Heft 2/2019 - Artscribe


Queer Stories

1. Dezember 2018 bis 16. März 2019
tranzit.sk / Bratislava

Text: Bettina Brunner


Bratislava. „We’re here, we’re queer, get used to it!“ Mit diesem Zitat, das die US-amerikanischen AktivistInnen von Queer Nation in den frühen 1990er-Jahren zu ihrem Protestslogan gemacht hatten, begann Christiane Erharter den Pressetext der von ihr kuratierten Gruppenausstellung Queer Stories im tranzit.sk in Bratislava. War die Ausstellung, die fast ausschließlich Arbeiten der letzten drei Jahre zeigte, zweifellos daraufhin ausgerichtet, queere Identitäten im aktuellen Kontext in den Blick zu nehmen, so ging es zugleich auch darum, diese in Relation zu ebenjenem historischen Moment in den 1990er-Jahren zu setzen, als der Begriff des Queeren eine affirmative Aneignung erfahren hatte. Exemplarisch für den historischen Rückgriff stand die Videoarbeit Queen’s Finger (1998) der Künstlerin Anna Dauciková ein, die 1993 als Mitbegründerin der Zeitschrift Aspekt zentrale Impulse für einen queeren Genderdiskurs in der Slowakei und Tschechien gesetzt hatte. Der Verweis auf die 1990er-Jahre verortete Queer Stories im Umfeld einer vermehrten Auseinandersetzung mit künstlerischen Praktiken ebenjenes Jahrzehnts, die in den letzten Jahren in Museumsausstellungen von New York bis Wien und Tallinn ins Zentrum des kuratorischen Interesses gerückt waren.
Ging es bei den groß angelegten Überblicksschauen vor allem darum, Arbeiten der 1990er-Jahre vor dem Hintergrund eines etablierten kunsthistorischen Kanons zu verhandeln – im Rahmen dessen Fragen queerer Identität in künstlerischen Praktiken vor allem im Kontext des Aids-Aktivismus positioniert wurden –, so wählte Erharter mit Queer Stories einen völlig anderen Weg. Die Auswahl der Arbeiten stellte den Versuch dar, den Spuren jener historischen Anfänge eines queeren Selbstverständnisses in aktuellen Kunstpraktiken nachzugehen, indem Geschlechteridentitäten als Verhältnis von individueller und kollektiver Erfahrung in den Blick genommen wurden: vom lustvoll Erotischen in Robert Gabris’ filigranen Zeichnungen Cyberlove (2018) über die Kommunikation auf Dating-Apps bis hin zum Zelebrieren der Solidarität einer queeren Gemeinschaft, die von der heteronormativen Gesellschaft ausgegrenzt wurde, in der Videoarbeit The State of the Art_a performative essay (2015) von Cabello/Carceller.
Im Kontext der Ausstellung stachen Ana Hoffners Performance Non-aligned relatives zur Eröffnung sowie ihre Installation The Bacha Posh Project (2018) hervor. Jene Arbeiten sprengten den zeitlichen Referenzrahmen von Queer Stories, indem sie eine differente Form des historischen Denkens vorschlugen. Das Verständnis von Queerness erschien darin nicht auf einen konkreten Moment der jüngsten Vergangenheit bezogen, sondern – wie es im Rahmen von Hoffners Performance hieß – „as a particular way to write history“. Wie Hoffner eindrucksvoll deutlich machte, wäre jene alternative Genealogie Resultat einer Verschränkung fiktiver und realer Figuren der Geschichte – der „non-aligned relatives“ –, die die Künstlerin immer nur punktuell und im Kontext verschiedenster medialer Vermittlungsprozesse greifbar werden ließ.
Hoffners Performance, bei der die Künstlerin durch ihre mehrteilige Installation The Bacha Posh Project führte und dabei durchaus gewollt Andrea Frasers Figur des Museumsguides aus den späten 1980er-Jahren anklingen ließ, ging von den Fotoarbeiten des Queer Family Album (seit 2014) aus. Die Künstlerin verknüpfte darin eine queere Kulturgeschichte der Moderne mit der eigenen exjugoslawischen Familiengeschichte und nahm zugleich Bezug auf die afghanische Tradition des „Bacha Posh“, bei der Mädchen als Jungen aufgezogen werden. Hoffners Queer Family Album, das aus einer Reihe von zu Gruppen zusammengefassten Porträtfotos bestand, griff dabei die Ästhetik kulturhistorischer Ausstellungen auf – ähnlich Zoe Leonhards Fotoserie The Fae Richards Photo Archive (1993–96), die die Lebensgeschichte der fiktiven afroamerikanischen Schauspielerin Fae Richards nachzeichnete.
In Hoffners Performance wurden ihre Stimme, Mimik und Gesten – von der emotionalen Überzeichnung autobiografischer Reminiszenzen bis hin zur neutralen Präsentation scheinbarer Fakten – zur Projektionsfläche disparater Referenzfiguren. Die Künstlerin formulierte dabei ein Narrativ, das von der eigenen Großmutter und ihrer als Mann lebenden Schwester zur fiktiven Figur des afghanischen Avantgardekünstlers Aziza Mehran Ahmad führte. War dieser in Hoffners Story in Kontakt mit der französischen Surrealistin Claude Cahun, so wurde deren Crossdressing von Ahmad als westliche Form des „Bacha Posh“ interpretiert. Der Künstlerin gelang es dadurch, den Bogen zur Gegenwart und der medialen Ausschlachtung nicht westlicher Kulturpraktiken zu spannen. Dies kulminierte in Hoffners Reenactment eines amerikanischen Fernsehinterviews mit der Journalistin Jenny Norberg von 2015, wo Letztere über ihre erste, zufällige Begegnung mit der Praxis des „Bacha Posh“ sprach.
Angesiedelt zwischen Sprache und Bild reichten die Objekte in Hoffners Performance von gedruckten Textpassagen, die die Künstlerin dem Publikum stumm entgegenhielt, bis hin zu dreidimensionalen Sprachenspielen. Tierfedern lagen unter mit Schreibfedern behängten Zweigen. Läutglocken befanden sich unter einer Reihe aus Glasglocken. Beendete Hoffner ihre Performance, indem sie letztere Objekte mit einer Art dadaistischer Lautpoesie kommentierte, so wurde Queerness als Form des historischen Denkens zu einem offenen Prozess, dessen Weiterführung durchaus über die Arbeit der Künstlerin hinaus – deren kulturellen und historischen, visuellen und sprachlichen Referenzrahmen – imaginiert werden konnte.