Heft 4/2019 - Artscribe


Soil is an Inscribed Body. On Sovereignty and Agropoetics

31. August 2019 bis 6. Oktober 2019
Savvy Contemporary / Berlin

Text: Bert Rebhandl


Berlin. In einer trüben Brühe schwimmen tote Fliegen. Kein appetitlicher Anblick, würde man meinen, doch dann taucht ein Finger in die Flüssigkeit, holt eines der schon fast zersetzten Insekten hervor, und hebt es in das Licht eines genaueren Blicks. Das Video A Practice of Light and Death von Zayaan Khan nimmt in der Ausstellung Soil is an Inscribed Body die Funktion eines Schlusskapitels und einer Zusammenfassung ein. Die Stimme der Filmemacherin macht einen großen Kontext auf: in der Flüssigkeit laufen Fermentierungsprozesse ab, die (wieder) genauer (und positiv) zu verstehen das Anliegen der südafrikanischen Aktivistin ist. Zwar ist heute vielfach geläufig, dass probiotische Kulturen den Menschen zuträglich sein können, und selbst die Lebensmittelindustrie ist längst auf diesen Trend eingegangen. Aber dass es so etwas wie eine geopolitische, postkoloniale Probiotik geben könnte, das ist ein kühner Gedanke, den das Video dann aber sehr konkret formuliert. Gegenüber der agroindustriellen Landwirtschaft haben die Prozesse, auf die Zayaan Khan rekurriert, den Vorzug einer geradezu evolutionären langen Dauer. Sie waren immer schon da, und immer im Gang, es bedürfte nur einer Symbiose mit ihnen, statt sie letztendlich chemisch zu bekämpfen, wie es heute zumeist üblich ist.
Fast alle Arbeiten in Soil is an Inscribed Body. On Sovereignty and Agropoetics in den Räumen von Savvy Contemporary agieren an der Grenze zwischen Dokumentation und Argumentation, zwischen Historiographie und Aktivismus. Die beiden Kuratorinnen Elena Agudio und Marleen Boschen haben sich für den Titel bei einer Formulierung von Filipa César inspirieren lassen: „Soil is the inscribed body and erosion is the scar left by historical violence“ ist ein Zitat aus einem Text über die „Agronomy of Liberation“, wie César in Third Text 2018 einen wesentlichen Aspekt der revolutionären Praxis von Amilcar Cabral beschrieben hat. Der 1973 ermordete Politiker und Theoretiker der Befreiung arbeitete eine Weile auch für die portugiesischen Kolonialbehörden, und erkannte in der Landwirtschaft ein Feld, auf dem sich die unabhängigen afrikanischen Staaten konkret zu bewähren hatten, und auf dem die Kämpfe gegen hegemoniale Wirtschaftsordnungen geführt werden mussten.
Die Eröffnung der Ausstellung fiel in eine Zeit, in der durch die Brände im brasilianischen Regenwald einmal mehr die Aufmerksamkeit auf die globale Ökologie gerichtet war. Vor diesem Hintergrund und angesichts fortdauernder Debatten über Landgrabbing und schwindende Biodiversität sucht die Ausstellung im Savvy Contemporary doch deutlich nach einer dezidiert politischen Perspektive. Ein Beispiel wäre die Arbeit Extremadura Looted von dem spanischen Kollektiv Inland. Ausgangspunkt ist eine Auseinandersetzung in den 1970er-Jahren, als die autonome Region Extremadura als Standort für ein Kraftwerk dienen sollte. Der Widerstand gegen diese Pläne der zentralistischen (franquistisch-faschistischen) Behörden wird in der Rückschau zu einem Kristallisationspunkt für linke ökologische Praktiken und Formen von Selbstorganisation.
Die Arbeit ist auch insofern typisch für die Ausstellung Soil is an Inscribed Body, als sie auf eine spezifische Multimedialität setzt (Plakate, Film, ...), in deren Zentrum nicht ganz zufällig ein Buch steht. Nach einem Durchgang durch alle Arbeiten hat man auch eine spannende Literaturliste beisammen, und tatsächlich wird hier auch immer wieder auf „weitere Lektüren“ abgehoben. Denn die Recherchezusammehänge sind komplex, selbst für Arbeiten, die Stadien ihrer Beschäftigung ausdrücklich materialiter kenntlich machen wollen: In Soil Affinities von Uriel Orlow stehen als Dingsymbol Holzbehälter im Mittelpunkt, die vor 120 Jahren dazu dienten, Pflanzen aus Überseeterritorien nach Frankreich zu bringen, um sie dort zu Testzwecken zu kultivieren. Orlow rekonstruiert letztendlich eine Vorform einer heutigen Feinschmecker-Landwirtschaft, bei der wieder alles in Frankreich (mit seinen entsprechenden Lieferlogistiken) zusammenläuft.
Ein vergleichbarer, wenn auch in erster Linie intellektueller Austausch manifestiert sich in einer Hütte aus Astwerk von dem kamerunischen Künstler Hervé Yamguen: A Cabin of Stories (inspiriert durch eine Lektüre des Buches Hominescence von dem in diesem Jahr verstorbenen französischen Wissenschaftshistoriker und Philosophen Michel Serres) lässt sich als mise-en-abyme der Ausstellung sehen, in der sie enthalten ist. Auch Savvy Contemporary zeigt sich als Cabin of Stories (oder als Souterrainschlauch mit vielen Geschichten). Die Ausstellung ist potentiell enorm rezeptionsextensiv, denn sie offeriert mit ihren vielen Videos und Dokumenten eine beträchtliche Sichtungsaufgabe.
Konkret geht es aber vielfach ohnehin vor allem um Agendapolitik: Der Begriff „soil“ (Erde) lässt sich tatsächlich bestens für eine anschlussfähige Graswurzelpolitik besetzen.
Der Film Cooperative von Raphael Grisey beschäftigt sich mit franko-afrikanischen Saatbemühungen und findet in den Termiten eine (der Fruchtfliege von Zayaan Khan vergleichbare) Vielzahl von Agenten, die dabei helfen könnten, den Erosionsprozessen in der Folge technokratischer und kolonialer Landwirtschaft entgegenzuwirken. Die Termiten haben nebenbei auch großes metaphorisches Potential für revolutionäre Prozesse, die sich am Modell von Wachstumsvorgängen orientieren, und damit das klassische Paradigma der (gewaltsamen) systemischen Disruption unterlaufen. Auf dieser Ebene dürfte die Ausstellung Soil is an Inscribed Body ihre größte Relevanz haben.