Heft 2/2020


Come Together!

Editorial


Es erscheint gegenwärtig fast so, als hätte die Isolation der Individuen in Zeiten des neoliberalen kognitiven Kapitalismus in den sozialen Regimen, die uns die Pandemie aufzwingt, ihre bisher markanteste biopolitische Form gefunden: Vereinzelung, Misstrauen, Konkurrenz, Angst und Präkarisierung bestimmen den sozialen Raum. Persönliche und staatliche Überwachung ist Alltag, nationale Antworten auf die globale Krise sind die Regel. Formen der Gouvernementalität, die auf der Kategorisierung und Kartografie des Sozialen als Gefahr gründen, Big Data und Techniken der Datenanalyse und des Datenmining werden nun als Methoden einer neuen Ökonomie des Gemeinwohls und als unabdingbar für die Gesundung der Welt dargestellt und damit normalisiert. Der politische Diskurs stilisiert das Soziale zum Dienst an „uns“ als Gemeinschaft im Sinne der kommunitaristischen „guten Gesellschaft“. Das Andere bleibt außen.
Fragen des Miteinanders bzw. von sozialer, kultureller und ethnischer Integration, wie sie seit geraumer Zeit den öffentlichen Diskurs bestimmten, werden derzeit aus dem Blickfeld gedrängt wie die Bilder der in der Quarantäne von Lagern alleingelassenen Flüchtlinge am Rande Europas aus dem öffentlichen Bewusstsein. Doch sie bleiben virulent und werden wieder gestellt werden.
Der (meist einseitige) Tenor in dieser Debatte lautete bisher dabei, dass es diesbezüglich eine Bringschuld aufseiten der neu Hinzukommenden gäbe – eine Pflicht zur Anpassung gegenüber dem mehrheitlich Vorherrschenden. Ausgegangen wird dabei meist von der anachronistischen Vorstellung, dass dieses Majoritäre und kulturell Dominante von einer gewissen Homogenität und Konsensualität geprägt ist. Was aber, wenn die Vielfalt der Lebensweisen und Identitätsausrichtungen dem prinzipiell zuwiderlaufen? Wenn in den integrativen Prozess unabdingbar eine Differenz eingeschrieben ist, die nicht einfach durch die Bedrohung durch das unsichtbare Virus zum Verschwinden gebracht werden kann? Eines erscheint evident: Das "Coming Together" wird nach dem Ende der Pandemie unter anderen Vorzeichen stehen.
Die vorliegende Ausgabe der springerin unter dem appellativen Titel Come Together! möchte diese nur jetzt nachranging erscheinenden Fragen in anderen Bereichen als den lange beschworenen gesellschaftlichen „Problemzonen“ nachgehen. Gibt es im Hinblick auf Inklusion und Miteinander im künstlerischen Feld Ansätze, die vielversprechender sind als das politisch lange gepredigte Assimilationsmodell? Können Strategien des „Commoning“, der instituierenden Schaffung von Gemeingütern, hier eine Hilfe sein? Oder sollte man sich, um eine effektive Einbeziehung oder ein wie immer geartetes „Wir“ zu generieren, eher an Avantgardepraktiken der radikalen Distanznahme und des Bruchs mit dem Gewohnten/Gewöhnlichen orientieren? Liegt der Schlüssel zum Integrativen womöglich in seinem genauen Gegenteil verborgen, der Akzeptanz des Disparaten und Disjunkten?
Ewa Majewska plädiert in ihrem Essay für eine neue, riskante und antagonistische Praxis in Abkehr von einer allein instrumentellen auf rechtliche und ökonomische Gleichstellung fokussierten Debatte um Gleichberechtigung: „Wir müssen uns in Gleichberechtigung üben, daran scheitern und besser werden“, lautet ihre Forderung. Françoise Vergès schlägt im Gespräch mit J. Emil Sennewald in dieselbe Kerbe: Ihr Aufruf für einen dekolonialen Feminismus fordert, die revolutionären Kämpfe zu entpatriarchalisieren, auch sprachlich: Allen Frauen müsse es möglich sein, sich darüber klar zu werden, mit zu verhandeln, was es bedeute, Frau zu sein und wie man das leben könne.
Ovidiu Ţichindeleanu stellt Überlegungen zu unserer „aufgeklärten Daseinsgleichgültigkeit“ an, indem er kosmische Vergleiche in Stellung bringt und von unseren fragmentierten Blickregimen auf das Reale als homogenisiert in isologischen Systemen spricht, in denen „das technisch reproduzierte Bild mit dem Sehen“ verschwimme und „die Welt zu einer Totalprojektion von oben“ gemacht wird, die sich „von der Welt, wie sie ein Mensch sonst erlebt, krass unterscheidet“.
Die gemeinsame Nutzung von Raum durch Praktiken des „Urban Commoning“, die Stavros Stavrides‘ Beitrag an drei Beispielen exemplifiziert, skizziert eine neue Form des „städtischen Gemeinschaffens“, die sich ebenfalls nicht allein auf die Aufstellung von Regeln, die die egalitäre Aufteilung von Raum sicherstellen, beschränkt, sondern auf emanzipierende Planung setzt, die „offen ist für widersprüchliche Praktiken und die räumlichen sowie ästhetischen Forderungen jener, die gleichberechtigt an seiner Gestaltung teilnehmen wollen.“ Christoph Chwatals Text vergleicht zwei künstlerische Herangehensweisen des Commoning: Jonas Staals langjährige Zusammenarbeit mit AktivistInnen, Künstlerorganisationen und sozialen Bewegungen über die Grenzen einzelner Projekte hinweg verabschiedet sich von der Logik der befristeten Kollaboration. Auch Jeanne van Heeswijk arbeitet mit einer Vielzahl kleinerer, konkreter kollaborativer und lokaler Interventionen in Nachbarschaften gleichzeitig als Künstlerin, Kuratorin und Kollaborateurin.
In Zusammensein kommt vor Dasein präsentiert Joshua Simon in Fotografien die Gemeinschaftsaktionen arabischer und jüdischer Männer und Frauen aus Palästina, die einen transnationalen und transideologischen Universalismus des Aufstands abbilden, dessen Solidarität drei Territorien verband, die es heute nicht mehr gibt, nämlich Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Palästina. Legasthenische Gedanken von Anri Sala zu Fani Zguros Arbeit Broken Threads und ein Auszug aus Nicoleta Esinencus Stück Die Abschaffung der Familie, verbreitern diese Perspektiven auf das, worin wir uns treffen und wo wir antagonistisch zusammenkommen könnten, die Come Together! vorstellt: als kleines Kompendium für ein Leben nach dem Virus, das in Widerspruch zu den homogenisierenden wie ausschließenden Diskursmaschinen, die in der öffentlichen Rhetorik der Seuchenzeit angeworfen wurden, steht.