eine solche Wahrnehmung geht es auch bei Gerard Byrne.