Heft 2/2019 - Artscribe


The Culture Collider. Post-Exotic Art

10. November 2018 bis 27. Januar 2019
Manggha Museum für japanische Kunst und Technik / Krakau

Text: Piotr Policht


Krakau. Sanft schmiegt sich das Manggha Museum ans Ufer der Vistula unweit der Innenstadt Krakaus. Das Mitte der 1990er-Jahre erbaute Haus hat zwei Gründerväter. Zum einen Feliks Jasieński, den seine Zeitgenossen Manggha nannten, einen Kunstkritiker, Sammler und zugleich der größte Fan der japanischen Kultur, den es seinerzeit zur Jahrtausendwende in Polen gab. Der zweite war der Regisseur Andrzej Wajda, der einige Stücke der riesigen Sammlung Jasieńskis bereits als Jugendlicher erstmals sah. Das war 1944 und die Ausstellung wurde von den Besatzungsbehörden der Nazis ausgerichtet.
Heute, mehr als 20 Jahre nachdem Wajda das Museum gegründet und Jasieński zu Ehren benannt hat, ist dessen Stellung in der Institutionenlandschaft Krakaus leider ohne Profil. Die Räume im welligen Betonbau von Arata Isozaki, dem Gewinner des diesjährigen Pritzker-Preises, sind meistens mit historischen Ausstellungen eher schlichter Artefakte bestückt, zum Beispiel mit Holzschnitten aus der Edo-Zeit, Theaterpuppen, Kimonos usw.
Einen der wenigen Versuche, das Museum für breitere Themen und zeitgenössische Kunst zu öffnen, unternahm nun die in Wien lebende Kuratorin Goschka Gawlik. The Culture Collider. Post-Exotic Art klingt ein wenig nach dem Wiedergänger einer unbeabsichtigt orientalisierenden Ausstellung der späten 1980er-Jahre wie etwa Primitives am MoMA oder Magiciens de la Terre am Centre Pompidou. Doch nur ein einziger Blick zeigt einen großen Unterschied. Die Kuratorin hielt sich hier nicht lange mit der sogenannten Stammeskunst auf, sondern bezeichnet mit „postexotisch“ ausschließlich KünstlerInnen und Kunst mitten aus der globalen Kunstwelt. Sie sind das postkoloniale eine Prozent, die Auserwählten aus Ost und West, Nord und Süd.
So überraschend sie in einer Ausstellung im „ehemaligen Osten“ auch anmuten mag, ist allein die Künstlerliste mit Stars wie Danh Vō, Sung Tieu, Georg Baselitz oder Paulina Ołowska schon ein Statement. Mit der Gründungsgeschichte des Museums im Hinterkopf wirkt die Ausstellung wie der Salon eines „postexotischen“ Kunstsammlers. Die Wände sind bis unter die Decke gestrichen, blau im einen, schwarz im anderen Stockwerk, was an den konventionellen Horizont japanischer Holzschnitte erinnert. Damit hebt sich die Schau vom Außen ab. Wie der große Teilchenbeschleuniger im CERN bei Genf, auf den Gawlik im Titel ja anspielt, handelt es sich hier gleichsam um ein abgesperrtes Testgelände. Und die einzelnen Werke sind wie ästhetische Proben, die die Kuratorin auf ihrer Suche nach postexotischer Kunst gefunden hat.
In manchen Fällen mag das Ergebnis dieser Suche politisch heikel sein. Dabei denke ich an Jakub Julian Ziółkowskis Arbeiten, die nicht gerade „post-“, sondern sogar sehr „exotisch“ oder besser exotisierend sind. Natürlich kann man die brennenden Dollarscheine auf seinem Gemälde als Konsumkritik werten. Vor dem Hintergrund der etablierten Stellung des Künstlers bedeutet die Geste aber auch nicht viel mehr, als wenn ein Rapper in seinen Videos Geld verbrennt – nur um damit seinen Reichtum zur Schau zu stellen. Das gilt umso mehr, als das Bild mit den „brennenden“ Dollars nur allzu bald um noch mehr Dollars verkauft werden wird. Ziółkowski setzte dem Ganzen noch die Krone auf, als er vor einiger Zeit nach Vietnam reiste, um sich wie die Frühmodernisten im 19. Jahrhundert spirituell zu reinigen.
Im „Beschleuniger“ der Ausstellung befindet sich aber auch ein Werk, das diesem spirituellen Klischee Marke Gauguin entgegenhält. Danh Vō ließ für Last Letter of Saint Theophane Venard to his father before he was decapitate seinen eigenen Vater Phung Vō Wort für Wort den Abschiedsbrief eines französischen Missionars vor seiner Enthauptung kalligrafieren. Dass dieser kein Französisch beherrscht und den Brief bis zu seinem Tod wieder und wieder kopieren soll, reiht die Arbeit ins Gesamtwerk Vōs ein, das der Dekonstruktion historischer und geopolitischer Kräfte gewidmet ist, die seine eigene Identität prägten. Jedenfalls ist es die am explizitesten politische der ausgestellten Arbeiten.
Ansonsten bleibt im Culture Collider die Politik zumeist ästhetisch. Es ist nicht uninteressant, die Ausstellung mit der etwa gleichzeitig von Maurizio Cattelan im Yuz Museum in Shanghai kuratierten zu vergleichen. Dann würde man nämlich sehen, dass sich Cattelan zwar auch auf die „postexotische“ Realität bezieht, allerdings einzig durch die Methode der Aneignung. Schon der Titel seiner Ausstellung ist ein Zitat: The Artist Is Present. Mit Arbeiten von Richard Prince neben unzähligen Van-Gogh-Fälschungen aus dem chinesischen Dafen und seiner eigenen Sixtinischen Kapelle im Miniaturformat zeigt Cattelan die Möglichkeiten des Kopierens und kontrastiert zugleich den westlichen Begriff des Originals mit der chinesischen Kunsttradition. In dieser bedeutet kopieren nämlich verbessern.
Im Gegensatz dazu baut Goschka Gawlik in Krakau auf die Aura des Einzelobjekts. Hier wird die Idee des Originals nicht performativ durch Vervielfältigung befragt, sondern im Kunstwerk selbst – wie etwa bei Sung Tieu mit ihren gefälschten Parfums und Designerklamotten aus billigen, aber robusten Nylontaschen aus China, die überall auf der Welt andere Spitznamen haben. Diese Alchemie von in ihrem Wert manipulierten Produkten prallt indes auf die Bastardisierung scheinbar inkommensurabler Bildkonventionen. So nehmen die üppigen Kopfüberbilder von Baselitz Anleihe an der Beschaulichkeit Hokusais und Yan Pei-Ming verwandelt mit lockeren Pinselstrichen und pastosen Farben Motive, die an traditionelle chinesische Malerei erinnern, in fast abstrakte monochrome Kompositionen. Imran Qureshi wiederum kreuzt die orientalische Miniaturmalerei mit der wilden Gestik des abstrakten Expressionismus.
Die Ausstellung zeigt hingegen aber auch subtilere Gegensätze. Paulina Ołowska malte eine Serie von Porträts japanischer Frauen in verschiedenen Arbeitsuniformen von Fotografien ab. Die meisten lächeln in die Kamera, nehmen dabei aber eine steif „professionelle“ Haltung ein, weswegen die Gemälde ein bisschen wie eine kirre Mischung aus Soz-Realismus und Modekatalog wirken.
Und das führt zur wichtigsten Frage, die Gawliks Ausstellung aufwirft. Wenn die Kunst im Kalten Krieg für den Kulturkampf Ost gegen West dienstbar gemacht wurde, der Soz-Realismus direkt die Politik der UdSSR ausdrückte und die abstrakte Kunst des Westens nur scheinbar unpolitisch auf die Freiheit des Individuums verwies – was ist die Rolle der Kunst heute? Welchen Platz hat die Kunst vor dem Hintergrund, dass, einer Plage gleich, immer mehr nationalistische PolitikerInnen an die Macht kommen und Wirtschaftskriege zwischen China und den Vereinigten Staaten ausbrechen? Kann diese postexotische Kulturkollision zur politischen Entspannung beitragen?
Eines immerhin wird besonders in einem Museum wie dem Manggha deutlich. Wie die Anekdote des jungen Wajda, der sein Leben riskierte, um die japanische Ausstellung im von den Nazis besetzten Krakau zu sehen, zeigt, kann eine Sammlung, die scheinbar nur aus Klimbim besteht, eine überraschende Wirkung entfalten.

 

Übersetzt von Thomas Raab