Heft 2/2020 - Come Together!


Legasthenische Gedanken

Zu Fani Zguros Broken Threads

Anri Sala


Broken Threads (2007) von Fani Zguro konterkariert Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus einem albanischen Agentenfilm mit einer düsteren Mörderballade von Nick Cave & The Bad Seeds.
In dem albanischen Film Fijet që Priten (1973), was übersetzt „der Faden ist gerissen“ heißt, konspirieren ausländische Agenten mit einheimischen V-Männern, um die neue Gesellschaft Albaniens zu destabilisieren und ihre sozialistischen Errungenschaften zu subvertieren.
Zguro montierte alle Szenen, in denen ausländische Agenten vorkommen, zu einer Collage aus coolen Blicken, Westallüren, Pelzmänteln und dunklen Schatten, die genau das verkörpern, was damals zwar offiziell verteufelt war, privat jedoch heftig ersehnt wurde. Im Zusammenspiel mit der düsteren Stimme Nick Caves evoziert die Bildfolge Ahnungen unterdrückter Triebe und geheimer Sehnsüchte. Naturgemäß betont Caves Gesangsstil die maskuline Aura der Schurken.
Im Lied „The Curse of Millhaven“ aus dem Jahr 1996 zeichnen Nick Cave & The Bad Seeds die beklemmende Stimmung in einer fiktiven US-amerikanischen Kleinstadt nach, erzählt von der mordlustigen 15-jährigen Loretta. Der Song ist ein ferner Verwandter des amerikanischen Roots-Revivals, das sich in den 1960er- und 1970er-Jahren weltweit verbreitete und im Zuge dessen Rocksongs durch Folk-Elemente und blutrünstige Texte mit politischen Aussagen angereichert wurden. Doch die dämonische Atmosphäre in „The Curse of Millhaven“ schreit eher nach Flucht als nach Rebellion. Und sie passt komischerweise zur kommunistischen Propaganda über das entfremdete Leben und die Unzufriedenheit auf der dunklen, kapitalistischen Seite des Monds.
In loser Anlehnung an Dostojewskis Dämonen näherte sich Jean-Luc Godard in La Chinoise einem scheinbar gegenteiligen historischen Zusammenhang an. In dem Film aus dem Jahr 1967 treffen sich fünf grimmige Pariser Jugendliche, verstört von der Eskalation des amerikanischen Imperialismus und dem Konsumwahn der Gesellschaft, in einer Bürgerwohnung, um die Revolution zu planen.
Zwischen diesen fünf Revoluzzern und den imperialistischen Spionen gibt es durchaus Parallelen. Nicht nur wirken beide mit ihren schicken Klamotten (und Sonnenbrillen als Fetischobjekten) recht angeberisch, auch vereint sie eine brennende Lust auf Gewalt und Umsturz. Zugleich ähneln die tristen Szenerien von Fijet që Priten und Millhaven – „it’s small and it’s mean, it’s cold“ –, obgleich Gegenteiliges intendiert ist, einander. Und ungeachtet aller offensichtlich Unterschiede erinnert die fiese Loretta, deren Morde Cave mit betörendem Timbre aufzählt, an die feurige Véronique in La Chinoise (gespielt von Anne Wiazemsky), wie sie aus der Mao-Bibel rezitiert. Beide verströmen eine entwurzelte Stimmung: „To be on your own / With no direction home“. Die genannten Gegenüberstellungen zeigen – bei aller Vielseitigkeit der Werke – ganz nebenbei das chaotische Ende aller ideologischen Epochen, deren falscher Zeitgeist hierin offen zutage tritt.
„Because the world is round it turns me on / Because the world is round ...“ (The Beatles, „Because“, 1969)
... es braucht diese blinde Präzision, um sich durch die Wiederholungen der Geschichte zu bewegen, ohne sich nach dem Warum oder Weil zu fragen.

 

Übersetzt von Thomas Raab