Heft 4/2019 - Artscribe


Omer Fast – Der Oylem iz a Goylem

27. Juli 2019 bis 6. Oktober 2019
Salzburger Kunstverein / Salzburg

Text: Kathrin Heinrich


Salzburg. Zwei Videoarbeiten stehen im Mittelpunkt von Omer Fasts Einzelausstellung Der Oylem iz a Goylem im Salzburger Kunstverein, im übertragenen wie im wörtlich-räumlichen Sinn: eingebettet in eine Krankenhausarchitektur, die die BetrachterInnen in einem tristen Warteraum empfängt und durch einen langen Gang zu Behandlungs- und Laborräumen führt.
Ein dritter Kurzfilm, August (2016), geht in einem Kabinett abseits des zentralen Ausstellungsraums, am Seitengang des Künstlerhauses, nahezu verloren. Beruhend auf der historischen Figur des Fotografen August Sanders stellt der 3D-Film jedoch den Kontakt zwischen Omer Fasts neuen Arbeiten und seinem bisherigen Schaffen her, das zumeist im Spannungsfeld von Fakt und Fiktion verortet wurde.
In Salzburg neigt sich die Waage jedoch unmissverständlich gen Fiktion. Sowohl der titelgebende Film Der Oylem iz a Goylem (2019) als auch The Invisible Hand (2018) beruhen auf demselben Stoff eines mittelalterlichen jüdischen Märchens. Da wie dort wird ein Pakt mit einem Geist oder Dämon geschlossen, der materiellen Wohlstand spendet; jedoch – einmal gekränkt – der nächsten Generation Unheil bringt. Durch den Tod der Kinder oder einen Fluch, der von nun an auf der Familie lastet.
Angesichts früherer Werke des israelischen Künstlers überrascht der Fokus auf das Märchenhafte: Die auf der 52. Venedig Biennale gezeigte Videoinstallation 5000 Feet is the Best (2011) thematisierte den US-Einsatz von Kampfdrohnen, während Continuity (2012) einen deutschen Soldaten begleitete, der aus Afghanistan heimkehrt und dessen Alltag ins Mysteriöse kippt.
Das Unheimliche, das in Continuity anklang, ist zentraler Topos in Der Oylem iz a Goylem, erweitert um das Mythische: Den Alpen, grauen Kolossen, die schneebedeckt und eisig die sublime Naturgewalt verkörpern, stellt Omer Fast im titelgebenden Kurzfilm einen weiteren klischeebehafteten Mythos gegenüber: die Figur des ewigen Juden, der Jesus am Weg zur Kreuzigung verspottete und nun, von ihm verflucht, unsterblich durch die Welt wandern muss. Traditionell gekleidet, mit Hut und Schläfenlocken, taucht er in einem Sessellift, neben einer funktionsgewandeten Skitouristin auf. Ein Bild, das in seiner Absurdität den Ausgangspunkt für den Film bildete, so der Künstler. Ungefragt beginnt der Jude, das Märchen vom Goldschmied und der Dämonin zu erzählen, die Touristin will es nicht hören, es entspinnt sich eine Auseinandersetzung. Eine Szene, die Machtverhältnisse im Kleinen darstellt, in der sich die Rollen aber auf einmal verkehren. So erzählt schließlich die namenlose Protagonistin das Märchen zu Ende, als sie – zurück im warmen Licht des Hotelzimmers – die rätselhafte Begegnung über der Skipiste nicht loslässt.
Obwohl Der Oylem iz a Goylem große Themen in cineastische Bildgewalt hüllt, gelingt es Fast, nicht gänzlich in Pathos zu verfallen. Kleine Momente der Selbstironie durchbrechen die Erzählung und stellen ihre Künstlichkeit aus: durch Plastikprothesen, derer sich Fast bedient, um Probleme stereotyper Darstellung zu thematisieren. Die „jüdische Hakennase“ des Goldschmieds karikiert er durch ein Kunststoff-Fake ebenso wie den Busen der Dämonin, der – eine Raffael-Madonna überzeichnend – anatomisch absurd, knapp unter dem Kinn sitzt.
Dass Fast mit Der Oylem iz a Goylem gewissermaßen eine europäische Übersetzung von The Invisible Hand schaffen würde, war Ausgangspunkt der Schau im Salzburger Kunstverein. Vom chinesischen Guangdong Times Museum kommissioniert wurde die Ausstellung des Virtual-Reality-Films dort von den lokalen Behörden untersagt. In Salzburg konnte Fast nun eigens eine Ausstellung um das oftmals sperrige, immersive Format konzipieren.
Hier fügt sich die futuristische weiße Virtual-Reality-Brille nahtlos in den kahlen Behandlungsraum mit Liege, Tupfern und Gummihandschuhen ein. Die BetrachterInnen nehmen auf einem weißen Rollhocker Platz und tauchen, mit Brille und Kopfhörern ausgestattet, in The Invisible Hand ein. Durch die Kreiselbewegung des Hockers bewegt man sich mühelos durch die 360°-Bildwelt, lediglich die Untertitel des in chinesischer Sprache gefilmten Videos sind an einer Stelle fixiert und lenken so das Auge. Indem Gerätschaften und Betrachtererfahrung ineinandergreifen, wird das VR-Medium zum Betrachtungsprinzip, anstatt lediglich als Technogimmick im Vordergrund zu stehen. Es ist dieses Eintauchen, das den Zusammenhang zur Krankenhauskulisse herstellt. Man fühlt sich unbeobachtet, obwohl der Ausstellungsraum jederzeit unbemerkt betreten werden kann. Wie unter Narkose sind die BetrachterInnen hilflos gegenüber der Umwelt.
Wo Omer Fast in früheren Ausstellungen ortsspezifisch Lokalitäten nachbaute oder disparate Warteräume aneinanderreihte, hat er im Salzburger Kunstverein ein durchgängiges Environment geschaffen, das im cineastischen Kontext selbst zur Kulisse wird. Besonders beliebt ist die Verbindung von Spital und Horror dabei im Genre des asiatischen Splatterfilms mit Titeln wie Ghost Hospital, Infection oder Haunted Asylum. Das Krankhaus wird in seiner Sterilität zur weißen Leinwand, auf der Blutspritzer besonders eindrücklich leuchten.
In der von Omer Fast kreierten Welt bleibt der Schock jedoch aus, die Videoarbeiten sind gänzlich unblutig – und gerade deshalb umso unheimlicher. Statt mit abjektem Ekel und Schockeffekten spielt die Ausstellung Der Oylem iz a Goylem subtil mit menschlichen Urängsten: dass sich ein Heilsversprechen ins Böse verkehren könnte und dass es womöglich, wie der Titel übersetzt bedeutet, den Mitmenschen ganz egal sein könnte.