Heft 1/2020 - Artscribe


Curated_by 2019 – Florian Pumhösl

12. September 2019 bis 25. Oktober 2019
Galerie Meyer Kainer / Wien

Text: Kristian Vistrup Madsen


Wien. Die Räume der Galerie Meyer Kainer eignen sich gut für Narrative, und Florian Pumhösl weiß das genau. Also legte er seine Ausstellung Curated_by wie eine musikalische Partitur an. Im straßenseitigen Entree der Galerie wird das Leitmotiv gesetzt und unsere Neugier geweckt. Im großen Mittelraum folgt hernach eine Abfolge von drei durch einen Refrain unterbrochenen Strophen, die eine regelrechte Dramatik entwickeln. Der letzte erhöhte Raum schließlich ist nicht groß genug für einen Schlusssatz, wohl aber für so etwas wie eine Auflösung, einen letzten kleinen Schnörkel. Durch dieses engmaschige Narrativ macht der Künstler seine Zusammenstellung bei aller minimalistischen Abstraktion zu etwas beinahe Figurativem. Aber man muss sehr genau hinhören, denn hier passiert so einiges.
Das Leitmotiv im Entree wird von drei künstlerischen Positionen gespielt – hier sieht man zwei Milchpäckchen aus Harz von Henrik Olesen o.T. (2019), eine Zeichnung von Ella Bergmann-Michel, o.T. (schwarzes Licht) (B173) aus 1923, und einen dünnen schwarzen Granitstab von Pumhösl selbst, Titel Formed Speech 2019 – Negative 5 (2019). Diese Kombination allein ist, kurz gesagt, aufregend. Olesens rotzige Milchpäckchen sind namenlose Gebrauchsgegenstände, Packungen ohne ihre konventionelle Verpackung. Bergmann-Michel dagegen stülpt mit ihrer geometrischen Abstraktion das Innere der Technologie gewissermaßen nach außen. Sie verwandelt so etwas wie ein Schaltbild in eine Landschaft oder umgekehrt die wilde Verworrenheit der Natur in ein streng abstrahiertes Schaltbild. Pumhösls Negativform wiederum ist nicht weniger als das Postulat einer neuen Theorie des nicht indexikalischen Objekts. Weder lässt er wie Olesen die konventionelle Oberfläche weg, noch bildet er wie Bergmann-Michel etwas sonst verborgen Bleibendes ab. Stattdessen präsentiert Pumhösl ein Ding als reine Abwesenheit, als Abdruck, als Spur. Ein Inversrhythmus wird hörbar, der sich der offensichtlichen und doch verborgenen Dynamik zwischen den drei Arbeiten sperrt und zugleich öffnet.
Der Hauptraum enthält drei Strophen, die jeweils von einem Stück aus Pumhösls Serie Formed Speech abgeschlossen werden. Die erste Strophe besteht aus der Bürotür der Galerie, einem Negativraum also, der indes nicht als formalisierte Kopie, sondern in seinem gleichsam natürlichen Habitat gesetzt wurde. Clever! Die zweite Strophe kann man an dem stark untertriebenen Widerspruch zwischen den beiden formal strengen Arbeiten von Ad Reinhardt bzw. Alan Charlton hören. Reinhardt, dessen Kunst auf VorgängerInnen wie Bergmann-Michel aufbaut, beharrte auf einer abstrakten Kunst, die anders als das Leben rein, interesselos und eigenständig sein sollte. Sein Untitled (1952) ist allerdings weniger streng als vermutet. Neben Charltons feinem grauen Line Painting (1979), das in seiner formalen Strenge wesentlich harscher wirkt, ist Reinhardts graublaue Komposition im positiven Sinn poetisch. Doch Charlton wählte sein Betongrau gerade wegen dessen emotionaler Ausstrahlung, erzählt es doch vom Leben in trostlosen Industriestädten. Obwohl Charlton also dem öden Alltag direkt ins Gesicht blickt, wo sich Reinhardt von ihm abwendet, wirken beide Bilder im neuen Kontext, als atmete man würdevoll durch. So verschieden sind sie eben gar nicht.
Mit ihrer Skulptur o.T. (2016) unterbricht Anita Leisz diesen melancholischen Dialog zweier Gentlemen ganz theatralisch. Ihre dritte Strophe besteht aus einem Raumteil, einer Box, vielleicht einem Sarg, dessen aschgraue Konturierung Geheimnisse zu bergen scheint. Was ist geschehen? Aus welcher Geschichte ist diese Skulptur gefallen? Von hier aus vermögen wir jedoch auf die obstinate Reinheit Reinhardts zurückblicken und fragen: Warum scheust du denn so zurück vor dem Unreinen? Wie Olesen spielt auch Leisz hier eine Blue Note, die die Tonalität der Ausstellung bricht, schlicht weil sie es kann.
Im letzten Satz der Partitur führt uns Pumhösl zurück in Bergmann-Michels 1920er-Jahre. Hier setzt er ein Duett zwischen Wacław Szpakowski, einem Architekten, der sich privat zeitlebens mit Skizzen aus durchgehenden Linien beschäftigte, und dem Dadaisten Christian (recte Georges Herbiet), dessen Diagramme den Anschein einer pseudowissenschaftlichen (weil Dada?) „Globalästhetik“ geben, in Szene. Gemeinsam bilden die beiden Arbeiten eine Brücke zwischen den die Ausstellung prägenden Themensträngen Wissenschaft/Technik/Natur einerseits und Zwang/Abstraktion/Emotion andererseits. Szpakowski versuchte eindeutig, dem Zusammenhang von Form, Rhythmus und Kontinuität auf die Spur zu kommen, wobei ihm klar war, dass er ihn nur intuitiv in der Praxis begreifen würde können. So betrachtet haben seine sonst so maschinell perfekten Muster auch einen überraschend improvisierten und fragenden Aspekt.
Und das ist im Wesentlichen auch die Kernaussage des schwarzen Granitrefrains Pumhösls: Der abstrakte Minimalismus stellt die Frage nach den Grundlagen des Lebens. Er ist ein Versuch, den technischen Grundelementen von Raum, Zeichen und sogar ihren so untechnischen Anhängsel wie Erinnerungen und Gefühle näherzukommen. Ich jedenfalls habe Pumhösls Musik sehr genossen.

Der Text ist im Rahmen des Projekts Visiting Critics Vienna 2018 in Kooperation mit dem Verein K entstanden.

 

Übersetzt von Thomas Raab